Obwohl sie gar keinen Jazz spielen, machten türkische Musiker bei der Jazzahead den stärksten Eindruck. Das Festival fand zum sechsten Mal statt.

Bremen. Musikfestivals sind wie Flüsse. Ihre Besucher stehen am Ufer der Klänge, halten die Angel in die mal reißenden, mal stillen, mal einfach nur vor sich hinfließenden Gewässer und hoffen, dass unter all den Fischen, die vorbeischwimmen, einer anbeißt, mit Petri gütiger Hilfe am besten mehrere. Auf der Jazzahead in Bremen, die am Wochenende zum sechsten Mal stattfand und die viel mehr ist als nur ein Festival, nämlich eine einzigartige Mischung aus Konzertmarathon, Messe und Kongress, zogen Fische aus vieler Herren Gewässer zwei Nachmittage lang im Halbstundentakt an Augen und Ohren vorbei. Und abends in den Klubs schwammen auch jede Menge davon herum.

Lag's am Köder, lag's an der Angel, dass der Fischer vom Abendblatt diesmal so wenig mit nach Hause brachte, die Leser zu speisen? Nein, es lag natürlich an den Fischen, sagt der Angler betrübt. Ich hab dieses Mal bei keinem so richtig angebissen.

Bei zweien, deren Schuppen eindeutig in den Farben des Jazz schillerten, dann aber doch. Das Orchester des französischen Komponisten Jean-Marie Machado lieferte eine bezaubernd wilde, wegen ihrer bevorzugt ungeraden Taktarten schwer zu spielende und beieinanderzuhaltende Tanzmusik für große Besetzung, die auf sehr europäische Weise die Tradition von Frank Zappa und Carla Bley fortführt.

Und beim Quartett des Trompeters Frederik Köster ließ sich gut studieren, welche Qualität auch und gerade der improvisierten Musik zuwachsen kann, wenn ihre Interpreten schon lange zusammenspielen. Ihre frei und individuell geführten Linien auf Trompete, E-Gitarre, Kontrabass und Schlagzeug führten die vier zu einem gemeinsamen Sound zusammen, kraftvoll und schön wie ein seltenes Naturschauspiel; der fliegende Fisch der Jazzahead.

Der künstlerische Glanzpunkt aber kam aus einem Land, das der Verfertigung international konkurrenzfähiger Jazzklänge bislang eher unverdächtig war: aus der Türkei. Als diesjähriges Gastland der Jazzahead mussten die Türken zwar einen stiefmütterlich zugewiesenen Messestand abseits der großen Besucherverkehrsströme erdulden. Dafür aber hatten die Organisatoren der auch in Bremen stark vertretenen türkischen Bevölkerung einen Abend mit Sezen Aksu spendiert. Das fast ausschließlich türkische Publikum trug diesen Star derart auf Händen, dass man ganz neidisch wurde - nicht auf Frau Aksu, sondern auf ihre Fans.

Wer unter den deutschen Künstlern weckt bei uns derart selige Begeisterung? Besucher jeden Alters konnten Aksus lange, verschlungene Melodien mitsingen - nicht immer tonrein, dafür voller Inbrunst. Die stämmige Sängerin mit dem Blondschopf ist eine echte Erscheinung, überirdisch wie ein schwerer Engel. Im einen Augenblick sieht sie aus wie ein Kind, im nächsten so lebenserfahren wie dessen Großmutter. Eine Volkssängerin, geliebt und verehrt wie einst Chavela Vargas und Mercedes Sosa in Lateinamerika. Sonderbar nur für den deutschen Gast eines deutschen Konzerthauses, dass Frau Aksu kein Wort auf Deutsch oder Englisch sprach.

Bei der "Turkish Night" breiteten dann vier hierzulande kaum bekannte Bands im Schlachthof ihre überwiegend berauschend eigenständige Musik aus. Schon die kammermusikalisch fein verästelten Klänge des Trios um die Pianistin Ayse Tütüncü gaben einen Eindruck von der vorderasiatischen Tradition des Improvisierens, die schon ein paar Jahrhunderte alt war, ehe Buddy Bolden und Jelly Roll Morton in St. Louis sich zu Vätern des Jazz erklärten.

Das Erkan Ogur & Derya Türkan Duo entführte die Hörer dann mit unbeschreiblich filigraner Saitenmusik in den tiefsten Orient. Auf der bundlosen Gitarre spielte Ogur so fließend, leidenschaftlich und dabei schwerelos, als sei er Paco de Lucias türkischer Bruder. Und Türkan strich aus der birnenförmigen Kniegeige Kamancheh derart herzzerreißend sanfte Melodien, dass das Auditorium fast wie in Trance lauschte. Klar war das kein Jazz. Aber wenn Musik so vom Menschen erzählt, von der Liebe, vom Leiden, von der Sehnsucht: Dann legt man leise die Angel aus der Hand und sinkt dankbar auf die Knie.