Mit Blick auf den Streit um die Vertragsverlängerung von ZDF-Chefredakteur Brender fühle er sich nicht befangen, sagt Bernd Neumann.

Berlin. Kulturstaatsminister Bernd Neumann hat sein Büro ganz oben im Bundeskanzleramt. Er sitzt im achten Stock und damit eine Etage über Bundeskanzlerin Angela Merkel. Wenn er auf seine riesige Terrasse tritt, sieht er im Osten den Reichstag und im Norden den Berliner Hauptbahnhof. Beim Gespräch mit dem Abendblatt, für das er exakt eine Stunde Zeit hat, ist der BKM, der "Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien", hoch konzentriert. Als es um die Vertragsverlängerung von ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender geht, die Parteifreunde des Christdemokraten verhindern wollen, wird seine Stimme etwas lauter und seine Gestik lebhafter.

Hamburger Abendblatt: Herr Staatsminister, in vielen Kommunen wird derzeit über Kürzungen im Kulturetat nachgedacht. Das kann Sie doch nicht kaltlassen.

Bernd Neumann: Auf Bundesebene bin ich bisher mit gutem Beispiel vorangegangen; der Kulturetat des Bundes wurde in den letzten Jahren massiv erhöht. Natürlich verfolge ich Entwicklungen wie jetzt in Hamburg, Stuttgart und anderswo aufmerksam und werde mich gegebenenfalls auch einmischen. Ich habe dieses Thema in der Debatte zur Regierungserklärung zu meinem Schwerpunkt gemacht und mich solidarisch mit allen erklärt, die gegen Streichungen im Kulturetat kämpfen.

Abendblatt: In Hamburg steht die Senatsentscheidung morgen an. Von welchen Überlegungen würden Sie sich leiten lassen, wenn Sie Hamburger Senator wären?

Neumann: Erhöhungen sind für die Kultur natürlich immer das Beste, aber in kritischen Zeiten wird man sich auch den Forderungen nach Einsparungen stellen müssen. Das kann man in der Regel nur vor Ort beurteilen. Aber man sollte sich bewusst machen, dass Sparen bei der Kultur nur marginal zur Sanierung eines Haushalts beitragen kann, denn der Anteil der Kulturausgaben am Gesamthaushalt ist überall gering: in Hamburg gerade mal 2,49 Prozent. Der durch Sparmaßnahmen ausgelöste Schaden ist dagegen immens, denn er trifft in der Regel die vielen kleinen Kulturinitiativen besonders hart und bei großen Einrichtungen geht es in der Regel zulasten des Programms. Hamburg gehört zu den großen Kulturmetropolen in Deutschland. Ich würde mir wünschen, dass die Stadt für ihre Kulturpolitik keine negativen Schlagzeilen bekommt.

Abendblatt: Sie selbst haben es immer wieder geschafft, den Etat des Bundes für Kultur erhöhen zu lassen, von 2005 bis 2010 um mehr als zehn Prozent auf inzwischen fast 1,2 Milliarden Euro. Wie haben Sie Ihre Kollegen denn davon überzeugt?

Neumann: Die Grundlage war die Koalitionsvereinbarung. Darin haben wir vereinbart, dass die Förderung von Kultur keine klassische Subvention ist, sondern eine Investition in die Zukunft. Mit diesem Argument bin ich häufig bei den Haushältern gewesen. Das war Networking und viel Überzeugungsarbeit

Abendblatt: Sie unterstützen auch Kultur in Hamburg. Kürzlich erst haben Sie die Gedenkstätte Neuengamme in die institutionelle Förderung aufgenommen.

Neumann: Wir fördern viel in Hamburg - Denkmalschutz, interessante Kulturprojekte und kleinere Festivals. Das setzen wir fort. Die Voraussetzung ist aber, dass Hamburg in gleicher Weise mitfinanziert: Der Bund fördert nur, wenn das Land denselben Beitrag leistet. Ich bin mir sicher, dass Hamburg auch künftig nicht auf sinnvolle Unterstützung aus Berlin verzichten will.

