Kreis Pinneberg. Private Initiativen bringen Hilfsgüter an die polnische Grenze. Kommunen suchen Wohnraum. Was jetzt getan wird.

Im kleinen Ort Bilsen bereitet sich Reza Youssoffi auf eine Fahrt vor, die das Leben von Ukrainern, die aus ihrer Heimat gen Westen flüchten, retten soll: Am Mittwoch wird er in seinen Transporter steigen und Richtung Warschau fahren. Im Laderaum: Babynahrung, Windeln, Winterjacken, Spielzeug. „Ich nutze jeden Millimeter, um den Sprinter voll zu machen, auch wenn er überladen ist“, sagt er. Seit seinem Spenden-Aufruf auf Facebook kommen Menschen nach Bilsen, um Lebensmittel und Kleidung abzugeben. Youssoffi will sie an die Geflüchteten verteilen. „Ich fahre allein und hab noch zwei Plätze frei. Auf dem Rückweg will ich eine Mutter und ihr Kind mitnehmen.“

Eine ukrainische Familie ist bereits in Pinneberg angekommen; die Stadt bereitet sich auf ihre Unterbringung vor. Gerechnet wird in den kommenden Tagen mit weiteren Geflüchteten, doch Wohnraum für Familien ist knapp. Bürgermeisterin Urte Steinberg ruft die Bevölkerung deshalb zur Unterstützung auf: „Bitte melden Sie sich bei der Stadt, wenn Sie Wohnraum zur Aufnahme von Geflüchteten aus der Ukraine zu vermieten haben.“

Ukraine-Krieg: DiakoMigra wird vermutlich mehr Personal einstellen

Karin Schueler-Albrecht, Leiterin der DiakoMigra in Pinneberg, kann ungefähr einschätzen, was sie demnächst erwartet: „Vermutlich müssen wir personell aufstocken“, sagt sie. Die zusätzliche Arbeit sei sonst nicht mehr zu schaffen. Momentan ist sie auf der Suche nach Sprachmittlern: „Ukrainisch spricht hier kaum jemand. Aber vorhin rief eine Frau an, die Polnisch, Englisch und Russisch spricht und ein Zimmer frei hat.“ Schueler-Albrecht und ihre Mitarbeiterinnen sind die primäre Anlaufstelle, um geflüchteten Familien weiterzuhelfen. Sie informieren darüber, wo sie Sozialhilfe beantragen, sich bei der Krankenkasse anmelden, ihre Kinder in Schule und Kita anmelden können, wo es Lebensmittel oder eine Apotheke gibt, Ärzte oder sogar schon eine Arbeitsstelle. „Größtenteils werden Frauen und Kinder kommen“, sagt sie.

Allerdings wissen viele Behörden noch nicht, wie sie agieren sollen, auch die Sozialämter und die Ausländerbehörde nicht. Lediglich für Ukrainer, die hier bereits als Touristen sind, gilt eine Ausnahme: Deren Visa werden problemlos verlängert. Ansonsten werden vorerst keine Aufenthaltstitel vergeben, denn noch wurde nicht über den § 24 entschieden, nach dem „einem Ausländer, dem aufgrund eines Beschlusses des Rates der EU vorübergehend Schutz gewährt wird, (...) für die nach den Artikeln 4 und 6 der Richtlinie bemessene Dauer des vorübergehenden Schutzes eine Aufenthaltserlaubnis erteilt“ wird. „Wenn uns jemand für solche Familien eine Wohnung anbietet, geben wir die Adresse weiter“, sagt Schueler-Albrecht (Telefon: 04101/845 04 82).

Konkrete Hilfe ist von der Genossenschaft Neue GeWoGe in Pinneberg zu erwarten: „Grundsätzlich sind wir offen dafür. Wir haben ja eine gewisse Fluktuation. Unsere Wohnungen sind zwar überwiegend vermietet. Aber es stehen doch mal welche leer“, sagt Vorstandsmitglied Sandra Maader. „Da dürfen Städte und Gemeinden gern auf uns zukommen. In der Vergangenheit haben wir da gut zusammengearbeitet.“

Ukraine-Krieg: Wer eine Unterkunft hat, soll sich im Rathaus melden

Auch Rellingen wird aktiv: „In den gemeindeeigenen Unterkünften stehen Plätze für die sofortige Aufnahme zur Verfügung“, heißt es in einer Mitteilung. Bürgermeister Marc Trampe schränkt ein, dass niemand wisse, ob sie reichen werden: „Wer Wohnraum zur Verfügung stellen kann, kann sich gerne im Rathaus melden.“ Ansprechpartner ist Dierk Schäfer: 04101/56 41 41.

Wer einen Übernachtungsplatz hat, kann außerdem elinor.network/gastfreundschaft-ukraine informieren und anmelden. Zudem nutzt die Theodor-Heuss-Schule in Pinneberg ihre lange Partnerschaft mit einer Schule in Kiew: Sie sucht jetzt hiesige Familien, die Kinder aus Kiew aufnehmen wollen.

Die Pinneberger Gleichstellungsbeauftragte Deborah Azzab-Robinson betont, dass sie sich dafür einsetzt, dass das Gewaltschutzkonzept angewendet wird. Schon bei der syrischen Flüchtlingswelle habe man es geschafft, Frauen und Kinder getrennt von Männern unterzubringen: „Wir werden das ermöglichen, was in unserer Kraft steht.“

Ukraine-Krieg: Uetersen rechnet mit vielen Flüchtlingen

In Tornesch ist Bürgermeisterin Sabine Kählert dabei, sich einen Überblick über Wohnungen für Flüchtlinge zu verschaffen, sobald welche vom Land zugewiesen werden. „Ich habe gerade eine Mitteilung über demnächst freiwerdenden Wohnraum erhalten“, sagt sie. Noch sei es für Sammelaktionen von Hilfsgütern zu früh: „Eine unkoordinierte Aktion macht keinen Sinn. Wir wissen nicht, was gebraucht wird und haben keine Lagerkapazitäten.“ Es gehe primär darum, die Aufnahme gut vorzubereiten.

