Das Bucerius-Kunst-Forum am Rathausmarkt zeichnet die Geschichte der Kunstfotografie in New York zwischen 1890 und 1950 nach.

Hamburg. New York - das ist dieses massive Virus aus Glück, Anstrengung, Lärm und Licht, das einen entweder sofort erwischt oder gegen das man sein Leben lang immun bleibt. Wer eine hoch dosierte Auffrischung des süßen Gifts, gemischt aus den Wassern des Hudson und des East River, benötigt, aber die Stadt Hamburg nicht verlassen mag, kann den Sommer über im Bucerius-Kunst-Forum (BCF) seine Sehnsucht nach der meistbesungenen, meistfotografierten Stadt der Welt nähren - und dabei viel lernen darüber, was für ein Kraftort insbesondere Manhattan war für die Pioniere der künstlerischen Fotografie. Sie haben das Bild New Yorks geprägt. Fast mehr noch aber hat die Stadt selbst das Medium Fotografie geprägt und vorangetrieben.

Um die amerikanische Malerei von 1890 bis 1950 repräsentativ auszustellen, richtete das BCF zwischen 2007 und 2009 drei opulente Ausstellungen aus. Die neue Schau "New York Photography" deckt denselben Zeitraum mit 174 exemplarischen Vintage Prints ab. Ein Großteil der Exponate stammt aus dem Stadtmuseum München, dem Whitney Museum of American Art in New York und dem George Eastman House in Rochester. Auch das MoMa, das Boston Museum of Fine Arts, das Museum für Kunst und Gewerbe sowie der Sammler FC Gundlach trugen mit ihren Leihgaben entscheidend zur hohen Qualität der Ausstellung bei.

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Die Zeitreise beginnt in der letzten Dekade des 19. Jahrhunderts, als Fotografen wie Alfred Stieglitz, Edward Steichen oder Gertrude Käsebier sich entschieden von den schon damals unzähligen Amateurknipsern New Yorks absetzten und Bilder schufen, bei denen sie sich hinsichtlich des Aufbaus an Malerei und Skulptur von Zeitgenossen wie Whistler oder Rodin orientierten. Diese Piktorialismus genannte Initiationsphase der Fotografie als Kunstform mündete Anfang des 20. Jahrhunderts in mehrere Strömungen ambitionierter Bildkunst, die damals ganz überwiegend noch in Schwarz-Weiß entstand. 1902 gründete Alfred Stieglitz mit "Camera Work" die Mutter aller Fotomagazine, drei Jahre später gemeinsam mit Edward Steichen die Galerie 291 an der Fifth Avenue, in der in den folgenden Jahren die Verwandtschaft zwischen der neuen Fotokunst und avantgardistischer Kunst aus Europa offensichtlich werden sollte.

Gleichzeitig trat mit Lewis Hine ein ausgebildeter Soziologe mit Kamera auf den Plan, der das Medium für Reportage-artige Fotografie nutzte. 1908 fotografierte er frisch per Schiff eingetroffene Einwanderer auf Ellis Island, die sich zwischen Hoffen und Bangen den Einreiseformalitäten entgegenschieben. Auf einer Treppe stehen sie, ihren Koffer in der Hand, und warten auf den Eintritt ins gelobte Land. "Climbing Into America" lautet der beziehungsreiche Titel.

Die Ausstellung zeigt in lauter vorzüglichen Einzelbeispielen, zu welchem Niveau innerhalb weniger Jahrzehnte diverse Gattungen der Fotografie heranwuchsen und welche stilistische Entwicklung einige ihrer bedeutendsten Protagonisten nahmen. Bei aller Unterschiedlichkeit in der Vorgehensweise und im Sujet lassen die Bilder sich ausnahmslos als auch künstlerischer Reflex auf die sich unablässig und rasant verändernde Stadt lesen. Street Photography, bisweilen, wie bei Walker Evans' Porträts aus der U-Bahn, mit im Mantel versteckter Kamera aufgenommen, Architekturfotografie - herausragend die grandiosen, glasklar linear und unter Zuhilfenahme des unvergleichlichen New Yorker Lichts komponierten Stadtansichten Andreas Feiningers -, avantgardistische Bildexperimente von Man Ray, Aaron Siskind oder André Kertesz: "New York Photography" hält eine aufregende, in sich schon wieder künstlerische Balance der Genres und Positionen auf vergleichsweise engem Raum.

Der Ausstellungssaal im Erdgeschoss, in dem sonst mächtige Steinsäulen das Bild prägen, ist kaum wiederzuerkennen. Anthrazitfarben und rechtwinklig verkleidet stellen die Säulen nun stilisierte Wolkenkratzer vor - bauliche Hommage an die Straßenschluchten Manhattans. Wenn sich ein so kunstsinniges Haus erstmals ganz der Fotografie verschreibt, bringt es dafür sogar sein markantestes Gestaltungsmerkmal zum Verschwinden.

"New York Photography", Bucerius-Kunst-Forum, Rathausmarkt 2, geöffnet täglich von 11.00-19.00, Do 11.00-21.00, Eintritt 8,- (erm. 6,-), Mo 5,-