Der Violinist Guy Braunstein ist ständig auf Achse. In der nächsten Saison macht er endlich auch bei den Hamburger Symphonikern Station

Hamburg. Das Lächeln ist äußerst nett, aber dass diese Pranken, Marke verdienter Traktorist, eine Violine nicht nur so halten können, dass sie nicht sofort entzweigeht, sondern in den schönsten und besten Tönen singt und jubiliert, das kann man sich kaum vorstellen. Hart also stoßen äußere Erscheinung und innere Werte aufeinander bei Guy Braunstein, dem "Artist in Residence" der Hamburger Symphoniker in der kommenden Saison.

Auch der Aufzug des Spitzenmusikers mittags im Hotel lässt nicht gerade auf den Inhaber eines der begehrtesten Posten in der großen weiten Geigenwelt schließen. Braunstein trägt Schlabberjeans und ein graues Oberteil, das nach Gefängnisdrillich aussieht. Nein, mondän ist nichts an der Erscheinung des doch so weltgewandten Herrn Konzertmeisters der Berliner Philharmoniker. Aber die landläufigen Vorstellungen vom Jetset der Top-Solisten gehören sowieso auf den Prüfstand, hört man Guy Braunstein über seinen Beruf erzählen. Am Vorabend hat er noch in Südfrankreich gespielt, die Nacht war kurz, am Morgen mussten drei Stunden Autobahn zum Flughafen runtergerissen werden, gleich ist Probe, abends wieder Konzert. Und so geht das eigentlich immer weiter.

Stünde in all der Atemlosigkeit, der Routine und Erschöpfung abends auf den Konzertbühnen nicht immer wieder diese verlässlich Kraftstoff spendende metaphysische Zapfsäule Musik, dann wäre Guy Braunstein vermutlich längst ausgebrannt. Die Magie des Zusammenspiels mit ähnlich verrückten und ebenso perfekt spielenden Kollegen, die Medizin guter Kompositionen und wohl auch der Energieaustausch zwischen Podium und Zuhörern bewahren ihn vor dem Burn-out.

Statt sich darauf zu beschränken, bei den Berliner Philharmonikern die erste Geige zu spielen, reist Guy Braunstein als Kammermusiker und Solist um die Welt, leitet ein Festival (in Rolandseck) und kommt in der nächsten Spielzeit zu insgesamt sechs Konzerten nach Hamburg, bei denen man ihn in allen Facetten erleben kann: "Spielen, dirigieren, spielen beim Dirigieren, Recitals und Kammermusik." Mit knappen Worten umreißt Braunstein das, was er in Hamburg vorhat: eine "Life Journey" durch sein Schaffen.

Als die Symphoniker ihn für die USA-Tournee mit Jeffrey Tate ("für mich eine der größten lebenden musikalischen Autoritäten") 2012 engagierten, entstand die Idee, noch mehr Musik mit ihm zu machen. "Das Violinkonzert von Edward Elgar war mein Wunsch", beteuert Braunstein. Der Brite Jeffrey Tate steht ohnehin in dem Ruf, gern Musik seiner Landsleute auf die Symphoniker-Programme zu setzen, und hätte dem Virtuosen den Elgar gerne ausgeredet. "Aber ich muss", sagt Braunstein, kein Freund langer Sätze.

Geboren am 27. August 1971 in der Nähe von Tel Aviv, mit sieben Jahren Geigenunterricht, ab 13 spielt er das Instrument "im Ernst". Zum großen Lehrmeister wird für Braunstein der Geiger Chaim Taub, langjähriger Konzertmeister des Israel Philharmonic. "Er ist der beste Musiker, den ich kenne." Mit 21 Jahren geht Braunstein nach New York, wo er mit Pinchas Zukerman studiert.

Die Karriere hatte aber schon vorher mächtig Fahrt aufgenommen. Beim Debüt mit den Berliner Philharmonikern war Braunstein 20, er spielte unter Zubin Mehta das Tripelkonzert von Beethoven: "Da kam ich direkt vom Militärdienst, mit fast kahl geschorenem Kopf. Ich sah aus wie ein Marine." Nach seiner Rückkehr nach Europa wollte sich Braunstein eigentlich als Freelance-Geiger in Paris niederlassen. Ein Probespiel bei den Berliner Philharmonikern mochte er sich dann aber doch nicht entgehen lassen. Sie ließen ihn nicht wieder weg. Seit 2000 lebt er mit seiner Frau, einer Flötistin, in Berlin.

Seinen Einstand als Residenzkünstler gibt Guy Braunstein am 27. Oktober mit Beethovens Violinkonzert. Welche Kadenz er spielt? "Meine eigene." Drei Tage später, beim 1. Kammerkonzert mit Musik von Mozart, Beethoven und Webern, teilt Braunstein die Bühne mit Kollegen der Symphoniker. Hinter "Guy & Friends" (1. Dezember) verbergen sich unter anderem der Solocellist und der Solobratscher der Berliner Philharmoniker. Auch beim Haspa-Neujahrskonzert am 8. Januar ist Braunstein dabei - mit dem Stück, mit dem das Orchester dann in die USA reist: dem Violinkonzert von Brahms.