Die Hamburger Journalisten Marco Carini und Jan Fleischhauer kennen sich seit ihrer Jugend - heute sind sie publizistische Gegner.

Hamburg. Marco Carini wohnt im schönen Othmarschen in einem schönen Haus. Es ist rot verklinkert, und dass nebenan die A 7 tost, hört man irgendwann gar nicht mehr. Im Garten ruht ein Teich. Spötter würden die malerische Beschaulichkeit spießig nennen, alle anderen fühlen sich in dem bürgerlichen Idyll wohl und lassen die Seele baumeln. Spießig? Bürgerlich? Carini? "Das ist so eine typische Haltung von Leuten wie Fleischhauer", sagt Carini, "die finden es komisch, wenn Linke angenehm wohnen oder ihre Kinder auf Privatschulen anmelden."

Seltsam: Wenn diejenigen, die sich für soziale Gerechtigkeit und die Schwachen einsetzen, doch bitte schön auch ein bescheidenes Leben führen sollen; manche denken wirklich so. Marco Carini ist Journalist und Buchautor: ein profilierter Linker, der seit vielen Jahren in Hamburg für die "taz" schreibt, die Hauspostille der Alternativen. Der links ist, seit er politisch denken kann, also seit den Teenagerjahren. Carinis neues Buch heißt "Die Achse der Abtrünnigen. Über den Bruch mit der Linken".

Er nimmt darin die Konservativen aufs Korn, die früher mal links waren. Historische Personen wie Arthur Koestler etwa, die wegen der stalinistischen Säuberungen mit dem Kommunismus brachen. Und eben Leute wie Fleischhauer. Jan Fleischhauer ist so etwas wie ein publizistischer Gegner Carinis. Fleischhauer arbeitet beim "Spiegel" und schreibt derzeit wöchentlich seinen sehr erfolgreichen Blog "Der schwarze Kanal" fort, der dieser Tage bei Rowohlt als Buch erscheint. Er spottet dort über die Linken; so wie Carini wiederum über die Leute spottet, die sich von der Linken abgewendet haben und nun konservativ sind. Es ist übrigens manchmal gar nicht so leicht zu sagen, was denn heute noch als alternativ gelten kann: Wo doch selbst die CDU mittlerweile linke oder grüne Standpunkte einnimmt.

Carini und Fleischhauer kennen sich seit fast vier Jahrzehnten, einst waren sie befreundet. Im Hamburger Norden, dem Zuhause bourgeoiser Wohlanständigkeit, waren die Haare der jungen Männer Mitte der 70er-Jahre lang.

So ließ sich einst trefflich Revolte machen gegen die Gesellschaft. Marco Carini lebte damals in Poppenbüttel, Jan Fleischhauer in Wellingsbüttel: Eine Zeit lang waren sie so ziemlich beste Freunde. Sie gingen auf das frisch gegründete Gymnasium Grootmoor in Bramfeld, sie waren in derselben Kirchengruppe aktiv. Sie waren beide politisch links, das entsprach damals dem Zeitgeist.

Carini zum Beispiel war in Brokdorf, demonstrierte gegen das AKW. Und Fleischhauer las "Archipel Gulag", das antistalinistische Hauptwerk Solschenizyns; da war er 13 Jahre alt. Fleischhauer schlich sich außerdem nachts in die Schule und sprühte linke Parolen an die Wand. Er solidarisierte sich mit den in Stammheim einsitzenden RAF-Häftlingen. Und er wuchs außerdem praktisch ohne Vitamin C auf, weil seine links beseelte Mutter den Verzehr von Apfelsinen aus Diktaturen bedenklich fand. Das zumindest erzählt Fleischhauer in seinem Bestseller "Unter Linken. Von einem, der aus Versehen konservativ wurde", der 2009 erschien. In dem Buch erklärt Fleischhauer, warum er früher einmal links war und jetzt nicht mehr. Es ist ein amüsanter Text, den Fleischhauer da geschrieben hat; Selbstbekenntnisse eines Mannes, der alte Überzeugungen abstreift und zu neuen Einsichten kommt. Fleischhauer lästert viel über die Linken und ihre Marotten.

Marco Carini sagt: "Es ist nicht leicht festzustellen, was Fleischhauer heute ist. Konservativ? Hm. Ist es nicht so, dass ihn der Ideologiequatsch heute nicht mehr interessiert? Oder ist er ein Überzeugungstäter? Ich weiß es nicht." Jan Fleischhauer sagt: "Früher war ich links, heute bin ich konservativ."

Fleischhauer und Carini, beide 1962 in Hamburg geboren, entstammen derselben Ursuppe, derselben Generation. Ihre Geschichte ist eine alte, sie erzählt von denen, die Idealen treu bleiben, und von denen, die eine Kehrtwende machen: Die Abtrünnigen sind in den Augen der anderen Verräter, Renegaten. Carini geht mit dem Freund von einst durchaus hart ins Gericht, er sagt: "Jan versteht es, sich zu vermarkten. Was er betreibt, ist modisches Renegatentum und Selbstbespiegelung - eitel sind wir aber alle."

