Moritz Rinke und Olaf Scholz diskutieren über die Terroranschläge vor zehn Jahren

Thalia-Theater. Am 11. September 2001 saß Moritz Rinke am Flughafen von Los Angeles und wartete. Doch American Airlines Flug 011, gebucht nach Washington, wurde gestrichen. Noch weiß Rinke nicht, dass die Boeing 767, die ihn nach Washington hätte bringen sollen, auf traurige Weise in die Geschichte eingehen wird - als eines der beiden entführten Flugzeuge, die von Terroristen ins World Trade Center gesteuert wurden. Die Offenbarung kam beim Steuerberater: "Ich wollte die Flugkosten einreichen. Erst dort wurde mir bewusst, dass es jene American-Airlines-Maschine war." Nach den Anschlägen saß er wie Tausende andere Touristen in den USA fest, fast zwei Wochen dauerte es, bis der Flugverkehr wieder freigegeben wurde.

Sonntagabend wird der Dramaturg mit Hamburgs Erstem Bürgermeister Olaf Scholz, vor zehn Jahren Innensenator in Hamburg, der "Spiegel"-Korrespondentin und Afghanistan-Expertin Susanne Koelbl und Moderator Joachim Lux im Thalia-Theater beim Themenabend "Nine Eleven in Hamburg - Zehn Jahre danach" über die Terroranschläge des 11. September diskutieren. Neben den eigenen Erinnerungen dürften auch die amerikanische Außenpolitik sowie der Tod von Osama Bin Laden und dessen Bedeutung für abendfüllenden Gesprächsstoff sorgen.

Wer an den 11. September zurückdenkt, wird sich wahrscheinlich zuerst daran erinnern, wo er gerade war, als ihn die Nachricht von den Anschlägen auf das World Trade Center erreichte. Mit dieser Frage hat sich auch Moritz Rinke 2003 im Episoden-Film "September" von Regisseur Max Färberböck beschäftigt. In vier Geschichtssträngen wird erzählt, wie vier unterschiedliche Menschen diesen Tag erlebten. Moritz Rinke schrieb am Drehbuch des Films mit und stand auch selbst als Schauspieler vor der Kamera.

Er spielt darin einen Autor, der kurz nach den Terroranschlägen einen amerikakritischen Text verfasst, der von seinem Chefredakteur rigoros abgelehnt wird. "Zu beschreiben, dass die Flugzeuge wie ein schrecklicher Bumerang der amerikanischen Interventionspolitik der letzten Jahrzehnte schienen, das wollte natürlich keiner hören", sagt Rinke. "Oder dass es außer dem Dschihad eventuell auch säkulare Motive bei den Terroristen gab. Grundsätzlich kam jede Frage, die sich außerhalb der amerikanischen Opferrolle befand, eher einer Todsünde gleich."

Die mediale Berichterstattung war in den Tagen unmittelbar nach den Anschlägen vor allem geprägt durch eine schier unstillbare Gier nach neuen Bildern. Die Geschehnisse waren so unfassbar, dass es anscheinend immer mehr "Beweis-Bildern" bedurfte, um die Tragödie fassbar zu machen. Immer detaillierter wurden die Menschen gezeigt, die aus dem 50. Stock der Türme sprangen, aus immer neuen Perspektiven wurde der Flug in die Gebäude gezeigt, mit Asche verschmierte Gesichter, betende Menschen, menschenleere Straßen - die Tragödie wurde ins Unermessliche gesteigert. Die "Bild"-Zeitung titelte "Gott steh uns bei", Experten überschlugen sich mit ihren Theorien, der Untergang des Abendlandes stand scheinbar kurz bevor.

Das muss nicht nur der von Moritz Rinke gespielte Autor in "September" am eigenen Leib erleben, sondern auch der echte Moritz Rinke. In einem Text für den Berliner "Tagesspiegel" schrieb er aus Los Angeles, dass der damalige Präsident George W. Bush am 11. September trotz aller Dramatik noch Zeit gehabt habe, an diesem Tag dreimal die Krawatte zu wechseln (vor seinen drei Fernsehauftritten). Die Folge auf seinen Artikel war eine Flut an empörten Leserbriefen, wie sie der Autor bisher nicht gekannt hatte.

Mittlerweile ist der Ausnahmezustand lang vorüber und die Terroranschläge medienübergreifend aufgearbeitet. Nach den Lobeshymnen und Verschwörungstheorien ist die differenzierte Betrachtung der amerikanischen Politik wieder Alltag geworden. Eine gute Zeit also, um sich einfach daran zu erinnern - über die Frage hinaus, wo man in diesen Stunden des 11. Septembers 2001 gerade gewesen ist.

Thalia-Freunde-Themenabend "Nine Eleven in Hamburg - Zehn Jahre danach" So. 22.5., 20.00 Uhr, Thalia-Theater (U/S Jungfernstieg), Raboisen 67, Karten 18 Euro, www.thalia-theater.de