Zeitgenössische Werke nutzen oft Materialien, die verfallen und ersetzt werden müssen. Restauratorin Sommermeyer hat damit alle Hände voll zu tun.

Was haben die sonnengetrocknete Haut einer Boa constrictor, ein Sechserpack Corona-Bierflaschen mit verschimmelter Zitronenscheibe, gigantische Weckglas-Gummis, drei Dutzend mechanische Schreibmaschinen und eine Kiste mit maroden Schreibtischlampen gemeinsam? Das ist nicht etwa eine Sperrmüll-Abholliste, das sind Bestandteile von zeitgenössischer Kunst. Sie alle sind stumme, Not leidende Patienten von Barbara Sommermeyer in der Hamburger Galerie der Gegenwart. Sie kann jeden Tag aufs Neue staunen, aus welchen Materialien und mit welchen Hintergedanken über deren Haltbarkeit (oder eben nicht) Künstler heutzutage ihre Installationen schaffen. "Ich komme mir oft vor wie ein Kommissar im ,Tatort', ich lese die Spuren des Objekts."

Der antike Philosoph Platon hat uns die These hinterlassen, das Material eines Kunstwerks sei unwichtiger als dessen Idee. Aber Platon konnte in seinem Athener Idyll ja auch nicht ahnen, dass die Künstler von heute Gegenstände und Stoffe zu Kunst erklären und damit verklären, die überhaupt nicht dafür gedacht sind, Jahrzehnte bis Jahrhunderte in Museen zu überdauern. "Nichts hält ewig", hält die Restauratorin Sommermeyer - groß, blond, in neutrales Schwarz gekleidet - mit dem nachdrücklichen Tonfall nervenzehrender Erfahrungen gegen Platons verjährte Perspektive. Sie weiß, wovon sie spricht. Ihre Argumente umzingeln sie in ihrer Werkstatt. Sie stapeln sich auch in den Depots des Museums, in denen es für sie immer etwas zu tun gibt: "Ich bin Restauratorin, ich sehe die Welt nicht so positiv."

Sommermeyers Werkstatt befindet sich im Sockel des Museums-Neubaus neben der Kunsthalle; eine heilende Welt für sich, hinter kleinen Fenstern, gut gesichert. Platz für das Kaffeepause-Tischchen mit Blümchenvase ist nur noch in einer kleinen Ecke, der Rest ist zugeschaufelt mit Dingen, die Arbeitsmaterial sein dürften, und Dingen, bei denen man lieber einmal zu viel fragt, ob das schon Kunst ist oder nur die Trittleiter vom Hausmeister. Die Bananenpappkisten unter dem Tisch mit den Büsten jedenfalls, die sind Kunst, Teile einer Installation des Londoner Künstlers Simon Fujiwara. Auf Vorrat angeschafft, weil man ja nie weiß, ob demnächst nicht genau diese schlichten Ersatz-Teile nicht mehr hergestellt werden.

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Bei Joseph Beuys' "Capri-Batterie" von 1985 war der Einbau von passendem Nachschub noch ganz einfach. Nach 1000 Stunden, so Beuys, soll man die Zitrone, die dann keinen Saft mehr liefert, einfach gegen eine frische austauschen. Der Über-Künstler Damien Hirst hatte Pech mit seinem berühmt gewordenen Tigerhai, der 1991 angeblich für immer und ewig in Formaldehyd eingelegt wurde - bis ihn die Chemikalie nach gut einem Dutzend Jahren zerfraß.

An ebenso berühmten wie skurrilen Material-Beispielen herrscht kein Mangel in der Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts. Das eigene Blut (Mark Quinn), Seife (Janine Antoni), sogar die Schneebälle, die der spätere Documenta-Künstler David Hammons 1983 für eine Handvoll Dollars auf den Straßen von New York als Kunst verkaufte. Bei anderen Gelegenheiten nahm er Haare aus Frisiersalons.

Der auf schwierigste Fälle spezialisierte Restaurator Christian Scheidemann, der sich nach seiner Zeit an der Hamburger Kunsthalle mit einer Praxis im New Yorker Galerienviertel Chelsea als Nothelfer etablierte, hat eine Methode entwickelt, um für Matthew Barney Kartoffeln durch Schockfrosten für die nächsten 100 Jahre haltbar zu machen. Der Trick dabei: Das Wasser im Inneren wird durch Kunststoff ersetzt.

