Zweibeinige Allesfresser, die Sprach- und Werkzeuggebrauch erlernt haben: Von possierlichen Kerlchen und ihren Eigenheiten.

"Hey, was geht ab, wir feiern die ganze Nacht!" Dumpfes Gewummer und seltsame Wortfetzen dringen an mein Ohr. Sie scheinen aus der Vorstadtdisco gegenüber zu kommen, fremdartige Gestalten lungern dort herum. Sie lehnen an farbenfrohen Autos und befleißigen sich merkwürdigen Verhaltens. Was mag wohl dahinterstecken? Eine obskure Sekte, der nächste große Trend? Verwirrt greife ich zu Brehms "Szene-Tierleben", das ich immer mit mir umhertrage und versuche mich an einer Bestimmung. Nach längerem Blättern stoße ich in Band 32 - "Prog-Rocker bis Punk" - auf einen vielversprechenden Eintrag. Unter dem Stichwort "Proll" steht der folgende, für mich sehr erhellende Text:

Bei Prolls (lat. Proletarius vulgus) handelt es sich um zweibeinige Allesfresser, die Sprach- und Werkzeuggebrauch, vereinzelt auch höhere Kulturtechniken erlernt haben. Ein einzelner Proll ist zumeist harmlos. Fehlt ihm der Schutz der Gruppe, bemüht sich das possierliche Tierchen oft um Unauffälligkeit. Erst wenn er mehrere Artgenossen um sich scharen kann, steht er offen zu seiner Identität. Für den Beobachter ergeben sich dann oft gute Chancen, das beeindruckende Imponier- und Balzverhalten des Prolls zu verfolgen. Trotzdem sollte man respektvollen Abstand halten.

Nähert man sich unbedacht, stößt der irritierte Proll zunächst laute Rufe aus, die den Fremden verscheuchen sollen. Feldforscher, die dieses Gebrüll ignorieren, könnten sich gezwungen sehen, ihren Beobachtungsposten überstürzt zu verlassen. Denn die Alphamännchen einer Prollgruppe nutzen gern jede Chance, sich vor den schwächeren Männchen zu beweisen, indem sie potenzielle Bedrohungen vertreiben. Interessanterweise kommt dieses Verhalten nur bei männlichen Szene-Zoologen zum Einsatz. Forscherinnen berichten von anderen Problemen. Sie wurden zwar bereitwillig in die Gruppe eingeladen, mussten sich aber der Avancen der stets auf Arterhaltung bedachten Männchen erwehren.

Eine Möglichkeit, das gesamte Verhaltensspektrum der Prolls ohne allzu große Gefahr für die eigene körperliche Unversehrtheit zu studieren, bieten Milieustudien aus Proll-Reservaten. Aktivistengruppen wie RTL 2 haben weder Kosten noch Mühen gescheut, um Dokumentationen in den liebevoll eingerichteten Habitaten auf Baleareninseln und in Vorstädten drehen zu können. Dort erfreuen sich die Prolls artgerechter Unter-Haltung, die sie Störungen gegenüber unempfänglicher machen. Wie aber lockt man die Prolls dorthin? Beste Erfahrungen machten Proll-Schützer, die sich auf juvenile Exemplare spezialisiert haben, mit der Kombination aus großen Mengen Alkohol und lauter, seltsam stumpfsinniger Musik. Ihre Schützlinge werden von bunten Lichtern und tiefen Bässen magisch angezogen.

Wird der Proll jedoch älter, verlagern sich seine Interessen. Die Großraumdiskothek tauscht er gegen die gemütliche Schutzzone seiner Eckkneipe, die durchtanzten Nächte gegen stundenlange Gespräche mit Artgenossen. Es ist nicht empfehlenswert, sich in solche Dialoge einzumischen. Denn kennt man die Regeln nicht, die stets gleichen Argumentationsketten und unzulässigen Vereinfachungen, zieht man sich schnell den Unmut der Prolls zu, die in solchen Fällen zu ausgeprägtem Revierverhalten neigen.

Auch die Organisation "Ein Herz für Prolls" sieht solche Störungen sehr ungern. Sie würden den Seelenfrieden der körperlich zwar sehr wehrhaften, intellektuell aber oft hilflosen Wesen bedrohen. Es gelte nach wie vor: "Quäle nie den Proll zum Scherz, denn er fühlt wie du den Schmerz."

Die Atzen Sa 28.5., 21.00, Edelfettwerk (S Eidelstedt), Schnackenburgallee 202, Karten ab 24,59 im Vvk.; www.atzenmusik.com