Die Hamburger Lebens- und Arbeitsgemeinschaft Franziskus e. V. gibt geistig Behinderten ein Zuhause. Der Abendblatt-Verein unterstützt.

Voller Stolz zeigt Stefanie Rathje die großzügige Dreizimmerwohnung, in der sie zusammen mit ihrer Freundin wohnt. Ihr Zimmer ist in hellen Lilatönen gestrichen, bunte Schmetterlinge kleben an der Wand und das Bett ist mit Bettwäsche aus der Kinderserie „Bibi und Tina“ bezogen. „Ich liebe Bibi und Tina“, sagt die 37-Jährige und kuschelt mit einem kleinen Kissen, auf dem die Figuren auch abgebildet sind. Stefanie Rathje und ihre Freundin haben das Downsyndrom und dennoch trauen die Betreuer ihnen das Wohnen in einem eigenen Apartment in der Lebens- und Arbeitsgemeinschaft Franziskus e. V. zu.

Die Wohngruppe mit weiteren acht Bewohnern, die alle eine geistige Behinderung haben, ist allerdings nur ein Stockwerk tiefer. Hier ist rund um die Uhr eine Ansprechperson im Dienst und hier isst Stefanie Rathje auch. „Aber ich finde es schön, dass ich auch einfach mal meine Ruhe haben und in meiner eigenen Stube sitzen kann“, sagt sie.

Wertschätzung und Umgang auf Augenhöhe

Seit fünf Jahren wohnt sie in der anthroposophischen Einrichtung und „es ist absolut super hier“, sagt sie strahlend. Davor habe sie in einer Wohngemeinschaft in Pinneberg gewohnt, „da war ich immer ganz traurig und alleine, die haben vergessen, mir die Medikamente für meinen Herzfehler zu geben“, sagt Rathje. Wie die meisten Bewohner von Franziskus möchte sie nie mehr weg.

„Wir sind hier wie eine große Familie und alle gehen sehr herzlich miteinander um“, berichtet Sozialpädagogin Stefani Reimer-Jansen (56), die seit zwei Jahren in der Einrichtung arbeitet. Ihr gefällt besonders gut, „dass wir alle versuchen, die Bewohner so zu unterstützen und zu fördern, dass sie nicht das Gefühl haben, in ihrer Selbstbestimmung eingeschränkt zu sein“. Hier gebe es Wertschätzung und Umgang auf Augenhöhe.

Stefanie Rathje hat das Downsyndrom, sie wohnt in der Lebens- und Arbeitsgemeinschaft Franziskus e. V. in Hamburg Foto: Roland Magunia
Stefanie Rathje hat das Downsyndrom, sie wohnt in der Lebens- und Arbeitsgemeinschaft Franziskus e. V. in Hamburg Foto: Roland Magunia © Roland Magunia/Hamburger Abendblatt | Roland Magunia/Hamburger Abendblatt

Wahrscheinlich ist die Fluktuation deshalb so gering in dem schön angelegten Ensemble mitten im Stadtteil Sülldorf, das Christopher von Bar vor 23 Jahren mit gegründet hat. Er hatte zuvor als Heilpädagoge im Schenefelder Förderzentrum für Kinder und Jugendliche mit Behinderung gearbeitet und damals feststellt, dass die jungen Leute, sobald sie erwachsen wurden, keine Betreuung mehr hatten.

Hauseigener Shop mit Deko-Artikeln und Bioware

Zusammen mit engagierten Eltern, Stiftungen und Spendern baute er daraufhin die Einrichtung mit drei Wohngruppen und verschiedenen Werkstätten, in denen die 39 Klienten, weben, tischlern, malen, gärtnern und kochen können.

Einige Produkte wie gewebte Geschirrtücher, Kerzenständer aus Holz und Kerzen werden im eigenen Shop verkauft, in dem es zudem noch Bio-Lebensmittel gibt und der für alle Sülldorfer geöffnet ist. So wirkt die Gemeinschaft auch in das Quartier hinein.