Abendblatt: Sie verteilen auch Geld aus dem Konjunkturpaket II, aber da haben wir nicht viel gefunden, was nach Hamburg geht. Schläft die Stadt da beim Beantragen?

Neumann: Nein, Frau von Welck weiß durchaus sehr gut, wo außerhalb Hamburgs noch Gelder zur Verfügung stehen. Es gibt im Kulturbereich drei Projekte in Hamburg, die im Rahmen des Konjunkturpakets II gefördert werden: 100 000 Euro für die Restaurierung der Gelehrtenschule des Johanneums, für den Sektionssaal der Pathologie im Universitätsklinikum Eppendorf sind 225 000 Euro vorgesehen und für die Rekonstruktion der Aula der Hochschule für bildende Künste 100 000 Euro.

Abendblatt: Von der Kultur zur Medienkultur: Werden Sie morgen im ZDF-Verwaltungsrat mit der Gruppe um Ihren Parteifreund Roland Koch gegen eine Vertragsverlängerung von Chefredakteur Nikolaus Brender votieren?

Neumann: An der Debatte um Brender habe ich mich in der Vergangenheit öffentlich nicht beteiligt und will das auch jetzt nicht tun.

Abendblatt: 35 führende deutsche Staatsrechtler kritisieren die Zusammensetzung des ZDF-Verwaltungsrats, in dem viele Spitzenpolitiker sitzen, als verfassungsrechtlich fragwürdig.

Neumann: Die Zusammensetzung der Verwaltungs- und Rundfunkräte der öffentlich-rechtlichen Sender basiert auf Staatsverträgen oder Gesetzen, die von gewählten Volksvertretern beschlossen wurden. Wer der Auffassung ist, diese Gesetze seien zu hinterfragen, kann das tun. Aber im Augenblick gelten sie; so ist es auch beim ZDF. Bei öffentlich-rechtlichen Anstalten bedarf es öffentlicher Kontrolle. Es ist richtig, dass diese durch gesellschaftlich relevante Gruppen wahrgenommen wird, aber dazu gehören selbstverständlich auch die Vertreter der Parteien.

Abendblatt: Sie halten es also auch für unproblematisch, wenn Spitzenpolitiker über die Besetzung von Chefredakteursposten entscheiden, also über die Berufung von Leuten, die Sie, die Politiker, kontrollieren sollen?

Neumann: Wenn man das weiterdenkt, würden Politiker, weil sie irgendwie betroffen sind, nirgendwo mitwirken dürfen. Das wäre gar nicht richtig. Solange ich Mitglied des ZDF-Verwaltungsrates bin - also seit vier Jahren -, ist es das erste Mal, dass ein Teil dieses Gremiums einer Vorlage des Intendanten nicht zustimmen will und damit ein im Staatsvertrag verbrieftes Recht wahrnimmt. Es kann doch nicht sein, dass man deshalb nun das ganze System infrage stellt.

Abendblatt: Es gibt 35 Staatsrechtler, die genau das tun.

Neumann: Sie werden bestimmt auch 35 Juristen finden, die das exakte Gegenteil sagen. Aber bitte: Man kann über alles diskutieren. Wenn man meint, man müsse Staatsverträge oder Gesetze ändern, soll man das tun, wenn man dafür parlamentarische Mehrheiten findet. Aber als einziges Mitglied der Bundesregierung im ZDF-Verwaltungsrat fühle ich mich nicht befangen, nicht an Weisungen gebunden und völlig frei in meiner Entscheidung, die ich nach Sachgesichtspunkten treffen werde.

Abendblatt: Zu Ihrem Amtsbereich gehört auch die "Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung", in der zurzeit alles vom Streit über den Sitz von Vertriebenenpräsidentin Erika Steinbach im Stiftungsrat überlagert wird.