Ähnlich sieht es in Uetersen aus. „Noch ist es relativ ruhig, aber wir rechnen damit, dass eine größere Anzahl an geflüchteten Menschen ankommen wird“, sagt Bürgermeister Dirk Woschei. „Wir können auf Erfahrungen in der Vergangenheit zurückgreifen, haben einen Flüchtlingskoordinator und Mitarbeiter im Ordnungsamt.“

Ukraine-Krieg: Land, Kreis und Kommunen stimmen sich ab

Auch die Kreisverwaltung bereitet sich intensiv darauf vor, schnell und umfassend zu helfen. In Kürze werden konkrete Zahlen erwartet, welche Kapazitäten voraussichtlich gebraucht werden. Angesichts der akuten Lage müssen Kreis und Kommunen hier flexibel handeln, so Sprecherin Katja Wohlers. Seit Freitag wird organisiert, wo Zwischenunterkünfte bereitstehen, um schnell reagieren zu können. Zudem läuft die Kontaktaufnahme zu Menschen aus der Ukraine, die hier leben. Allein der Sprache wegen bietet es sich an, dass von dort Unterstützung kommt. Sehr erfreulich ist, dass sich sehr viele Menschen, darunter auch Ukrainer, selbst bei den Kommunen gemeldet und sich bereiterklärt haben, Geflüchtete aufzunehmen.

Land, Kreis und Kommunen stimmen sich derzeit ab. Am Dienstag wird entschieden, in welcher Organisationsstruktur der aktuellen Lage am wirkungsvollsten begegnet werden kann. Staatsangehörige aus der Ukraine, die sich für einen Kurzaufenthalt (Aufenthaltstitel von 90 Tagen) zurzeit in Deutschland befinden, können nach Ablauf eine vorläufige Aufenthaltserlaubnis bei den Ausländerbehörden einholen. Für Anfragen wurde ein Postfach in der Kreisverwaltung unter abh.ukraine@kreis-pinneberg.de eingerichtet.

Ukraine-Krieg: Schenefeld sucht Unterbringungsmöglichkeiten

„Wir stellen uns darauf ein, eine größere Anzahl Geflüchteter unterzubringen“, so die Bürgermeisterin von Schenefeld, Christiane Küchenhof. Wo und wie das gelingen kann, sei jedoch noch unklar. Schenefeld verfügt am Osterbrooksweg über die größte Flüchtlingsunterkunft im Kreis, die im Falle einer Vierer-Belegung Platz für 264 Personen bietet. „Dazu ist es aber noch nie gekommen“, sagt Küchenhof. Das könne, wenn überhaupt, nur im Notfall möglich sein. Die Verwaltungschefin weist darauf hin, dass die Unterkunft für allein reisende männliche Flüchtlinge konzipiert worden sei. Diese würden inzwischen häufig ihre Familien nachholen. „Wir haben schon jetzt ein großes Problem damit, Familien in Schenefeld unterzubringen.“

In Wedel rufen Julia Fisauli-Aalto und Torben Wunderlich (beide CDU) für Mittwoch, 2. März, von 18 Uhr an am Schulauer Hafen zu einem Friedensflashmob auf. Teilnehmer sollen eine Kerze oder ein anderes Licht mitbringen, als Zeichen der Solidarität.

Ukraine-Krieg: Land plant mehr Platz für Geflüchtete

Der Zustrom von Geflüchteten und Vertriebenen seit dem russischen Angriff auf die Ukraine hält sich offiziellen Angaben nach bislang noch in Grenzen. Das hat Schleswig-Holsteins Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack am Montag mitgeteilt. Zugleich sei die Ministerin „berührt“ von der Solidarität und Hilfsbereitschaft im Land.

„Bislang ist seit dem Beginn des Krieges ein ukrainischer Staatsbürger in einer Landesunterkunft angekommen – in den Tagen davor waren es fünf“, sagte Sütterlin-Waack. „Ich weiß natürlich, dass darüber hinaus mit privaten Initiativen Menschen zu uns in Sicherheit gebracht worden sind“, so die Ministerin weiter. Alle Menschen aus der Ukraine, die sich bereits in Schleswig-Holstein aufhalten oder seit dem Angriff visumfrei eingereist sind, können sich zudem in kommunalen Impfzentren gegen Corona impfen lassen.

Darüber hinaus würden derzeit alle relevanten Fragen für Flüchtlinge aus dem Kriegsgebiet geklärt. „Eine Situation wie diese hatten wir noch nicht.“ Sobald es etwa zur Frage einer Arbeitsaufnahme konkrete Regelungen gebe, melde sich das Ministerium.

Sütterlin-Waacks bisheriger Eindruck sei, dass viele Ukrainer zunächst in einem Nachbarland die weitere Entwicklung abwarten wollten. Je nach Lageentwicklung könne jedoch die Zahl an Schutzsuchenden auch in Schleswig-Holstein deutlich steigen. Deshalb arbeite die Landesregierung daran, die bislang ausreichenden Erstaufnahmekapazitäten aufstocken zu können. Wer privaten Wohnraum zur Verfügung stellen möchte, könne sich zunächst in der jeweiligen Gemeinde melden. „Ich finde es einen echten Akt der Nächstenliebe, dass solche Angebote gemacht werden.“