Der Ton kann rau werden zwischen Leuten, die verschiedenen Lagern angehören; das weiß jeder, der ab und an die Talkshows sieht. Von deren geschwätziger Aufgeregtheit unterscheidet sich der studierte Politologe Carini übrigens wohltuend. Sein Buch ist kenntnis- und lehrreich, und wenn er in seinem Garten in Othmarschen sitzt und gegen den abtrünnigen Fleischhauer stichelt, dann tut er das mit einem Lächeln. "Wir haben sogar zur gleichen Zeit an der Hamburger Uni studiert, uns dann aber trotzdem für viele Jahre aus den Augen verloren", sagt Carini.

Carini ist, diesen Eindruck gewinnt man zumindest, ein entspannter Zeitgenosse. Kein auf unbedingte Linientreue drängender Ideologe. "Ich bin immer noch ein Linker", sagt der Mann in dem blau gestreiften Hemd, "weil ich immer noch für Chancengleichheit eintrete und weil ich will, dass die Schere zwischen Arm und Reich nicht immer weiter auseinanderklafft."

Fleischhauer lebt seit Langem in Berlin. Seit er Bestsellerautor ist, ist er oft im Fernsehen zu sehen: Dort verkauft er sich und seine Thesen meist ganz gut, und er redet längst nicht nur über seinen politischen Seitenwechsel, sondern über die Politszene generell. Das allgemeine Getalke braucht telegene Leute, die geschliffen reden können.

Man täte Fleischhauer, der smarter und weltgewandter daherkommt als Carini, allerdings unrecht, reduzierte man ihn auf die Fernsehpräsenz und das Pointengewitter in seinen Texten. Als Typus steht er für den modernen Medienintellektuellen, der virtuos die Möglichkeiten der Technik nutzt: "Unter Linken" gibt es auch als Film, und sein "Spiegel Online"-Blog hat eine hohe Einschaltquote. Trotzdem hat er ein in sich konsistentes Weltbild, das bei nicht wenigen Zuspruch findet.

Fleischhauer geißelt die Dominanz der Linken in der Kulturszene und in den Redaktionen, er schimpft auf das Rechthaberische der ewigen Weltverbesserer, das unverdrossene Einteilen der Welt in Gut und Böse. Wer in der Schule von einem sogenannten Alt-68er unterrichtet wurde, der kennt das alles aus eigener Erfahrung. Wie überhaupt Fleischhauers böses Spiel mit den Klischees ein wenig gestrig wirkt, oder? "Wir leben keineswegs in einem postideologischen Zeitalter, der Gegensatz von rechts und links ist immer noch da", sagt Fleischhauer.

Zumindest sorgt es regelmäßig für Erregungszustände. Als Fleischhauer kürzlich in Bremen auftrat, war zu seiner Sicherheit auch die Polizei da - auf Facebook hatten sich Studenten zum Protest gegen den eloquenten Konvertiten verabredet. Und die Kommentarfunktion seines Blogs wird weidlich genutzt, um ihn zu beleidigen.

Was verbindet die beiden Männer heute noch miteinander außer ihrer Facebook-Freundschaft und gelegentliche Amtshilfe im Job? Es ist jedenfalls nicht der Gegensatz zwischen wendigem Charismatiker, der auf der Welle des Zeitgeists surft, und verknöchertem Sozialromantiker, der von den alten Zielen nicht lassen kann. Das Linkssein von Carini hat sich auch verändert, "ich würde dem Carini von früher bei einigem, was er sagt, in die Parade fahren". Am Tun seines Jugendfreundes Fleischhauer mäkelt er trotzdem, so wie der seine Spitzen gegen Carini setzt: "Linkssein muss man sich auch leisten können, es sind oft die Kinder aus reichen Verhältnissen, die für eine angeblich bessere Welt kämpfen."

Verletzt fühlt er sich nicht dadurch, dass Carini ihn in seinem Renegaten-Buch kritisiert, "ich glaube, wir hegen durchaus noch freundschaftliche Gefühle füreinander". Sie könnten bestimmt gut miteinander diskutieren, wenn sie sich wiedersehen. "Aber wenn wir uns treffen, reden wir eher über anderes", sagt Fleischhauer.

Die gemeinsame Vergangenheit vielleicht, das Batiken und die Jugendgruppe, die wilden 70er-Jahre in Hamburg, als die Haare lang und die Herzen heiß waren.

Jan Fleischhauer: "Der schwarze Kanal". Rowohlt. 224 S., 12,99 €

Marco Carini: "Die Achse der Abtrünnigen". Rotbuch. 256 S., 14,95 €