Neumann: Der Stiftungsrat arbeitet, und unabhängig von der Personalie Steinbach geht der Aufbau der Dokumentationsstätte in Berlin planmäßig voran. Der Stiftungsrat hat 13 Sitze, ich bin der Stiftungsratsvorsitzende, und der Bundesverband der Vertriebenen hat das Vorschlagsrecht für drei Mitglieder. Zwei sind vorgeschlagen worden, ein Platz ist aus den bekannten Gründen bisher nicht besetzt. Die Klärung dieser Problematik entzieht sich meiner Verantwortung; ich gehe aber davon aus, dass sie in absehbarer Zeit erfolgt. Die Positionen sind ja bekannt. Das könnte im direkten Gespräch von Herrn Westerwelle, dessen FDP ja mit einem Veto droht, und Frau Steinbach gelöst werden. Es nutzt keinem, wenn wir damit immer wieder in den Schlagzeilen sind.

Abendblatt: Die Bundeskanzlerin hat vergangene Woche auf den Zeitschriftentagen den Verlegern versprochen, den Mehrwertsteuersatz auf Presseprodukte nicht zu erhöhen. In Großbritannien sind sie ganz von der Mehrwertsteuer befreit. Warum nicht auch in Deutschland?

Neumann: Steuersachverständige sagen mit Recht, dass die Steuergesetzgebung eines Landes als Ganzes gesehen werden muss und Einzelaspekte nicht isoliert betrachtet werden können. Ein System, das in einem ganz bestimmten Punkt Vorteile bietet, ist an anderer Stelle mit Sicherheit wieder unvorteilhafter als unseres. Die Kanzlerin hat auf den Zeitschriftentagen übrigens auch versprochen, einen ermäßigten Steuersatz für kostenpflichtige Inhalte im Internet zu prüfen. Mehr kann sie in Zeiten knapper Kassen nicht tun. Wir wissen aber angesichts der schwierigen Situation der Presseverlage, dass wir die Rahmenbedingungen verbessern müssen. Beispielsweise dürfen wir keine weiteren Werbebeschränkungen akzeptieren.

Abendblatt: Warum hat sich dann Bundesumweltminister Norbert Röttgen im EU-Umweltrat nur der Stimme enthalten, als es um die Kennzeichnungspflicht des Energieverbrauchs in Anzeigen für Haushaltsgeräte ging?

Neumann: Sein Abstimmungsverhalten entspricht in diesem speziellen Punkt nicht der generellen Beschlusslage der Bundesregierung. Ein weiterer wichtiger Punkt ist das Leistungsschutzrecht für Verlage. Diese Forderung haben wir in den Koalitionsvertrag aufgenommen. Und wir wollen das Medienkonzentrations- und Pressekartellrecht überprüfen.

Abendblatt: Sie wollten die Digitalisierung der deutschen Kinos aus Mitteln der Filmförderung unterstützen. Dieser Plan ist am Widerstand insbesondere der Kinokette UCI gescheitert, die das System der deutschen Filmförderung grundsätzlich ablehnt und die Kinoabgabe, die der Filmförderung zugute kommt, nur unter Vorbehalt zahlt. Sie beruft sich darauf, dass die Kinos mit einer Klage Erfolg hatten, in der die Kinoabgabe infrage gestellt wird, weil sie im Gegensatz zur Abgabe der Sender nicht frei ausgehandelt wird. Wie geht es denn nun weiter?

Neumann: Wir werden nun auch für die Sender eine gesetzlich festgelegte Abgabe einführen. Wenn auf diese Weise der Klage die Grundlage entzogen wird, kann nicht länger nur unter Vorbehalt gezahlt werden. Für manche Ketten scheint es ein Ziel zu sein, kleinere Wettbewerber vom Markt zu drängen. Wir aber wollen die bestehende Kinolandschaft erhalten. Gerade in der Fläche hat das Kino eine besondere kommunikative Funktion. In einem zweiten Schritt werden wir uns möglicherweise bei der Förderung der Digitalisierung auf die kleinen Kinos konzentrieren. Ich hoffe aber nach wie vor, dass man zur Vernunft kommt.