Die meisten Menschen wollen heute effizient reisen, deshalb sind Tramper selten geworden. Maiken Nielsen thematisiert das in ihrem Buch.

Hamburg. Der Horner Kreisel dreht und dreht sich. Täglich spuckt er Tausende Autos aus, in Richtung Osten vor allem, in die Hauptstadt zum Beispiel. Manchmal stehen hier noch welche, die haben eine kartonierte Hoffnung auf Ausflucht in der Hand. Auf der steht dann eigentlich immer: "Berlin". Das sind sie, die Menschen, die immer noch per Anhalter reisen. Das ist umsonst. Man muss nur das Glück haben, dass einen jemand einsteigen lässt. Die Kulturtechnik des Trampens war mal ziemlich en vogue. Jetzt verblasst sie und scheint von der Zeit überholt.

Es gab mal eine Zeit, da standen sie hintereinander gereiht an den Autobahnausfahrten, die "Autostopper", und reckten die Daumen raus. Generationen von mehrheitlich jungen Reisenden fuhren in fremden Fahrzeugen quer durch Europa. Was sie brauchten, hatten sie in einem Rucksack dabei, und wenn sie ganz frei waren, wussten sie das Ziel ihrer Reise noch nicht. Niemand hat sie je gezählt, Tramper waren nie eine statistische Größe. Weshalb ihr Verschwinden nicht wirklich auffällt. Tramper waren wie Tarnkappen des Transits: hineingeschmuggelt in die Ströme der Reisenden, denen untergejubelt, die sicht- und zählbar waren auf den Autobahnen, in den Zügen oder den Flugzeugen. Trampen hatte (und hat) etwas Anarchisches, es atmet Freiheit.

Und neben den romantischen Assoziationen und dem Schwinden ihrer Anziehungskraft fallen einem noch ein paar andere Dinge ein, die vielleicht dafür gesorgt haben, dass das Fahren als Anhalter heute wie ein Anachronismus wirkt, wenn es denn noch hier und da stattfindet. Da ist zum Beispiel der Ausschluss des Zufalls, der unbekümmert von irgendwelchen altmodischen Gefühlsduseleien voranschreitet. Die finanziellen Möglichkeiten übersteigen die Reiseaktivitäten und das Fernweh der allermeisten heute nicht mehr; es gibt solche Erfindungen wie das "Wochenend-Ticket", und es gibt Billigflieger und Mitfahrgelegenheiten, die über das Internet organisiert werden. Durch die Demokratisierung des Verreisens wurde selbiges angenehmer und komfortabler.

Der Zufall ist zunächst einmal das Gegenteil von komfortabel. Wenn auch der Zufall, den manche auch klug und philosophisch "Kontingenz" nennen, wenn die Schicksalhaftigkeit des Lebens nie ganz bewältigt werden kann, so arbeiten wir doch daran, sie durch Fortschritt und Verfeinerung nach Möglichkeit auszuschließen. Alles ist planbar. Es geht um Zeitgewinne und Maximierungen: um die Ordnung der Dinge im durchorganisierten Alltag. Der Regisseur Andres Veiel sagt in einem seiner frühen Dokumentarfilme, dem sehr persönlichen "Die Überlebenden", der aus dem Jahr 1996 stammt: "Unsere Gesellschaft ist geprägt von Effizienzdenken. Heute hat keiner mehr Zeit zum Trampen. Das Nichtvorhersehbare war der Reiz, der das Trampen in den 70er-Jahren zum Volkssport machte."

Wenn nicht alles täuscht, hat sich der nicht nur in soziologischem Zusammenhang festgestellte Optimierungszwang auch in der (verständlichen) Unlust niedergeschlagen, den erreichten Status quo wieder zu verlassen.

Wo die meisten erschwingliches Reisen als Akt der Freiheit verstehen, betrauern die Agenten des Früher-war-alles-besser den Verlust der wahren Freiheit: so lange und so ziellos, so umständlich und abschweifend zu reisen, wie es nur geht. Die Hamburger Autorin Maiken Nielsen hat ein sentimentales und kurzweiliges Erinnerungsbuch über die Wanderjahre ihrer Jugend geschrieben. Es heißt ein wenig betulich "Trampen. Durch die Welt mit Glück und Neugier" (Corso Verlag) und beschreibt, was passiert, wenn eine Tochter aus gutem Hause auf motorisierte Wanderschaft geht.

Die privilegierte Herkunft eines Trampers (langhaarige, studentische Bürgersöhne lebten ihr Rebellentum auch in der Wahl ihrer Reisemittel und -ziele aus) korrespondierte im Übrigen mit der Hochgerüstetheit des Westens. Getrampt wurde in dem Teil der Welt, in dem Planungssicherheit, Struktur und Organisation auf hohem Niveau herrschten. Das Bedürfnis, den Fortschritt zu unterwandern, äußerte sich in der Anhalterei. Dass die auch gefährlich war, erhöhte den Reiz. Anders gesagt: Trampen befriedigte die Abenteuerlust gelangweilter Wohlstandskinder.

Dass das Trampen vor allem eine Hippie-Praxis war, erklärt ihren Niedergang knapper als alles andere: Mit den langen Haaren verschwand (beinah) ein Lebenskonzept, zu dem auch immer eine bestimmte Art zu reisen gehörte. Anhänger hat das Trampen übrigens immer noch. Und Menschen, die den Wert der überkommenen Handlung erkannt haben - Stichworte: Umweltschutz! Völkerverständigung! Geografiekenntnisse! Seit einiger Zeit gibt es das Tramperrennen , in dem sich Anhalter miteinander messen. Müßiggang is nicht: Es gewinnt der, der am schnellsten von A nach B kommt.

Maiken Nielsen liest heute, 20.30 Uhr, in der Buchhandlung Heymann (Eppendorfer Landstraße 77) aus ihrem Buch "Trampen".