Bremen . Die vielen minderjährigen Flüchtlinge stellen Städte wie Bremen vor Probleme. Doch die Wirtschaft sieht in ihnen viel Potenzial.

An die Temperaturen in Deutschland wird sich Jay wahrscheinlich nie gewöhnen. „Ich friere immer“, sagt die 19-Jährige. Vor etwa vier Jahren ist sie ohne ihre Familie aus dem westafrikanischen Gambia nach Bremen geflüchtet. Als sie ankam, hat sie kein Wort Deutsch gesprochen. Inzwischen beherrscht sie es fast fließend. Im Sommer wird Jay die Schule beenden und eine Ausbildung beginnen. Eine Chance, auf die viele junge Flüchtlinge lange warten müssen. Denn wie viele andere Großstädte hat Bremen Probleme, die vielen Minderjährigen unterzubringen.

Gemeinsam mit ihren Freundinnen sitzt Jay an diesem Vormittag in der Schulkantine, die langen schlanken Hände um eine Tasse mit heißem Kakao geschlungen. Obwohl es warm im Raum ist, zieht sie ihre Winterjacke nicht aus. Gerade hat sie eine Doppelstunde Deutsch hinter sich. Danach folgen Englisch und ein Computerkurs. In ihrer Heimat konnte Jay keine Schule besuchen. „In Gambia ist das sehr teuer“, sagt sie. Mehr will sie über ihre Vergangenheit nicht erzählen. „Das macht mich einfach traurig.“

Die letzten drei Jahre waren hart für die wissbegierige junge Frau: Erst musste sie innerhalb kurzer Zeit Deutsch lernen und dann viel Schulstoff nachholen. „Wenn man fleißig ist, kann man das schaffen“, meint sie. Schüler wie Jay gibt es zurzeit viele an der Allgemeinen Berufsschule. Im vergangenen Jahr kamen etwa 500 minderjährige Flüchtlinge ohne Familien nach Bremen - so viele wie noch nie. Gemessen an der Einwohnerzahl nahm die Hansestadt nach Angaben des Sozialressorts damit sogar deutlich mehr auf als Hamburg oder Berlin. Und für alle gilt die Schulpflicht.

Die Bremer Berufsschulen haben die Zahl der Vorkurse erhöht

Die Allgemeine Berufsschule baut deshalb seit Jahren die Klassen für Schüler mit gar keinen oder wenigen Deutschkenntnissen aus. Doch so langsam stößt sie bei Personal und Räumen an ihre Grenzen. „Wir laufen seit bestimmt einen Jahr auf Anschlag“, sagt die zuständige Leiterin Sandra Pilster. Innerhalb von drei Jahren haben die sechs Bremer Berufsschulen die Zahl der Vorkurse von 5 auf fast 30 erhöht. Und die Zahl der Anmeldungen reißt nicht ab, da viele junge Flüchtlinge über 16 Jahre und dafür zu alt für eine allgemeinbildende Schule sind. „Auf der Warteliste sind bestimmt schon wieder 100 Schüler“, sagt Pilster.

Viele große Städte wie Hamburg, Frankfurt, München und auch Bremen haben Mühe, dem großen Zustrom an minderjährigen Flüchtlingen Herr zu werden. Im Gegensatz zu Erwachsenen werden diese nicht nach einer Quote über die Bundesländer verteilt. Die Jugendämter müssen sie an dem Ort betreuen, wo sie sich zu erst melden - und das ist meistens in Großstädten der Fall. Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig arbeitet deshalb an einem Gesetzentwurf, der die Verteilung gerechter regeln soll.

Haideiatou liebt dies Arbeit

Die Pausenglocke in der Allgemeinen Berufsschule schrillt. Die Schüler eilen zurück in ihre Klassen. Hadeiatou geht an ihre Werkbank in der Werkstatt für Holz- und Metallarbeiten. Sie ist eins von zwei Mädchen in der Klasse. Stolz zeigt sie eine rote Zettelbox aus Metall und ein Schneidebrett aus Holz, die sie in den vorherigen Stunden gefertigt hat. „Ich liebe diese Arbeit“, sagt sie.

Die 18-Jährige aus dem westafrikanischen Guinea lebt seit etwas mehr als einem Jahr in Bremen. Deutsch spricht sie nur gebrochen, Französisch dafür fließend. „Wenn ich mit der Schule fertig bin, will ich Tischlerin werden oder Kindergärtnerin.“ In ihrer Heimat hätte sie davon nur träumen können, denn ihre Stiefmutter ließ sie nicht zur Schule gehen. Sie vermisst ihr Land, die Kultur, das Essen. Zurückkehren kommt für sie aber trotzdem nicht infrage. „Ich möchte etwas lernen.“

Auf junge Leute wie Hadeiatou setzt die Bremer Wirtschaft große Hoffnungen. Nicht nur Handel und Gastronomie, auch andere Branchen suchen angesichts des Fachkräftemangels nach gutem Nachwuchs. „Die Flüchtlinge sind in der Regel wesentlich motivierter und interessierter an der Ausbildung als andere Jugendliche“, sagt Frank-Dieter Lutz von der Handelskammer. Im Dezember hat er 70 junge Flüchtlinge zum Speed-Dating mit mehreren Betrieben geladen, denn bei einem normalen Bewerbungsverfahren haben diese oft das Nachsehen.

Einige junge Leute haben so einen Praktikumsplatz gefunden

„Wenn aus dem Lebenslauf hervorgeht, dass es sich um Flüchtlinge handelt, stößt das bei manchen Unternehmen auf Vorbehalte“, weiß Lutz aus Erfahrung. „Diese haben wir beim Speed-Dating abgebaut.“ Einige junge Leute haben dadurch einen Praktikumsplatz gefunden - und im Sommer könnte sich daran eine Ausbildung anschließen. Dass das ein Türöffner sein kann, zeigt sich auch bei Jay. Sie hat sich nach den Praktika für eine Ausbildung in einem Bioladen und in der Altenpflege beworben. Welche Stelle sie am Ende bekommt, ist allerdings noch offen.

Ihrem Traum wird sie damit ein Stück näher kommen. „Ich möchte irgendwann alleine wohnen, wenn ich etwas Geld verdiene“, sagt sie. Zurzeit lebt sie bei einer Pflegefamilie, die für sie fast wie eine richtige Familie ist. Nach Gambia zurückzukehren ist für Jay undenkbar. „Vielleicht irgendwann zu Besuch, aber nicht, um dort zu bleiben.“ Für die Zukunft hat sie andere Pläne: zum Beispiel Studieren. Dass es bis dahin noch ein langer Weg ist, ist ihr klar.