Der Titel dieser Kolumne "Offen gesagt" ist wie ein Vorhang aus Gazestoff. Wer ihn aufzieht, findet dahinter ein paar Zeilen Pressefreiheit, Tag für Tag - aber nichts, das nicht auch an einem anderen Ort in unserer Zeitung oder in jedem Blatt der westlichen Welt geschrieben werden dürfte. Ohne Gefahr für Leib und Leben können wir offen sagen, was immer uns beliebt. In manchen Ländern aber trennt der Beton der Zensur und der Repressalien das offene Wort vom Leser.

Gestern im Kaisersaal des Rathauses war wieder mal eine Stunde der Demut für uns Journalisten, die wir einen zugespitzten Kommentar oder gedankliche Pirouetten meinen, wenn wir mal wieder etwas offen gesagt haben. Zum elften Mal verlieh die "Zeit"-Stiftung ihre Gerd-Bucerius-Förderpreise Freie Presse Osteuropas. Dass die sieben ausgezeichneten Journalisten und Medien Preisgeld mit nach Hause nehmen, ist fast nebensächlich.

Die Preise sind als Anerkennung für unabhängigen Journalismus gemeint, auch als kräftig geschlagene Alarmglocke, die uns allen in den Ohren gellen soll: Wer in den Ländern der zerfallenen Sowjetunion publizistisch arbeitet, sitzt am besten mit kugelsicherer Weste am Laptop. 2009 wurden in der Russischen Föderation neun Journalisten ermordet. Hochachtung vor den Kollegen, die sich davon nicht abschrecken lassen - und vor dem offen gesagten Wort. Andernorts hat es so viel (Wirkungs-)Macht, dass, wer es aufschreibt, vielleicht mit seinem Leben dafür bezahlt.