Das Frankfurter Museum für Moderne Kunst musste für eine Arbeit von Thomas Rentmeister in wenigen Tagen zwei Tonnen Kartoffelchips anschaffen. Bei einem anderen Werk ging es um einen riesigen Haufen Nussnougatcreme, der als Spachtelmasse auf dem Museumsboden zu bewundern war. Für eine Installation von Andreas Slominski wurden 20 Jahre alte Einkaufstüten virtuos bearbeitet, damit die mürbe gewordenen Bügel nicht reißen - die Restauratoren polsterten die Innenseite der Plastikbeutel mit Seidenorganza.

Manchen Künstlern ist es total egal, was mit ihren Materialkombinationen passiert. Andere sind geradezu gerührt, wenn sich jemand die Mühe macht, nicht nur den Originalzustand zu konservieren (immer vorausgesetzt, das ist Teil der künstlerischen Absicht), sondern auch erforscht, ob die ästhetische Absicht sich nicht vielleicht schon geändert hat. Man kann Dias heute mühsam und teuer neu anfertigen lassen, aber man entfernt sich mit jeder Kopie weiter vom Original.

Ist das dann noch die Kunst, wie sie einmal war und die so und nicht anders sein sollte? Will der Künstler das? Soll man ihn lieber gar nicht detailliert anhören, weil er womöglich nicht am besten weiß, was gut ist für den Erhalt seiner Kunst? Das sind so Fragen. Als vor einigen Jahren Daniel Richter seine große Retrospektive im Haus hatte und bei der Hängung seiner Bilder mithalf, sagte er, während er ordentlich hinlangte und zupackte: "Das sind doch keine Rembrandts." Sollen sich mal nicht so haben, die Jungs mit den Handschuhen, sind doch nur Bilder, warum soll man sie hier anders behandeln als im Atelier, wo sie sich unglamourös auf Kniehöhe stapelten. Für einen Maler seiner Preisklasse sagt sich das leicht.

Seit zehn Jahren arbeitet Barbara Sommermeyer in Hamburg, davor war sie in der Londoner Tate Modern, von Haus aus ist sie eigentlich "klassische" Gemälderestauratorin. In ihrer Diplomarbeit hatte sich Sommermeyer mit Ultraschallvernebelung beschäftigt, einer Methode, bei der pudrige Malschichten berührungsfrei fixiert werden können. In ihrer Gürteltasche stecken türkise Plastikhandschuhe griffbereit, daneben baumelt eine Taschenlampe. Ans gute alte Malen erinnert hier höchstens eine kleine Palette neben der Tür.

Ölfarbe auf einer Leinwand, Handarbeit mit Pinseln, mit Rahmen und allem Drum und Dran, diese Kunstform scheint weitgehend ausgestorben zu sein, wenn man sich in der Avantgarde-Ambulanz umsieht. Sommermeyer ist fasziniert vom Umgang mit dieser Kunst, "jungfräuliche Arbeiten, neu und unberührt, das ist schon etwas Besonderes" und spannender als die Begegnung mit Arbeiten, bei denen sie nicht mehr die ersten helfenden Arbeitsschritte leisten kann.

Gerhard Richters Gemälde "Portrait Liz Kertelge" neben einem der Arbeitstische ist hier lediglich ein teurer Gast auf der Durchreise, die zwei Gipsbüsten auf dem Tisch täuschen den klassischen Faltenwurf und die noble Porträtkunst nur vor. Sie sind hier und da brüchig - und sollen es bleiben, genau so hatte sich das der Künstler Olaf Metzel 1986 bei seiner "Eichenlaubstudie" gedacht. Die Abdrücke vom Zahn der Zeit sind Absicht, kein Versehen. Und damit ein weiteres Problem für Sommermeyer, die kaum noch hinterherkommt mit dem Konservieren und Reparieren, Forschen und Fahnden. "Ich muss bei jedem einzelnen Kunstwerk das Rad neu erfinden."

Das Restaurieren moderner Kunst ist zum Hightech-Abenteuer geworden, man muss nicht mehr nur Handwerker, Forscher und Techniker sein, prophetische Gaben wären ebenfalls hilfreich, um rechtzeitig vorzuempfinden, welche Probleme man in Zukunft mit den Schätzen von Museen oder Sammlern haben könnte.

