Die Musik, das ist er: Der Stardirigent Daniel Barenboim und seine Berliner Staatskapelle begeistern das Hamburger Publikum.

Hamburg. Manchmal tritt er den Takt wie der Leiter einer Big Band. Wenn Daniel Barenboim dirigiert, kann man sie förmlich sehen, die Energie, die er der Musik mitgibt, nein, mitwirft, mitschleudert. Keine Bewegung zu viel macht er, jede ist Essenz, ist Geste, mit Bedeutung aufgeladen. Mitunter steht er einfach nur da, als ließe er die Musiker machen. Aber das täuscht. Da ist immer noch dieses mikroskopische Zittern der Stabspitze, die da anzeigt: Die Musik, das bin ich.

Barenboim überlässt nichts dem Zufall. Das war bei seinem Gastspiel in der Laeiszhalle mit der Staatskapelle Berlin , deren Chef er ist, vom ersten Takt an zu spüren. Beim Klavierkonzert d-Moll von Mozart pflegte Barenboim eine recht traditionelle Klanggebung, die nicht jedermanns Sache ist. Aber wie er Schwerpunkte setzte und dynamische Extreme wagte, hatte etwas unbedingt Persönliches. Das zeigte sich noch mehr beim Klavierpart, den er mit dem Rücken zum Publikum sitzend und ganz den Musikern zugewandt spielte. Noch eine winzige Figur, einen schlichten Oktavsprung machte er zu einer Aussage. Und während er einerseits das Orchester wie ein Dompteur kammermusikalisch beisammenhielt, fand er andererseits immer noch Zeit, die Musik atmen zu lassen oder auch mal zum völligen Stillstand zu bringen. Nein, dem Zufall überließ er nichts - aber der Inspiration des Augenblicks beglückend vieles.

Die Balance zwischen Kontrolle und Hingabe gehört zu den großen Herausforderungen beim Musizieren. Wie Barenboim sie bei Anton Bruckners 5. Sinfonie wahrte, das war mit das Beeindruckendste an diesem Nachmittag. Das sperrige Werk erklingt mal als Hochamt, mal als nahezu akademische Exegese. Aber um ihm Leben, Drama, ja Sinnlichkeit einzuhauchen, braucht es womöglich Barenboims Temperament und Entschlossenheit. Den alten Streit, ob Bruckners Werke nun absolute Musik seien oder nicht, entschied Barenboim kurzerhand am Pult: Wiener Schmäh und Sonnenaufgänge, Schmerzensklagen und Kirchenchoräle, alles hatte Platz in diesem Universum.

Dass das so sein konnte, war dem hervorragend disponierten Orchester zu danken. So überwältigend die Blech-Gebirge aufschienen, so kultiviert fügten sie sich ins Tutti. Und einen so dichten, warmen Streicherklang hört man selten. Den konnte Barenboim hochziehen, bis sich die Intensität fast überschlug. Selbst an den transparentesten Stellen - ja, auch die gab es - waren die Ersten Geigen stets untrüglich mit den Bläsern zusammen. Die wiederum gingen selbst im Pianissimo auf volles Risiko. Ein Schelm, wer sich da an winzigen Akkordtrübungen gestört hätte, statt sich über den beseelten Flötenklang oder das bewegliche, rotweinsamten timbrierte Horn zu freuen - um nur einige stellvertretend zu nennen.

Große sinfonisches Glück, großer Jubel von der Bruckner-Gemeinde.