Wie Carin Vogel, die Witwe des früheren HFBK-Präsidenten, das gemeinsame Lebenswerk verlor. Am Dienstag werden die Spitzenwerke versteigert.

Hamburg. Carin Vogel blickt aus dem Fenster eines Pflegeheims westlich der Alster vom fünften Stock auf einen kleinen, wohlgeordneten Park. Draußen blühen die Kastanien. Die 68-jährige Witwe des ehemaligen Kunsthochschulpräsidenten und Kunstsammlers Carl Vogel ist nach einem Schlaganfall pflegebedürftig, sitzt im Rollstuhl und sorgt sich um ihr Lebenswerk. Sie wird von einer Freundin der Familie betreut.

Carin Vogel spricht schnell, in klaren Sätzen, manchmal sogar mit einem Funken Ironie. Es geht um ihr Leben für die Kunst, es geht um die gewaltige Grafiksammlung, die sie über Jahrzehnte mit ihrem verstorbenen Mann Carl aufbaute und die heute Millionen wert ist.

Es ist ihr Lebenswerk - sie sieht es jetzt zerstört. Nicht nur ihr Lebenswerk, es ist ein Versprechen, das sich zwei Menschen gaben. Aus Karin wurde Carin, damit der Name "C&C Vogel" klingt und das Vermächtnis ihres Mannes eingelöst wird: aus den 20- bis 30 000 Kunstwerken ein eigenes Museum in Hamburg zu machen. Sie ist heute überzeugt, in die Hände von falschen Freunden geraten zu sein.

Je mehr man sich mit dem Fall beschäftigt, desto klarer wird: Der Weg der Sammlung bis in die Auktionshäuser ist kein Zufall. Eine ganze Reihe aus Helfern, Anwälten, Firmenchefs und sozial Engagierten hat bei dieser langen Geschichte von Anfang an zusammengewirkt. Deswegen ist die Sammlung Vogel jetzt bedroht: Auf zwei Versteigerungen bei Kölner Auktionshäusern am Dienstag soll sie ihre attraktivsten Stücke verlieren - 200 Originalblätter und andere Werke weltbekannter Künstler. Aufgerufen für 1,4 Millionen Euro.

Carin Vogel hatte die Sammlung 2006, drei Monate nach dem Tod ihres Mannes, in eine Stiftung eingebracht - um nach ihrem Verständnis ein eigenes Museum und ein Mitspracherecht sicherzustellen. Stattdessen sieht sie den Ausverkauf. Freunde der Familie halten das für "legalen Kunstraub".

Das Unglück beginnt 1991 mit vier Ausstellungen in der großen Deichtorhalle: Zu sehen sind 10 000 Werke von 256 Künstlern der Sammlung C&C Vogel. Rastloser Motor dabei ist Carl Vogel, seit 1962 Professor an der Hochschule für bildende Künste am Lerchenfeld, von 1976 bis 1989 ihr agiler Präsident. Ein Mann so widerborstig wie seine Frisur, befallen von der Idee, so viele zeitgenössische Kunstwerke zu besitzen, dass eine Lehrsammlung entsteht, die die Wege der in der Kunstwelt so aufregenden 70er-Jahre aufzeichnet. Andy Warhol und Gerhard Richter sind genauso dabei wie Sigmar Polke und Joseph Beuys, die Vogel als Professoren an die HFBK holte. Diese Sammlung hat Vogel tatsächlich zusammengetragen. Ihren Wert schätzte er zuletzt auf zehn Millionen Euro.

Kann sein, dass Carl Vogel sich selbst ausgetrickst hat. 1991 steht auf dem Ausstellungsplakat ein verlockendes Angebot: "Wer ein geeignetes Gehäuse als Museum zur Verfügung stellt (Privatperson, Firma, Gemeinde), kann alles geschenkt bekommen."

Auf seinen millionenschweren Kunstköder reagiert ein Mann, der Charme und Witz besitzt und in jungen Jahren als einer der Großen der Hamburger Musikszene galt: Wolf-Dieter Wilsdorf, 1979 mit der Markthalle finanziell gescheitert. Wilsdorf gibt sich als Triebfeder des Museums C&C Vogel.

Neben Wilsdorf will ein weiterer Mann die Museumspläne unterstützen: Ernst Gernot Meie, Immobilienbesitzer, der später als Eigentümer des "Horrorhauses" am Grindelberg zu zweifelhaftem Ruhm kommt. Er sitzt damals in einem alten Gebäude am Hafen. Dort kann die Sammlung Vogel kostenfrei eingelagert werden.

1992/93 gibt es detaillierte Berechnungen für ein Museum am Brandshofer Deich; als Bauherr steht da: Ernst Gernot Meie. Tatsächlich passiert nichts. "Wir wurden rauf und runter belogen", so sieht Carin Vogel das heute.

Carl Vogel ist plötzlich von anderer Seite ein gefragter Mann. 1995 verkauft er 1800 Blätter von Horst Janssen für 1,5 Million Mark nach Oldenburg, wo ein Janssen-Museum entsteht. Und erwirbt vom Erlös neue Kunstwerke.

2004/2005 lässt er sich von einer neuen Idee Wolf-Dieter Wilsdorfs euphorisieren: Die Werke könnten in einem Speicher an der Sorbenstraße 22 gezeigt werden. Kleiner Schönheitsfehler: Die Sorbenstraße in Hammerbrook ist keine Museumsgegend, nebenan liegt die Süderstraße, der Hamburger Straßenstrich.

