Über den Verein Live Music Now Hamburg treten junge Künstler in sozialen Einrichtungen auf. Seit Neuestem auch in Spielhäusern.

Was ist denn das für ein Instrument?“, fragt Laura Recasens die rund 50 Mädchen und Jungs, die sich in einem Halbrund um sie und ihren Musikerkollegen Isaac Martinez gesetzt haben. „Eine Geige!“, kommt es aus verschiedenen Ecken gerufen. Zumindest die Familie – also ein Streichinstrument – stimme, sagt die junge Musikerin und zeigt dann, wie sich die vier Saiten ihres Cellos anhören. Die erste klinge wie ein Vogel, die zweite wie eine Katze, sagt sie und lässt das Instrument schnurren. Spätestens jetzt hat das Duo die Aufmerksamkeit der Kinder gepackt. Als Isaac Martinez, der am E-Piano sitzt, sie dann auch noch auffordert, bei lauten Tönen die Arme zu heben und sie bei leisen zu krümmen, sind die Sieben- bis Zwölfjährigen vollends begeistert dabei.

Willkommen beim Konzert von Yehudi Menuhin – Live Music Now Hamburg e. V. im Spielhaus der AG Karolinenviertel. Live Music Now (LMN) organisiert in Hamburg seit 1999 Konzerte mit jungen Künstlern in sozialen Institutionen, vor allem in Altenheimen, Hospizen und Schulen für Kinder mit Behinderung. Und nun seit Neuestem auch in sieben Spielhäusern der Hansestadt, die vom Deutsch-Amerikanischen Frauen-Club (DAFC) betreut werden. Der DAFC finanziert die Vorführungen – jeder Musiker bekommt dafür 180 Euro. „Wir wollen das als festen Programmpunkt in den Spielhäusern etablieren. Viele der Kinder kommen aus sozial schwachen Familien, kennen keine klassische Musik. Wir hoffen, dass wir ihnen hier diese Musik, aber auch die Instrumente näherbringen können“, sagt DAFC-Vizepräsidentin Petra Wittleder.

Spielpraxis vor einem Publikum

Die Konzerte von Live Music Now sind für alle Beteiligten eine Bereicherung. Junge Musiker, von denen die meisten über Professoren der Hochschule für Musik und Theater Hamburg an das Stipendienprogramm des Vereins vermittelt werden, können Spielpraxis vor einem Publikum erhalten und die Zuhörer kommen in den seltenen Genuss von live gespielter Musik. „Aktuell fördern wir 150 Studierende. Vor Corona haben wir rund 250 Konzerte pro Jahr in 100 sozialen Einrichtungen in Hamburg und Umgebung organisiert. Jetzt legen wir gerade wieder richtig los“, sagt Catrin zu Stolberg, eine von 18 Ehrenamtlichen des Vereins, der sich rein über Spenden finanziert. Auch der Verein „Hamburger Abendblatt hilft“ unterstützt die Musik-Initiative finanziell.

Dorothee Hagen, Catrin zu Stolberg und Petra Wittleder (v.l.) ermöglichen das Konzert.
Dorothee Hagen, Catrin zu Stolberg und Petra Wittleder (v.l.) ermöglichen das Konzert. © Michael Rauhe / FUNKE Foto Services | Michael Rauhe

Zu Stolberg (62) ist vor allem im Westen Hamburgs für den LMN-Verein aktiv. Sie mag es, immer wieder mit verschiedenen Ensembles – mal sind es Sängerinnen, Bläser oder auch ein Duo aus Kontrabass und Klarinette – in den Einrichtungen aufzutreten. Sie sieht es als besondere Herausforderung für die jungen Musiker, „eine Brücke zu den Zuhörern aufzubauen und sich immer auf ein sehr unberechenbares Publikum einzustellen“.

