Johns Fotoserie zeigt Momente der Verletzlichkeit, Spannung, Sammlung und Erschöpfung. Nach der Inszenierung fällt der Künstler in sich zusammen.

Hamburg. Das Theater ist der Ort der Übersteigerung, und wenn man als Schauspieler die Wirklichkeit dramatisch darstellen will, muss man sich vor dem Auftritt in einen Zwischenraum begeben. Geistig, mental. Aber auch körperlich: hinter der Bühne. In der Künstlergarderobe. Dort sieht sich der Schauspieler im Spiegel als der andere, der er gleich sein wird. Gustav Peter Wöhler schminkt sich selbst. Zumindest die Lippen, gerade als die Bühnenbildnerin und Fotografin Katharina John auf den Auslöser drückt. Wöhlers Blick ist konzentriert, was mag er denken so kurz vor der Vorstellung?

Geht er einfach den Text durch? Denkt er an etwas, das mit der Arbeit und dem Abend gar nichts zu tun hat? Es ist ein typischer Moment, den Katharina John da einfängt; die Ruhe vor der Show, der Moment der Einkehr vor dem Rauslassen auf der Bühne. Die Wöhler-Aufnahme ist derzeit in der "Weltbühne" zu sehen, dem Kaffeehaus neben dem Thalia-Theater. Dort wird Johns ausschließlich analog entstandene Foto-Serie "Backstage" gezeigt.

Die Nacktheit der Künstler auf der Bühne, die herausfordernd oder verletzlich ist, wird in der Garderobe in einer anderen Form vorweggenommen. Das entblößte Bein, der freie Bauch sind hinter der Bühne trotzdem etwas anderes: Der Körper wird in die Form gebracht, die er später darstellen soll. Das Bein, das John für ihre"Backstage"-Serie fotografiert hat, stammt übrigens von einer Prostituierten auf St. Pauli: Auch dort gibt es Hinterzimmer und Bühne, ein Innen und ein Außen.

Gustav Peter Wöhlers Brust in der Künstlergarderobe ist so nackt wie das Bein der Hure in der Herbertstraße, sie hängt schlaff nach unten. Der Kerl wirkt trotzdem kraftvoll, seine Energie, noch dosiert, fließt in den Moment - wie später vor dem Publikum. Wie anders wirkt er auf dem Foto, das John bei Wöhlers Rückkehr in den Hinterbühnenbereich schießt: Er wirkt, als wäre er in sich gesunken, als er die Schminke abwischt, körperlich erledigt, mental verausgabt.

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Nach der Inszenierung fällt der Künstler in sich zusammen, das Verpuffen der Kräfte ist die Kehrseite der Aufgepumptheit seines Vortrags. "Der Augenblick, in dem sich eine Art von Entspannung, Erschöpfung, ja auch Entgleisung und Befriedigung auf dem Gesicht abzeichnet", sagt Katharina John - dieser Augenblick ist es, der sie interessiert. Die Intimität, die so entsteht, wird nicht nur behauptet: Sie spielt sich nicht allein zwischen der Fotografin und ihrem Objekt ab, sondern überträgt sich auch auf den Betrachter. Die Schauspieler Wöhler, Peter Jordan und Ulrich Tukur (Johns Ehemann) umgibt auf den Fotos eine Aura des Alleinseins: Die Einsamkeit des Stars nach seinem Auftritt setzt nicht erst im Hotelzimmer ein. Die Schwarz-Weiß-Ästhetik verleiht dem Gegenstand eine überzeitliche Note, und die kontrastreiche Spannung des Motivs - das künstliche Licht vor dem Spiegel, die Dunkelheit der Zimmerecke - erinnert daran, dass wir es mit Nachtwesen zu tun haben.

"Texasnutten" nennt Katharina John ein Bild, das drei gelangweilt im Umkleideraum herumstehende Grazien zeigt. Mehr Informationen gibt es nicht: Wahrscheinlich sind es Table-Dancerinnen aus einem Strip-Schuppen; der Ennui, der sich in dieser Backstage-Szene ausdrückt, ist allumfassend. Jeden Tag die gleichen Bewegungen, die gleichen Typen.

Katharina John wurde 1971 in Hamburg geboren. Sie arbeitete an verschiedenen deutschen Theatern als Bühnenbildnerin, in Hamburg auf Kampnagel, bei den Kammerspielen und im Schauspielhaus. Seit vielen Jahren ist sie nun Theater- und Porträtfotografin. Als solche hat sie auch mit Peter Ustinov gearbeitet: Dessen ins Bild gereckter Zeigefinger ist die Pathosgeste des alten Meisters: Schaut her! Wir sind die Unterhalter!

Egal ob sensibler Grenzgänger, der auf der Bühne Extremerfahrungen macht, oder abgebrühte Rampensau: Hinter der Bühne sind Künstler in mancherlei Hinsicht alle gleich. Und der Rückzug ist ja auch eine Metapher für das Leben an sich. Manchmal sind wir für uns, ganz zurückgeworfen auf uns selbst - und manchmal sind wir im Rampenlicht des sozialen Miteinanders, wenn wir für andere agieren, wenn wir nicht mehr nur Subjekt, sondern auch Objekt sind. Die Fotos von Katharina John sind gestellt, natürlich inszenieren sich die Porträtierten für ihre Porträtistin: Aber das ist nur ein Klacks gegenüber der Verwandlung, die auf der Bühne passiert, wenn eine neue kleine Welt in der bekannten großen entsteht.

Die Fotoserie "Backstage" ist bis zum 18. Oktober im Kaffeehaus Weltbühne am Thalia-Theater zu sehen (Öffnungszeiten täglich 9-23 Uhr).