Der Historiker und Publizist Arno Lustiger starb im Alter von 88 Jahren

"Wir sind die Letzten. Wer wird daran erinnern, wenn wir nicht mehr da sind? Ich bin ja ein alter Kerl. Es ist wichtig, dass alle diese Geschichten weitererzählt werden. Bisher habe ich alle Einladungen, vor jungen Leuten zu sprechen, angenommen, in Schulen, in Jugendzentren - immer in der Hoffnung, dass keiner von denen ein Nazi wird. Und dass sie erkennen, wie wertvoll Demokratie und Frieden sind. Dafür soll sich jeder einsetzen. Und dafür aufstehen, wenn es nötig ist."

So hat Professor Arno Lustiger im September 2011 im Abendblatt-Interview den Sinn der Arbeit seiner späten Jahre zusammengefasst. Am Dienstag, nur eine Woche nach seinem 88. Geburtstag, ist der Historiker des Holocaust in Frankfurt/Main gestorben.

"Rettungswiderstand" hieß sein letztes Buch, das er damals in der Passage des Axel-Springer-Verlagshauses in Hamburg gemeinsam mit seinem Freund Wolf Biermann vorstellte. Wer ihn dort erleben konnte, begegnete einem schmächtigen, lebhaften Mann mit mitfühlenden, freundlichen Augen. Einem, der Menschen nicht in schlichte Kategorien packte, sondern der nach ihrem Tun fragte.

Geboren 1924 im polnischen Bedzin, hatte er als jüdischer Häftling zwischen 1943 und 1945 das Getto seiner Heimatstadt und mehrere Nazi-Konzentrationslager, darunter Auschwitz-Birkenau und Buchenwald, sowie zwei Todesmärsche überlebt, bevor er fliehen konnte. Lustiger wurde Textilhändler in Frankfurt, erst viel später, in den 80er-Jahren, wurde er als Autodidakt zum Historiker der jüdischen Verfolgungs- und Vernichtungsgeschichte. Das brachte ihm einen Lehrauftrag und den Professorentitel. Er mischte sich oft und hörbar in aktuelle Debatten ein.

Unermüdlich beackerte Lustiger - der gleichnamige französische Kardinal war sein Cousin - weiße Flecken, die aus vielerlei Interessen heraus in der Holocaust-Forschung entstanden waren, sammelte Zeugnisse dafür, dass sich Juden auch gegen die bevorstehende Vernichtung gewehrt hatten. Und sammelte Berichte über Menschen, die zum Teil unter eigener Lebensgefahr Juden gerettet hatten - sein höchst unbequemer Gegenbeweis zum landläufigen "Man konnte doch nichts tun".

So formulierte er - unerbittlich, hartnäckig und findig - in sein Credo: "Eine Kollektivschuld habe ich vom ersten Tag der Befreiung an abgelehnt. Denn ich hatte es ja selbst erfahren, dass nicht alle so waren. Ich verdanke einigen Menschen, die anders waren, mein Leben. Am Ende ist jeder Einzelne selbst verantwortlich für das, was er tut oder nicht tut."