Zur WM-Vorbereitung für Jedermann gibt es geistvolle Betrachtungen und wissenschaftliche Ausführungen über den Volkssport Fußball im Literaturhaus.

Literaturhaus. Früher mal galt Boxen als der Intellektuellensport, davon zeugt nicht nur die Faustsport-Begeisterung des zartharten Wolf Wondratschek. Wer dichtete und las, wer politisch agitierte und Pfeife rauchte, der stand vor 40 Jahren nachts auf, um Muhammed Ali zu sehen. Fußball schaute diese Person aber nicht. Im Gegenteil, die noch am Anfang des 20. Jahrhunderts tatsächlich als "Fußlümmel" bezeichneten Fußballspieler betrieben einen Proletariersport. Wer etwas auf seine bürgerliche Herkunft hielt, verschmähte die hemdsärmelige Kickerei. Seine Begeisterung gar in Literatur umzumünzen, verbot sich von selbst.

Lange ist's her, und seit etwa zwei Jahrzehnten scheint Fußball populärer denn je zu sein. Der Volkssport ist beliebt in allen gesellschaftlichen Klassen, die Stadien sind voll. Günter Grass, Literaturnobelpreisträger, schwärmt öffentlich vom SC Freiburg und lässt sich gerne auch mal im Bremer Weserstadion sehen.

Und die Liebeserklärungen der Dichter und Denker sind Legion. Der Spanier und glühende Real-Madrid-Fan Javier Marias hat den Eros, der den Anhänger mit dem Fußball verbindet, in dem grandiosen Fußball-erklärt-die-Welt-Buch "All unsere frühen Schlachten" zu Papier gebracht. Erst kürzlich wieder ist Eduardo Sacheri ("Die Hand Gottes und andere Tangos") ein warmherziges Buch über die beliebteste Sportart der Welt gelungen. Fußball inspiriert zu großer Literatur, und Fußball ist eine Denksportaufgabe, die zu allerlei geistvollen Betrachtungen Anlass gibt. Also nicht nur "Ich sach mal"- und "Die Tabelle lügt nie"-Plattitüden produziert, die die Dampfplauderer im Fernsehen von sich geben.

Der Journalist Christoph Biermann ist ein Fußballversteher, besonders sein bislang letztes analytisches Werk "Die Fußball-Matrix" ist ein Musterbeispiel fruchtbarer Fußball-Gedanken. Logisch also, dass Literaturhaus-Chef Rainer Moritz den wissenschaftlich vorgehenden Autor zu seinem "Fußball-Abend" eingeladen hat. Und weil in einem WM-Jahr, in dem die Fußball-Nationalmannschaft wie immer den Auftrag hat, den Titel zu holen, zu fragen ist, ob sie denn überhaupt zu Hoffnungen Anlass gibt, reist zum WM-Vorbereitungsabend auf der Uhlenhorst auch Metin Tolan an, ein Dortmunder Physikprofessor, der in einem Buch ("So werden wir Weltmeister") die Physik des Fußballspiels darlegt. Im Fußball geht es ja nicht nur um die richtige Taktik und das Genie des Einzelnen, sondern um ganz grundsätzliche Fragen: Wie führe ich den Einwurf richtig aus? Ist der Ball wirklich rund?

Klingt nach einer Trostreichung für alle, die gerne vorher wissen würden, wie es ausgeht: Physikalische Gesetzmäßigkeiten arbeiten gegen die Macht des Zufalls. Alles ist berechenbar, das Spiel wie eine Partie Schach, in der strategische Züge aufeinander aufbauen. Natürlich wissen wir, dass dem nicht so ist und nach einem Fußballtrainer namens Adi Preißler alle Theorie grau und entscheidend "aufm Platz" ist.

Literatur und Fußball sind trotzdem eine gute Verbindung. Dass im Spiel tiefere Wahrheiten verborgen sind, dass die Zeit wunderbare Geschichten geschrieben hat, ist sowieso klar. Erzählen kann man davon nicht nur an Stammtischen, sondern auch im der Kultur geweihten Literaturhaus.

"Ein Fußball-Abend" heute, 20.00, Literaturhaus (MetroBus 6), Schwanenwik 38, Eintritt 10,-/8,-/6,-