Mit Switch Mind und Switch Tutor vermittelt der Hamburger Verein Kulturbrücke Geflüchteten deutsche Werte und Gewohnheiten.

Eine junge Frau, vollgepackt mit Einkaufstüten, läuft auf Hourvash Pourkian zu, und ruft auf Farsi: „Sie kenne ich doch, Sie waren doch bei unserem Workshop hier dabei!“ Pourkian freut sich, denn das ist schon ein paar Monate her, dass sie zuletzt in der Blankeneser Flüchtlingsunterkunft war, und fragt in der gleichen Sprache zurück: „Und was haben Sie daraus mitgenommen?“ Die Iranerin überlegt kurz und sagt dann, dass sie vor allem etwas über demokratische Werte gelernt habe und dass man in Deutschland pünktlich sein sollte. Dann eilt sie weiter über den Hof in einen der zweistöckigen Bauten, die mitten ins Grüne im Björnsonweg gebaut wurden.

Vor allem wegen der Frauen hat Hourvash Pourkian 2017 ihr Programm Switch Mind ins Leben gerufen. „Als ich 2015 die vielen geflüchteten Frauen sah, die alle mit Kopftuch ankamen und auf den Boden schauten, wusste ich, dass wir etwas tun müssen, um den Menschen hier von unseren Werten und der Mentalität der Deutschen zu erzählen.“ Pourkian ist im Iran geboren und zog 1975 mit 16 Jahren mit ihrer Familie aus Teheran nach Hamburg. Ihr großer Bruder hat hier studiert, „und er hatte schon einen Deutschkurs für uns organisiert, erzählte uns vom Leben in der Demokratie“, erinnert sich die Unternehmerin.

Freiheit und Sicherheit ist mit Pflichten verknüpft

Den Geflüchteten aus dem Nahen Osten wollte sie nun auch das Einleben in einer völlig neuen Welt erleichtern. Also entwarf sie ein Konzept für einen mehrwöchigen Workshop, in dem Landsleute, die in Hamburg schon lange integriert sind, den Neuangekommenen auf Dari, Farsi, Kurdisch und Arabisch erklärten, „dass es hier Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau gibt, dass mit der Freiheit und Sicherheit, die die Geflüchteten hier erleben können, auch Pflichten verknüpft sind“.

Dazu gehöre, sich zu integrieren, die Sprache zu lernen und „zu akzeptieren, dass die deutsche Verfassung über dem Koran und der Scharia steht“. Seither haben Pourkian und ihre sieben Kursleiterinnen und Kursleiter 215 Workshops in 89 Unterkünften durchgeführt und etwa 4300 Menschen erreicht – in der Corona-Pandemie fanden die Kurse online statt.

Das Projekt ist auf Spenden angewiesen

Zwei Jahre lang wurde Switch Mind von der Sozialbehörde gefördert, jetzt wird das Projekt hauptsächlich über Spenden finanziert. „Durch die vielen Familiennachzügler gibt es immer noch einen großen Bedarf, aber jetzt gibt es vor allem Folgeworkshops, in denen wir die Teilnehmer dazu motivieren, sich um eine Ausbildung oder eine Arbeit zu bemühen, und Frauen ermutigen, sich mehr zu bilden“, sagt Pourkian.

Nach den Workshops hätten immer mehr Eltern sie gebeten, für ihre Kinder eine Nachhilfe zu organisieren. „Denn auch wenn sie die Sprache schneller lernen, haben viele Jungen und Mädchen doch große Probleme in der Schule“, so Pourkian. Deswegen entwickelte die engagierte Deutsch-Iranerin dann vor drei Jahren ein weiteres Projekt: Switch Tutor. Auch hier steht nicht nur die Hausaufgabenhilfe im Vordergrund. „Sondern ich möchte, dass unsere Tutoren den Kindern auch etwas über die deutsche Kultur, die christlichen Feste und Lebensgewohnheiten erzählen“, sagt sie.

Die Vereinsvorsitzende der Kulturbrücke: Hourvash Pourkian.
Die Vereinsvorsitzende der Kulturbrücke: Hourvash Pourkian. © THORSTEN AHLF / FUNKE FOTO SERVICES | Thorsten Ahlf

Mit Kulturvermittlung kennt die Vorstandsvorsitzende des Vereins Kulturbrücke Hamburg sich aus. Seit vielen Jahren organisiert sie mit weiteren Ehrenamtlichen über das Projekt Switch Kids den Austausch zwischen Kindern unterschiedlicher Kulturen.

