Die sehenswerte Dokumentation “Marley“ von Kevin Macdonald rollt chronologisch das Leben der ewigen Reggae-Ikone Bob Marley auf.

Mehr als 400 Bücher sind über ihn geschrieben worden, und auf Musikfestivals gehören T-Shirts mit seinem Konterfei immer noch zu den gefragtesten Verkaufsartikeln: Ebenso wie Che Guevara ist Bob Marley zu einer Ikone geworden, die für Frieden und Freiheit steht, für Liebe und Spiritualität - und für den uneingeschränkten Gebrauch von Cannabis. Doch wer war Bob Marley wirklich? Sein ältester Sohn Ziggy kritisiert: "Mein Vater ist auf einen kiffenden Reggae-Sänger reduziert worden, der von Frieden und Liebe singt. Aber das ist nur ein Teil seiner Geschichte, es gab auch eine andere Seite." Diese andere Seite beleuchtet der britische Regisseur Kevin Macdonald ("Der letzte König von Schottland", "Life In A Day"). 144 Minuten dauert seine Dokumentation über den Rastafari, koproduziert von Ziggy Marley und von Chris Blackwell, dem schwergewichtigen Chef des Island-Labels, auf dem Marley seine Alben veröffentlichte.

"Es ging mir darum, ein Bild von dem zu zeichnen, was sich hinter der Ikone verbirgt. Wir sind überhäuft mit Bildern, und seine Musik begegnet uns überall, aber mir war nie klar, wer dieser Mann wirklich war und worüber er gesungen hat", sagt Kevin Macdonald. Dass "Marley" eine sehr viel tiefer gehende Dokumentation werden konnte als alle anderen Versuche vorher, hat eine einfache Erklärung: Macdonald bekam Zugang zu den Privatarchiven der Familie und konnte eine ganze Reihe von nie veröffentlichten Filmausschnitten benutzen. Außerdem bekam er durch die Vermittlung von Blackwell und des Marley-Sohnes Weggefährten und Familienmitglieder vor die Kamera, die bereitwillig Auskunft über ihre Erlebnisse mit Bob Marley gaben. Auch wenn in dieser Methode die Gefahr der Verklärung liegt, hat Macdonald der Versuchung widerstanden, die Widersprüche in Marleys Leben zu glätten. "Mein Film ist wie eine mündliche Erzählung", sagt der Filmemacher.

Macdonald hat seine Dokumentation strikt chronologisch aufgebaut. Sie beginnt in der paradiesisch anmutenden Landschaft Nord-Jamaikas, wo Bob Marley am 6. Februar 1945 in dem Dorf Nine Mile zur Welt kam. Als kleiner Junge wurde er "the german boy" genannt. Der Spitzname ist das Resultat seiner hellen Haut, ein Umstand, der ihm lange das Gefühl gab, ein Außenseiter zu sein. Bob Marleys Vater war ein britischer Marineoffizier und Plantagenaufseher, der seine afroamerikanische Freundin Cedella heiratete, jedoch nicht mit ihr lebte. Marley soll seinen Vater nur einmal gesprochen haben. Obwohl ihm sein Status als Halbblut sehr bewusst war, bezeichnete Marley sich selbst als "schwarzen Afrikaner", seine Idole waren der äthiopische König Haile Selassie und der jamaikanische Panafrikanist Marcus Garvey.

Natürlich zeigt "Marley" Ausschnitte aus Konzerten, die der Musiker mit seiner Band, den Wailers, gegeben hat. Bandmitglieder wie Bunny Wailer, aber auch der 1987 ums Leben gekommene Peter Tosh skizzieren die Musik-Szene von Kingston, der Hauptstadt Jamaikas, und die Entstehung des Reggae zu einem erfolgreichen Pop-Genre. Doch "Marley" ist kein Musikfilm, der sich seiner Figur über die Songs nähert.

Macdonald zeigt in vielen, oft verwackelten Amateurvideos die Privatperson Marley. Den großherzigen Menschen, dessen Haus für jedermann offen stand; den geradezu besessenen Fußballspieler, der im Hof seines Anwesens jeden Tag mit seinen Freunden kickte; den Liebhaber, der mit neun verschiedenen Frauen 13 Kinder gezeugt hat, den spirituellen Führer und Friedensstifter. 1976 sollte Marley ein Benefizkonzert auf Jamaika geben, um die verfeindeten Lager des konservativen Premierministers Michael Manley und des sozialistischen Gegenspielers Edward Seaga auszusöhnen. Zwei Tage zuvor verübten bezahlte Killer auf Marley und seine Frau Rita einen Anschlag, bei dem beide verletzt wurden. Das Konzert fand dennoch vor 80 000 Zuschauern statt.

Bob Marleys Leben endete früh. Am 11. Mai 1981 starb er in Miami. Er wollte zum Sterben aus einer bayrischen Krebsklinik in seine jamaikanische Heimat zurückkehren. Doch er schaffte es nur bis nach Florida. Kevin Macdonald hat Bob Marley auf der Leinwand jetzt ein unbedingt sehenswertes Denkmal gesetzt, das Lust macht, wieder Marleys Platten rauszuholen und sich seinen entspannten Beats hinzugeben.

Bewertung: empfehlenswert

"Marley" USA/GB 2012, 145 Min., ab 6 J., R: Kevin Macdonald, täglich im Abaton (OmU); Internet: www.magpictures.com/marley