Der rastlose Dichter Bob Dylan brachte die Poesie in den Pop und ist seit unzähligen Jahren auf Tour. Heute wird die Legende 70 Jahre alt.

Hamburg. Einer hat mal gesagt, Bob Dylan klinge wie jemand, der im Stacheldraht festhänge. Gequält also, verletzt und aufgehalten auf einem Weg, der niemals endet. Wenn Dylan, der heute 70 Jahre alt wird, singt, dann weiß man aber: Der Mann lässt sich nicht aufhalten. Dieser Musiker, der seine Kunstgattung revolutioniert hat und auf das halbe Jahrhundert einer tatsächlich unvergleichlichen Karriere zurückblickt. Seit beinahe ungezählten Jahren befindet sich der immer noch unaufhaltbare Dylan auf seiner "Neverending Tour".

Er ist noch gut zu Fuß, aber die Stimme des notorischen Nuschlers schlurft wie eh und je. Bob Dylan, geboren als Robert Allen Zimmerman am 24. Mai 1941 in Duluth, Minnesota, wuchs als Spross einer jüdischen Familie in Hibbing auf. Der Vater war zunächst Buchhalter bei einem großen Raffinerieunternehmen und dann Teilhaber eines Elektrogeschäfts. Dylan hat lange Jahre ein Geheimnis um seine Herkunft gemacht, wie er überhaupt ein Geheimniskrämer ist, wenn es um sein Privatleben geht. Und so lässt sich nicht leicht sagen, wie aus dem schüchternen, zurückhaltenden Jungen einer wurde, der mit seinen Songs auf Konzertbühnen Tausende in seinen Bann schlägt. Einer, der zum Weltkulturerbe gehört und Songs für Millionen schrieb. (Übrigens ohne je in die Regionen derer vorzustoßen, die Waggonladungen von Schallplatten und CDs verkaufen. Manche von Bob Dylans Songs mögen weltberühmt sein, einen Nummer-eins-Hit hatte er nie - Künstlerpech).

In Hibbing, diesem verschlafenen Nest im unwirtlichen Minnesota, finden wir ein Bildnis des Künstlers als junger Mann, wie es typischer nicht sein könnte: Das Radio war für Dylan das einzige Medium, das eine andere, irgendwie bessere Welt öffnete. Die Unruhe in dem Jungen, der zur mit seiner Gitarre herumwandernden Ikone werden sollte, machte ihn früh zum Stromer. Fünfmal riss er aus, setzte sich einfach in den Zug.

Bob Dylan ist immer ausgerissen. Er sei nur ein "song-and-dance-man", hat der kokette Dylan einst gesagt. Wer ihn je interviewen durfte, der weiß von Dylans Täuschungsmanövern und Fluchttendenzen zu berichten: Auf Fragen antwortet er sehr eigenwillig und nur, wenn er Lust hat. Wohl, weil er seine Biografie nicht auf einen Begriff bringen lassen will. Dies spiegelt sich in dem Unwillen, Erwartungen zu erfüllen. Auch das ist ein Topos des stilbildenden und genialen Künstlers, sicher; aber Dylan war in seiner Ablehnung, was er so oft war: der Erste.

Die Geschichte des Musikers Bob Dylan ist die eines Verräters. In den Augen seiner Fans ist Dylan mehr als einmal dem abtrünnig geworden, für was er eigentlich angetreten war. Der erste große Verrat ist das legendärste Kapitel in der Pop-Geschichte, das Dylan geschrieben hat, diese verlässlich laufende Mythenmaschine. Der Protestsänger und Folk-Musiker Dylan, der in New York lebte, amerikanischen Helden wie Woody Guthrie nacheiferte und poetische Hymnen geschrieben hatte ("Blowin' In The Wind"), tauschte seine Akustikgitarre Mitte der Sechzigerjahre gegen die elektrisch verstärkte.

Die Reaktion des Publikums war heftig. Dylan und seine Band wurden ausgebuht. Man nannte Dylan einen Judas (expressis verbis: auf einem Konzert in Manchester 1966), und misst man am Grad der Erregung die Bedeutung von Dylans ästhetischer Strategie, dann hat man doch ganz zuverlässig den historischen Moment erfasst.

Denn damals, als der "Klampfen-Dylan" seine Fans schockte und den ersten und gewichtigsten Verrat beging, entstanden "Highway 61 Revisited" und "Blonde On Blonde", zwei der einflussreichsten Alben überhaupt. Dylan wurde zum Pionier der Rockmusik, der lärmte und Gitarrenwände aufbaute, die so mächtig waren, dass der Schauspieler Marlon Brando nur staunen konnte: "Die beiden lautesten Sachen, die ich jemals gehört habe, waren ein Güterzug, der an mir vorbeifuhr, und Bob Dylan and The Band."

Noch wichtiger war freilich, dass in diesen Jahren ein Dichter geboren wurde. Dylan brachte die Poesie in den Pop. Schon als Folkmusiker hatte er neben Traditionals auch selbst getextete Songs vorgetragen, und als Protestmusiker hatte er mit seinen Songs für eine Generation gesprochen. Statt für andere sprach der Rockmusiker Dylan plötzlich für sich, und repetitive Stücke wie "Desolation Row", das mit einer Länge von nie da gewesenen elfeinhalb Minuten den üblichen Rahmen sprengte, verdeutlichten, welche Prioritäten Dylan setzte. Der Song hat musikalisch keinen großen Spannungsbogen und dauert so lange, weil der Text so lang ist.

Die Texte von Popsongs waren bisher meist konventionell gewesen - in dem Sinn, dass sie von Sehnsucht, Liebe oder Kummer handelten. Alle. Dylan wurde zum Neuerer, weil seine Texte vom Ich in all seinen Facetten handelten, weil sie emotional waren und in ihrer Wiedererkennbarkeit Identifikationssignale an den Hörer sendeten. Dabei hatten sie eine semantische Tiefe und arbeiteten mit symbolischen Versen, die es so bislang nicht gegeben hatte. "Like A Rolling Stone" ist zunächst ein hasserfüllter Angriff auf eine Frau, vielleicht meint das lyrische Ich aber auch etwas anderes: die Plattenindustrie, die Elterngeneration.

Dylan hat durch das Beispiel, das er gab, als Komponist und Texter einen völlig neuen Werkbegriff geschaffen. Sein Werk ist von den manischen Fans und leidenschaftlichen Deutern auf Kongressen untersucht worden. Literatur über "His Bobness" füllt etliche Regalmeter. Man hat Dylans Texte erklärt, und man hat versucht, den Wandersmann, der sein Image oft wandelte, zu verstehen. Ein für viele kaum glaublicher Verrat war Dylans Konversion zum Christentum vor 30 Jahren. Dylan wurde plötzlich fromm und berichtete von einer Erscheinung im Hotelzimmer (na klar: Bewusstseinserweiternde Substanzen waren auch ihm nicht fremd), die den Rockstar läuterte und zum Prediger machte. Ein Album hieß bezeichnenderweise "Saved". Der kritische und emanzipierende, der aufklärerische Impuls des Rebellen war plötzlich perdu. Doch das ist Vergangenheit. Heute sitzt der Songwriter selbst im Pop-Olymp.