Die Badsanierung wird vom Abendblatt-Verein unterstützt

„Uns war von Anfang an wichtig, dass die Klienten nicht nur ein familiäres Umfeld haben, sondern auch eine sinnvolle Beschäftigung. Allerdings waren sie früher etwas produktiver, man merkt deutlich, dass viele unserer Bewohner älter geworden sind“, erklärt Geschäftsführer Bar. Deswegen lässt er gerade die Bäder altersgerecht sanieren, unter anderem mit Badewannen, die einen Seiteneinstieg haben. Die Sanierung wird vom Verein „Hamburger Abendblatt hilft“ finanziell unterstützt.

Wichtig ist Bar, dass seine 80 Mitarbeiter die Philosophie Rudolf Steiners auch im Alltag umsetzen. So gibt es neben der religiösen Ansprache und dem Feiern der christlichen Feste auch Heileurythmie, Theater, Musik- und Ergotherapieangebote – der ganze Mensch mit Geist, Leib und Seele soll angesprochen werden.

Christian Stein wohnt alleine in der Wohnung

„Hier zu leben ist für mich ein Geschenk“, sagt Christian Stein. Der 34-Jährige hat das Downsyndrom und ist kurz nach seinem Schulabschluss 2008 in die Einrichtung gezogen. Er arbeitet in der Tischlerei und wohnte sieben Jahre in einer der Wohngruppen. Doch der selbstbewusste junge Mann wollte mehr über sein Leben bestimmen, unabhängiger sein. „Wir hatten einige Bewohner mit diesem Bedarf“, sagt Bar. So ist seit 2015 ein moderner Neubau – direkt gegenüber vom Gemeinschaftshaus – hinzugekommen. In diesen acht Single-Wohnungen und zwei Apartments für jeweils zwei Personen leben Menschen mit Assistenzbedarf weitestgehend eigenverantwortlich. Sie erhalten eine wöchentliche Einzelbetreuung, Unterstützung bei der Selbstorganisation sowie Kultur- und Freizeitangebote.

Christian Stein liebt sein kleines, blitzblankes Reich mit eigener Küche und Bad. „Nach der Arbeit komme ich hierher, koche mir etwas, gehe einkaufen, kann kommen und gehen wann ich will“, sagt Stein. Er ist ein erfolgreicher Schwimmer, hat bei vielen Meisterschaften und den Special Olympics Preise gewonnen, die er in einer Vitrine ausstellt.

Betreuerin Stefani Reimer-Jansen und Bewohnerin Stefanie Rathje verstehen sich gut
Betreuerin Stefani Reimer-Jansen und Bewohnerin Stefanie Rathje verstehen sich gut © Roland Magunia/Hamburger Abendblatt | Roland Magunia/Hamburger Abendblatt

Ebenso wie für Christian Stein ist auch für Theo Otten die Franziskus-Gemeinschaft ein Geschenk. Denn er und seine Frau haben lange nach einer Einrichtung gesucht, in der seine Tochter ein zweites Zuhause findet. Zwar wohnt die 28-Jährige nicht auf dem Gelände, sondern noch bei ihren Eltern, aber seit acht Jahren wird sie hier mehrfach in der Woche in der Kochwerkstatt gefördert.

Es gibt regelmäßige Gemeinschaftskonferenzen

„Wir haben uns etliche Einrichtungen in ganz Schleswig-Holstein angeschaut, doch die einzige, die uns überzeugt hat, war Franziskus“, sagt Otten, der seit seiner Pensionierung dreimal in der Woche ehrenamtlich in der Tischlerei mithilft und auch im Aufsichtsrat des Vereins ist. Ihm gefällt, „dass hier die Klienten im Mittelpunkt aller Bemühungen stehen“.

Und sie haben Mitspracherecht: Vor der Corona-Pandemie gab es regelmäßige Gemeinschaftskonferenzen, wo jeder Bewohner seine Wünsche äußern konnte, aktuell gibt es Delegationen aus den vier Wohnbereichen, die zusammenkommen.

Nicht alle werden in den hauseigenen Werkstätten beschäftigt, wer etwas fitter ist, geht außerhalb arbeiten, erhält dort auch Lohn. Auch Stefanie Rathje arbeitet in einer Werkstatt in Schenefeld als Küchenhilfe, doch es gefällt ihr dort nicht, sie möchte lieber in die Küche von Franziskus wechseln. „In Schenefeld ist es langweilig, da putze ich nur, hier dürfte ich sicher auch mitkochen.“

Infos zum Franziskus e. V. unter franziskus.net. Die Tischlerei nimmt gerne Aufträge entgegen.