Ernst Gernot Meie weist selbst darauf hin, dass seine Immobilie dort noch "insolvenzbefangen" sei. Immerhin könnten Carin und Carl Vogel ihre Sammlung dort kostenfrei lagern - auf eigenes Risiko. Doch auch der Standort Sorbenstraße 22 bringt den Vogels kein Glück.

Allerdings wird die Idee einer Stiftung geboren. Am Ende wird es eine Stiftungs-GmbH, die nicht der Stiftungsaufsicht unterliegt. Geschäftsführer und Alleingesellschafter ist der renommierte Hamburger Anwalt Walter Lichte: Im Juni 2004 lässt er die Firma "Stiftung zur Förderung von Innovationsprozessen in gemeinnützigen Einrichtungen - die Stiftungsförderungs-GmbH" ins Handelsregister eintragen. Sie wird vom Finanzamt als gemeinnützig anerkannt. Später wird im Schenkungsvertrag stehen, dass Wolf-Dieter Wilsdorf eine gemeinnützige Organisation benennen darf, der die Schenkung der Sammlung zugute kommt.

Zunächst aber schreibt Meie an Wilsdorf, die Stiftungsfirma könne ein Teilgrundstück an der Sorbenstraße 22 kaufen, das Meie gehört. Dies würde 2,5 Millionen Euro in die Kasse des Immobilienmanagers spülen. Das wäre hilfreich; ihn plagt gerade eine andere Baustelle: das Grindelhochhaus Oberstraße 14, "Horrorhaus" genannt, das von einem Anfang 2005 eröffneten Insolvenzverfahren betroffen ist.

Zu der Zeit geht es Carl Vogel immer schlechter. Er weiß seit Herbst 2005, dass er nicht mehr lange leben wird. Noch aber sind so viele Details zu Stiftung und Museum ungeklärt.

Der charmante Wolf-Dieter Wilsdorf wird immer häufiger in der Nähe von Carin und Carl Vogel gesehen. Am 6. Februar 2006 stirbt Carl Vogel. Bei der Beerdigung ist auch Wilsdorf an der Seite der Witwe. Er kann ihr auch Hoffnung machen: Um die Last der Sammlung will er sich kümmern.

Das geht dann rasch: Carin Vogel wird Alleinerbin, nachdem Carl Vogels Bruder auf sein Erbteil verzichtet. Am 31. Mai 2006 geht die gesamte Sammlung per notariell beurkundeter Schenkung in das Eigentum der "Stiftungsförderungs-GmbH" über - erbschaftssteuerfrei. So hat es im Vorhinein Walter Lichte ausgelotet. Was die Schenkung alles umfasst, zählt der Vertrag auf. Welche Pflichten die Beschenkte hat mit keinem Wort. Von da an hat Carin Vogel mit ihrer Ex-Sammlung nichts mehr zu tun, sie muss nicht mal gefragt werden, wenn verkauft werden soll. Das begreift sie heute nur schwer.

Wie konnte es dazu kommen? Tatsache ist, dass eine Witwe kurz nach dem Tod ihres Mannes den Menschen um Wilsdorf gegenübersteht, denen sie voll vertraut. Sie lässt sich lange nicht von Dritten beraten - ein Versäumnis, das sie jetzt vor Gericht in eine missliche Lage bringt. Denn ein Gericht erwartet - auch von Menschen, die sich nur in künstlerischen Kreisen bewegen -, dass sie Fristen einhalten können. Carin Vogel sagt, sie hätte davon gar nichts gewusst, man habe ihr den Schenkungsvertrag zwar vorgelesen, Fragen habe sie damals aber keine gestellt.

Das nützt ihr jetzt nichts. Im Mai 2008 werden die ersten Werke mit Arbeiten von Sigmar Polke im Kunsthaus Lempertz in Köln versteigert, Erlös: mehr als 600 000 Euro. Carin Vogel ist entsetzt. Sie sucht Rechtsrat, verzichtet aber auf ein juristisches Vorgehen. Wenige Wochen nach der Auktion gibt Walter Lichte die Geschäftsführung der Stiftungsförderungs-GmbH ab - an Marianne Veng, die Frau von Wolf-Dieter Wilsdorf. Im Juli 2009 wechselt auch der Alleingesellschafter der "Stiftungsförderungs-GmbH". Man ahnt: Nun ist es der nette Herr Wilsdorf.

Für Dienstag sind in Köln zwei weitere Versteigerungen angesetzt. Verzweifelt versuchen Carin Vogel und ihre Betreuerin im Eilverfahren, die Kölner Auktionshäuser Lempertz sowie Venator & Hanstein zu stoppen. Das scheitert, unter anderem, weil Frau Vogel versäumt hat, fristgerecht (also viel früher) gegen die bedingungslose Schenkung Einspruch einzulegen.

In dieser Gerichtsverhandlung wird klar: Der nette Herr Wilsdorf und seine Ehefrau haben die wertvollen Teile der Sammlung für die Stiftungs-GmbH schon zwischenverkauft - im Herbst 2009 an eine frisch gegründete "IGB Kunst GmbH" in Hamburg. Deren Geschäftsführer wollen sich gegenüber dem Abendblatt nicht dazu äußern. Auch Wilsdorf und seine Frau wollen sich gegenüber dem Abendblatt weder zur Verwendung der Auktionserlöse, an denen die Stiftungs-GmbH beteiligt ist, noch zu anderem äußern. Rechtsanwalt Lichte antwortete gar nicht auf die Abendblatt-Fragen.

Am Dienstag wird Carin Vogel wieder vom Rollstuhl aus in den Park schauen, während sich auf den Auktionen in Köln Sammler aus aller Welt um die Werke scharen. Sie weiß: An diesem Tag zerplatzt ihr Lebenstraum.