Abendblatt-Verein unterstützt seit Jahren

Vier Tage lang besuchen die teilnehmenden Kinder eine andere Familie in der Stadt, erfahren so, wie die Menschen in anderen Ländern essen, spielen, sprechen und feiern. Der Verein „Hamburger Abendblatt hilft“ unterstützt Switch seit vielen Jahren finanziell und ist auch dieses Jahr als Sponsor für Switch Tutor dabei.

Einer dieser 15 Tutoren – vor allem sind es Studenten und Studentinnen der Erziehungswissenschaften – ist Jonathan Duncker. Der Lehramtsstudent kennt sich aus mit Nachhilfe. Jahrelang hat er privat Kindern wohlhabender Eltern schulisch auf die Sprünge geholfen, „aber die Arbeit hier im Björnsonweg ist ganz anders. Hier bin ich zusätzlich noch Coach, Vertrauensperson und Erzieher. Das finde ich toll.“

Die Kinder warten ungeduldig auf den Tutor

Wenn er zweimal für drei Stunden die Woche aus Wilhelmsburg angereist kommt, stehen etliche Kinder, die meisten im Grundschulalter, schon vor der Tür des Verwaltungsgebäudes, in dem sich der Schulraum befindet. Neben einer Tafel, Tischen und Stühlen hat Duncker in den vergangenen zwei Jahren auch eine kleine Bücherei aus Spenden zusammengestellt. Die Syrerin Rohev (11) und ihre afghanische Freundin Setayesh (11) schnappen sich ein Buch über Tiere am Nordpol und lesen daraus abwechselnd vor. Beide sind noch etwas ungeübt im Vorlesen, Jonathan Duncker setzt sich zu ihnen und hört geduldig zu. Danach stellt er Fragen zum Inhalt, warum ihnen das Buch gefallen hat, und erklärt, wo der Nordpol liegt. „Ich komme immer her, wenn Jonathan da ist, denn ich möchte besser in der Schule werden. Er hilft mir bei meinen Mathe- und Deutschproblemen“, sagt Viertklässlerin Setayesh, die seit vier Jahren in Hamburg lebt.

Doch der 26-Jährige hilft auch bei persönlichen Problemen, bei Mobbinggeschichten und Streitereien unter den Kindern. „Einige bringen die Konflikte, die die verschiedenen Familien unter sich haben, hier mit rein, sodass ich viel Zeit damit verbringe, diese zu schlichten und allgemein für eine angenehme Atmosphäre zu sorgen“, sagt er. Insgesamt betreue er rund 25 Kinder und Jugendliche im Alter von sechs bis 16 Jahren.

Hier macht die Arbeit einen Unterschied

Der Großteil von ihnen geht zur Grundschule oder in die ersten Stufen der umliegenden Stadtteilschulen. „Einige Kinder haben lange gebraucht, um sich auf das Projekt einzulassen, und waren erst bereit, regelmäßig zu kommen, als sie festgestellt hatten, dass ich langfristig und verlässlich in die Unterkunft gehe“, erklärt er und hat viel Verständnis und vor allem ein großes Herz für diese Jungen und Mädchen, die oft monatelang auf der Flucht waren und mit ständigen Veränderungen leben mussten.

„Das hier ist mehr als ein Job, hier kann ich einen echten Unterschied machen“, sagt der engagierte junge Mann. Dann begrüßt er die acht Jahre alte Marya, die für die Schule etwas zu Marienkäfern recherchieren muss. Die Erstklässlerin hat zu Hause keinen Computer zur Verfügung, deswegen nutzt sie den von Jonathan Duncker, der ihr zeigt, wo sie über das Insekt suchen kann. Eifrig und konzentriert schreibt sie ihre Ergebnisse in ein Schulheft.

Menschen, die motivieren und stärken

Inzwischen wird es unruhig im Raum. Amar, einem Achtjährigen aus Tschetschenien, fällt es sichtlich schwer, still zu sitzen. Duncker beschließt, ein Spiel zu spielen – natürlich mit pädagogischem Ansatz. Er schart die Kinder um sich. In einen Sack hat er verschiedene Gegenstände gesteckt, jedes Kind sucht sich heimlich eines aus und reihum muss jedes den anderen beschreiben, wie sein Ding aussieht und sich anfühlt.

Hourvash Pourkian schaut dem Spiel und seinen eifrigen Teilnehmern lächelnd zu. Anders als bei Switch Mind gibt sie den Tutoren keine Vorgabe, wie die Nachhilfestunden aussehen sollen. Sie richten sich mit dem offenen Angebot ganz an die Bedarfe der Kinder. „Jonathan macht das so großartig“, sagt Pourkian. „Manchmal fehlt den Kindern einfach nur eine Person, die an ihre Stärken glaubt, und deshalb ist so eine Motivation ganz wichtig.“