Warum fiese Familien in Kino und TV faszinieren

In den 70er-Jahren zog "Ekel Alfred" im deutschen Fernsehen über Gastarbeiter und streikende Gewerkschafter her, rückte die Sozialdemokraten in die Nähe von plündernden Tataren und titulierte seine Frau Else in der Regel als "dumme Kuh". Die Einschaltquoten für die Serie "Ein Herz und eine Seele" waren enorm, der "hässliche Deutsche" wurde zum Fernsehhelden.

Bis heute hat es eine ganze Reihe von weiteren Anti-Helden gegeben, die zu Kultfiguren der Unterhaltungsindustrie geworden sind, obwohl man sie definitiv nicht zur eigenen Geburtstagsparty einladen würde oder den Jägerzaun mit ihnen teilen möchte. Wie die Whisky saufende Ma Flodder zum Beispiel, die mit ihrer Proleten-Sippe in das holländische Nobelviertel "Sonnental" einzieht und dort bald zur meist gehassten Familie wird. Oder der Damenschuhverkäufer Al Bundy, ein klassischer Verlierer, der seine Demütigungen mit einem unreflektierten US-Patriotismus kompensiert. Auch der von Drogen abgewrackte Rocksänger Ozzy Osbourne, der in einer Reality-Soap seine zerstörte Familie vorführt und die Comic-Figur Homer Simpson, ein chaotischer Patriarch und Gegenteil politischer Korrektheit, sind populäre Beispiele für diese Faszination des menschlichen Grauens.

In dieser Woche kommt eine belgische Variante dieser dysfunktionalen Familien in die Kinos. "Die Beschissenheit der Dinge" beschreibt das Leben der Familie Strobbe. Die Strobbes sind ein Männerclan mit einem geradezu bösartigen Durst auf jede Form auf Alkohol, einem kaum zu stillenden Hunger auf Pommes Frites und rohe Würste und einer Überproduktion von Testosteron, die mit ständigen Prügeleien, Weltrekordversuchen im Biertrinken und Nackt-Fahrrad-Rennen abgebaut werden muss. Der Ausnahmezustand ist hier Normalität.

Aber was heißt schon Normalität? Steckt nicht auch in jedem von uns manchmal das Verlangen, so richtig auszuflippen? Der gerade gewesene Vatertag ist ein Paradebeispiel für so ein kollektives Über-die-Stränge-schlagen-dürfen. Sich schon um zehn Uhr vormittags mit Freunden zu treffen, am besten noch verkleidet, um auch sichtbar zu machen, dass man in eine Rolle außerhalb seiner Schlips-und-Kragen-Normalität geschlüpft ist. Genügend Gesprächsstoff für das nächste Treffen mit den Freunden ist sicher, dann bekommt man die Peinlichkeiten erzählt, an die man sich partout nicht mehr erinnert.

Wir lieben die Grenzüberschreitungen, aber wir sind Gefangene vieler gesellschaftlicher Tabus. Wie leicht kann man mit einer einfach dahin gesagten Bemerkung gleich mit beiden Füßen in einen Fettnapf gesprungen sein, wie schnell mit einem nicht ganz ernst gemeinten Bonmot als Rassist, Antisemit oder Frauenfeind abgestempelt werden. Darf man eigentlich diese schokoladenüberzogenen klebrigen Schaumprodukte noch Negerkuss nennen? Figuren wie Al Bundy und Homer Simpson übernehmen deshalb gewisserweise eine Stellvertreterfunktion. Sie sprechen das aus, was wir nicht einmal zu denken wagen dürfen.

Im Falle der von Wolfgang Menge konzipierten Figur des "Ekels Alfred" war es erstklassige Satire. Alfred Tetzlaff war ein Spießer und Chauvinist, der vieles aussprach, was an reaktionärem Gedankengut in weiten Teilen der Gesellschaft verbreitet war (und ist). "Ein Herz und eine Seele" war eine Form politischen Entertainments, die sich jedoch Vorwürfen ausgesetzt sah, gerade die Haltungen zu verstärken, die sie eigentlich kritisierte. Die Flodders, die Strobbes und die Osbournes sind da weniger politisch. Sie sind Phänomene des sogenannten White Trash. Über den erhebt man sich gern, über den lacht man gern, weil er ja so weit von seiner eigenen Haustür entfernt ist. Oder?