Der Komponist Helmut Lachenmann ist ein Pionier des neuen Hörens. Das Ensemble Resonanz spielt an diesem Sonnabend eines seiner Werke.

Hamburg. Der Volksmund sagt: Kunst kommt von können. Der Künstler sagt: Kunst kommt von müssen. Nur wie sich dieses Müssen artikuliert, das kann grundverschieden sein. Helmut Lachenmann, dessen einzige Oper "Das Mädchen mit den Schwefelhölzern" 1997 an der Hamburgischen Staatsoper uraufgeführt wurde und die ihm nachhaltigen Ruhm bescherte, gehört zu den Komponisten, die sich jedes Werk mühevoll abringen müssen.

Der von ihm hoch geschätzte Kollege, Freund und Mit-Schwabe Wolfgang Rihm dagegen schöpft unentwegt aus dem Vollen. Beider primäre Lebensäußerungsform ist die Musik. Für Lachenmann aber heißt Komponieren, "jedes Mal neu über Musik nachdenken, jedes Mal ein neues Vehikel bauen". Das dauert. Entsprechend schmal ist sein Werkkatalog. Am Sonnabend führt das Ensemble Resonanz in der Laeiszhalle eines seiner Schlüsselwerke auf, "Notturno - Musik für Julia".

Die zweiteilige und von einer Kadenz zusammengehaltene Komposition für kleines Orchester und Solocello begann Lachenmann im Frühjahr 1966 in den Wachstunden im Krankenhaus am Brutkasten seiner mit 1000 Gramm viel zu früh geborenen Tochter Julia. Es ist eine schöne Fügung, dass das Frühchen von damals beim Konzert seiner Überlebensmusik in Hamburg dabei sein wird. Anschließend kann Julia Lachenmann in ihren Geburtstag hineinfeiern.

+++ Der Reeder Laeisz segelte um jeden Preis +++

Wenige Tage vor der Aufführung sitzt Helmut Lachenmann auf einem Stuhl auf der Bühne des kleinen Saals der Laeiszhalle neben dem Dirigenten Peter Rundel und probt erstmals mit den Streichern des Ensembles den Schluss seines Stücks. Es liegt mehr als nur ein Hauch Musikgeschichte in der Luft. Denn vieles von dem, was Instrumentalisten in der Neuen Musik auf ihren Geigen, Celli, Flöten, Klarinetten oder Posaunen heute anstellen müssen, geht auf den Klangforschergeist und Gegen-den-Strich-Hörer Lachenmann zurück. Ganze Werke von ihm bestehen aus nichts anderem als aus der nach herkömmlichem Musikverständnis unorthodoxen Behandlung von Atem, Bogen, Saiten, Resonanzkörper, Klappen, Grifflöchern, Saitenhalter. Lachenmann ist, wenn es kratzt, schabt, raschelt, schnauft. Lachenmann ist, wenn die Materialität des Instruments sich Gehör verschafft. Lachenmann ist, "wenn die Töne die Energie ihrer Hervorbringung mitbringen". So sagt er es selbst, nach der Probe, bei Kaffee und Kuchen. Und: "Ich habe die ganzen Verfremdungen nicht erfunden. Ligeti, Kagel, Cage, Michael von Biel mit seinem ersten Streichquartett 1962, die waren vor mir da." Doch deren erweiterte Spielanweisungen seien eher aus dem Geist der Anarchie oder des Surrealismus geboren. "Ich wollte nicht Spaß machen, ich wollte Ernst machen."

Der Ernst des Helmut Lachenmann, eines Mittsiebzigers, dem man ansieht, dass er sich um Äußerlichkeiten nie geschert hat, ruht in innerer Heiterkeit. Er hat nichts Ehrfurcht Gebietendes an sich, er hüllt sich nicht in auratische Distanz. Er schafft Vertrauen, ja Wärme. Den Musikern des Ensembles erklärt der Pfadfinder eines neuen Hörens freundlich, wie sie die Bögen halten sollen, damit es auch ordentlich knarzt, und wie seine Spielanweisung "legno saltando" zu verstehen ist. Der Bogen soll leicht mit der Stange auf die Saite tippen, aber natürlich nicht einfach irgendwo. Beim sachten Aufprall von Holz auf Metall entstehen zwei Töne. Man muss genau hören, um es zu merken. Lachenmann greift sich unter tausend Entschuldigungen eine Geige und demonstriert: "Hier: hässlich. Hier: schön." Die jungen Musiker freuen sich und lachen mit ihm über den augenzwinkernden Fortbestand solcher Kategorien wie schön und hässlich bei der Erzeugung von etwas, das auch heutigem Hören mehr wie Geräusch denn wie Musik erscheint.

Dabei tut sich bei Lachenmanns Musik nichts weniger auf als eine eigene, widerständige Welt, die unterm dünnen Firnis allen vermeintlichen Wohlklangs verborgen liegt. Obertöne, Mehrklänge in einem Ton - es ist, als könnten die Ohren durch ein Mikroskop hören, in die Nachtseite aller Musik. Zugegeben: Das ist nichts, woran sich die bequeme oder stressgeplagte Seele mal so eben für lau laben könnte. Dafür lockt ein Ausflug in ein tolles Abenteuerland mit lauter Spielzeug und Futter für den Geist.

"Notturno" Sa 19.5., 20.00 Laeiszhalle, Tickets 15,- bis 39,- unter T. 35 76 66 66. 19.00: Gespräch zwischen Helmut Lachenmann und Christoph Becher. 18.5., 18.00: "Hörprobe", Laeiszhalle (Eintritt frei)