Die Soul-Sängerin und R&B-Künstlerin, Alicia Keys, gibt ein viel umjubeltes Konzert in der O2 World, mit dick aufgetragenen Gefühlen.

Hamburg. Es sind ein paar vibrierende Gitarrensoli, die durch die Arena kreischen, als sich Alicia Keys ein anderes Outfit anzieht. Keys ist eine Souldiva und R&B-Künstlerin, sie ist in einer Gattung zu Hause, zu der das englische Wort "clean" gut passt: ein reiner Sound, sauber produziert. Hier sind alle Tonspuren exakt abgemischt, alles wirkt spielerisch leicht, ist aber das Ergebnis harter Arbeit. Keys, die Anfang des vergangenen Jahrzehnts berühmt gewordene Sängerin aus dem New Yorker Stadtteil Hell's Kitchen, ist eine prominente Vertreterin einer enorm geldwerten und hohen Kunst. Nämlich der, mit soulful vorgetragenen, auf der Stimme des Interpreten bauenden Arrangements, Herzen zu gewinnen.

Verzerrte Gitarrenklänge passen gar nicht in diesen Sound, sie sind aber an dem Abend vor Himmelfahrt ein interessanter Brückenschlag zu der Großveranstaltung, die in der Sport-Arena neben dem Amüsiertempel stattfindet: dem Endspiel der Europa League. Fußballfans (zumindest denen auf den billigen Plätzen) würden wohl allenfalls der E-Gitarre etwas abgewinnen. Und namentlich der White-Stripes-Sänger Jack White, dessen "Seven Nation Army" in keinem Stadion fehlen darf, ist dann wohl beiden Fanlagern ein Begriff: "Another Way To Die", der von White und Keys gemeinsam interpretierte Bond-Song, ist einer der ersten im Set der 29-Jährigen.

Die sehr, die überaus aparte Sängerin spielt an diesem Abend in einer gut gefüllten O2 World, einen niedlicheren Augenblick als diesen gibt es nicht während der insgesamt 95 Minuten: Alicia Keys stolziert wie ein Bond-Girl die Treppe herunter, angetan mit schwarzem Leder, die Augen blitzen. Das sieht man gut auf den Bildschirmen. Dabei legt es die zwölffache Grammy-Gewinnerin nicht darauf an, niedlich zu sein: Ihre Karriere ist geradlinig verlaufen, mit fünf bekam sie bereits Ballett- und Klavierunterricht, mit 20 hatte sie ihren ersten großen Hit "Falling". Ihre Mutter erzog sie allein, und sie scheint sehr streng dabei gewesen zu sein.

Aber nicht diejenige, die ihrer Tochter das Vorankommen erschwerte; das Konzert beginnt mit einer Selbstaussage, "Ich habe es geschafft, obwohl alle gesagt haben, dass ich es nicht schaffe." Eingeblendet auf dem Bildschirm, danach beginnt das Intro "Caged Bird". Keys steht in einem Käfig, aus dem sie sich aber schon im ersten Song befreien kann. Eine etwas plumpe Symbolik, aber um dezente Bedeutungsspuren geht es ja auch nicht. Alicia Keys ist auf der "Freedom-Tour", das erläutert sie gerne und ausführlich, irgendetwas mit "Jeder ist frei", und außerdem: "Ich glaube an die Liebe." Sehr allgemeine Aussagen, die in ihrer Einfachheit Programm sind. Ab und an flackern so Leute wie Gandhi und Kennedy, Marley und Lady Di über die Bildschirme - die kennt man. Keys ist, als große Performerin und beinah (zu) perfekte Sängerin, die große Trösterin, ihre Botschaft nichts als positiv. "Wait till you see me smile", "Put it in a Love Song", "Pray for Forgiveness" - und Vergebung wird gewährt, ganz sicher. Es geht um große Gefühle, woher sie kommen und wohin sie gehen, mit der gar nicht bitteren Ansage: "Love is blind".

Mit Band und Background-Sängern füllt die Sängerin die Arena bis unter die Decke mit dick aufgetragenem Pathos. Sie ist eine Meisterin vieler Klassen und sitzt bisweilen allein am Klavier. Intime Momente gibt es trotzdem nicht, auch nicht zwischen der schönen Sängerin und dem unter Bewegungsdrang leidenden Solotänzer, der, durchtrainiert und sonnenbebrillt, hinter Keys herumhampelt. Die Verbalakrobatik - oder das "Oversouling", so nennt man die maximale Dehnung der Stimmbänder - von Keys und Mitstreitern ist eindrucksvoll, selten nur, dass Keys mal die Stimme schont und dem Chor überlässt. Mitunter hat man das Gefühl, dass Keys' Stimme von den bombastischen Klängen ihrer Band zugedeckt wird. Es riecht süßlich in der Arena, und die dramatisch aufgeladenen Songs von Alicia Keys sind wie eine Waggonladung Zucker. Ihr Konzert ist eine Kalorienbombe.

Und reinster Kitsch, der übrigens niemandem wehtut: Bei "Falling" steht ein Herz in Flammen, übergroß und knallrot. Und "Superwoman" widmet Keys allen Superfrauen. Die sind in der Mehrzahl, sie stehen tanzend und euphorisiert auf, während die (durchaus gegen Widerstände?) mitgeschleppten männlichen Begleiter bisweilen stoffelig sitzen bleiben. Am Ende, bei den neueren Hits, stehen dann doch alle, Keys lacht und winkt.

Hoch professionell, das alles. Am Montag kommt Whitney Houston nach Hamburg.