Zu bewundern sind diese Sisyphos-Arbeiter schon, zu beneiden eher nicht. Die Riesen-Weckgummis beispielsweise, die sind Teil der Installation "Wurf-eisen und Zwille (Entwurf Hafenstraße)", die Olaf Metzel 1990 herstellte. Diese Installation sollte vor den einst umkämpften Häusern am Elbufer einen Platz finden, eine Variation hat die Kunsthalle 1991 angekauft. Die Guss-eisen-Teile sind in Ordnung, die Gummiringe aus Zweikomponenten-Poly-urethan jedoch haben sich im Depot buchstäblich verflüssigt, manche mehr, manche weniger, je nachdem, wie unkonzentriert sie angefertigt wurden. Die Rezeptur änderte sich offenbar mit der Tagesform. Einige bemitleidenswerte Exemplare liegen, unrettbar zerflossen wie Himbeereis in der Sonne, auf einem der Tische; direkt daneben zwei Stapel der Replikate, die länger in Form bleiben und ihre erste Bewährungsprobe im September bestehen sollen, bei der Ausstellung zum 15. Geburtstag der Galerie der Gegenwart. Ein chronisches Problem weniger.

Die Boa-Haut einen OP-Tisch weiter hat es deutlich eiliger. Sie gehört zu Simon Fujiwaras Installation "Personal Effects of Theo Grünberg" (2010), die aus drei Schrankpaaren mit Requisiten und Büchern besteht, Dokumente von kunstvoll inszenierten und erfundenen Lebensgeschichten. Die Boa-Haut als vermeintliches Souvenir aus dem Leben eines Ethnologen wird seit Ende März von der Studentin Julia Ziegler unter die Lupe genommen, die für diese Fleißarbeit am Mikroskop aus Stuttgart nach Hamburg gekommen ist. Mit Engelsgeduld bessert sie Schäden an der Haut aus, befreit die Nägelchen, mit denen die Schlangenhaut fixiert ist, behutsam von Rost. Nächste Woche muss die Haut wieder wie neu sein, dann wird sie mitsamt der ganzen Installation für die "Made in Germany Zwei"-Ausstellung in Hannover verpackt, die Mitte Mai beginnt.

Die anfangs erwähnten 35 Schreibmaschinen rechts daneben gehören zu Rebecca Horns "Chor der Heuschrecken I" (1991), im Idealzustand hängen die Kontor-Antiquitäten an der Decke der Galerie und klappern manisch vor sich hin. Jetzt hofft Sommermeyer darauf, einen Sponsor zu finden, der die Fachkraft für das Wiedereinrenken der Feinmechanik finanzieren möchte.

Niemand in dieser Branche kann alles wissen, jeden Trick kennen, jeden Tüftler, die idealen Lagerbedingungen für diesen oder jenen sonderbaren Kunststoff. Für die Suche nach Lösungen haben sich internationale Experten-Netzwerke gebildet, falls einmal Not ist am Objekt. Sogar eine EU-Studie gibt es seit 2007, "Inside Installations", die sich drei Jahre lang mit den Problemen der Konservierung zeitgenössischer Kunst beschäftigte.

Wenn dennoch nichts hilft bei der Suche nach Ideen oder Spezialwerkzeug, bleibt immer noch das Stöbern in Baumärkten im In- und Ausland. Nicht nur die Materialien, auch die Hilfsmittel beschafft und bunkert Sommermeyer bei ihren Dienstreisen auf Vorrat. Sicher ist sicher. Eine Regel, die auch für das hin und wieder notwendige Aufräumen wichtig ist: Früher hatte Sommermeyer eine Fachkraft.

Doch wozu allzu viel reinigender Eifer führen kann, das hat mehrfach Kunstgeschichte geschrieben: 1973, die Feier des SPD-Ortsvereins Leverkusen-Alkenrath, bei der eine verfettete Beuys-Badewanne fürs Gläserspülen gereinigt wurde. 13 Jahre später eine beuyssche Fettecke in der Düsseldorfer Kunstakademie: von der Putzfrau beseitigt. Und erst im letzten November schrubbte eine Putzfrau in Dortmund den Kalk aus dem Gummitrog einer Martin-Kippenberger-Installation mit dem Namen "Wenn's anfängt durch die Decke zu tropfen". So etwas kann und soll Sommermeyer nicht passieren: "Ich putze hier selber."