Viele berührende Momente

So gebe es gerade in Altenheimen immer mal wieder demente Menschen, die mittendrin kommen und gehen, sich unterhalten statt zuzuhören, oder Schwerstbehinderte in Schulen, die ihre Begeisterung mit lauten Zwischenrufen ausdrücken. „Es gibt auch immer wieder so viele berührende Momente, die wir bei diesen Konzerten erleben“, berichtet Stolberg und erzählt von einem Konzert kürzlich in einem Pflegeheim, bei dem die Musiker gemeinsam mit den Bewohnern alte Volkslieder wie „Am Brunnen vor dem Tore“ oder „Lili Marleen“ gesungen hätten.

Die Cellistin Laura Recasens hat erlebt, dass die Senioren und Seniorinnen bei alten Liedern, die sie spielte, anfingen zu tanzen. „Als wir ,Mamma Mia‘ von ABBA spielten, fingen einige der alten Männer sogar an zu weinen. Das fand ich einfach sehr bewegend“, erzählt die 22-Jährige, die aus Barcelona kommt und kurz vor ihrem Bachelor steht.

Vor den offenen Türen von Sterbenden

Für Isaac Martinez war der emotional schwierigste Auftritt der im Hamburg Leuchtfeuer Hospiz. „Wir haben auf dem Gang gespielt, die Türen zu den Zimmern der Sterbenden waren offen. Und ich habe mir immer vorgestellt, dass unsere Musik vielleicht die letzte ist, die sie hören. Das hat mich sehr beschäftigt, auch noch Tage nach dem Konzert“, erzählt der 23-Jährige.

Er ist seit 2020 Stipendiat des Programms – während der Corona-Zeit konnte er kaum Konzerte geben, umso eifriger ist er jetzt dabei. „Ich mag an diesen Vorführungen, dass es nicht darum geht, vor einem sehr kritischen Publikum, das auf jeden Ton achtet, perfekt zu spielen wie in der Laeiszhalle oder einem anderen großen Konzerthaus. Sondern hier ist es wichtig, eine besondere Atmosphäre zu schaffen, den Menschen eine Freude zu bereiten und sich ganz individuell auf sie einzustellen“, sagt Martinez, der von der Insel Gran Canaria kommt.

So geht es ihm bei den Kinderkonzerten zum Beispiel darum, eine musikalische Reise durch verschiedene Epochen und Stile zu vermitteln, bei den Senioren wiederum ist das Ziel, Erinnerungen wachzurütteln, und bei Schülern mit Hörbehinderungen kann es schon mal passieren, dass sie die Instrumente während des Spiels anfassen, um so deren Schwingungen besser zu spüren.

Stampfen, Mitsingen und Tanzen

Hoffnung, Trost und Freude zu Menschen bringen, die aufgrund ihrer Lebensumstände nicht in Konzerthäuser gehen können, ist genau das, was der Violinist Yehudi Menuhin (1916–1999) mit seiner gemeinnützigen Organisation Live Music Now, die er 1977 in England gründete, erreichen wollte. Inzwischen gibt es diese Vereine in ganz Europa, der erste deutsche wurde 1992 in München gegründet.

Rund 30 Minuten lang geht das Konzert der beiden jungen Spanier im Spielhaus im Karolinenviertel. In dieser Zeit haben sie die Kinder zum Stampfen, Mitsingen und zum Tanzen gebracht. Etliche Kinder stehen danach noch um die Musiker herum, möchten Autogramme, das Cello einmal berühren und über die Tasten des Klaviers streichen.

Darunter ist auch die neun Jahre alte Naima. „Das war so ein tolles Konzert“, schwärmt das Mädchen. „Das Cello ist so cool, wie Laura da ihre Finger über die Saiten tanzen ließ, das würde ich auch so gern können. Ich möchte auch ein Instrument spielen“, sagt sie ernsthaft. Und über so eine Aussage freuen sich Petra Wittleder und Dorothee Hagen vom DAFC besonders – ein Ziel hat der engagierte Club mit dem Konzert schon erreicht.

Infos: livemusicnow-hamburg.de