Marlies Kadach sah den Irish-Tinker-Hengst Pongo auf einer Koppel und kaufte ihn. Sie kündigte ihren Job und begann mit der Zucht der seltenen Rasse.

Hamburg. Marlies Kadach war auf dem Heimweg von einem berufsbedingten Ausflug ins ostfriesische Aurich, als sie auf einer Koppel am Straßenrand ein Pferd entdeckte. Sie hielt an und streichelte den schwarz-weiß gescheckten Hengst. "Dieses Pferd hat mein Leben völlig auf den Kopf gestellt", sagt Marlies Kadach 17 Jahre nach der ersten Begegnung mit Pongo. Heute ist der Hengst der Mittelpunkt Hamburgs einziger Irish-Tinker-Pferdezucht. Der Hof am Halenriggen in Duvenstedt am nördlichen Rand der Stadt ist weit über die Grenzen Hamburgs hinaus bekannt. Denn hier lebt "Pongo of Source Valley", der weltweit erste Irish Tinker, der die Auszeichnung "Elitehengst" erlangte. Zu verdanken hat das Pferd diesen Titel seiner Besitzerin. Es ist die bemerkenswerte Geschichte einer tiefen Freundschaft zwischen Mensch und Tier.

Als die damals 29-jährige Marlies Kadach 1995 von Aurich ins Hamburger Bergstedt zurückfuhr, ging ihr immer wieder dieses Pferd durch den Kopf. Drei Wochen lang konnte Kadach an nichts anderes mehr denken. "Ich war völlig arbeitsunfähig, konnte mich nicht mehr konzentrieren und habe mich selbst für verrückt erklärt", erzählt Kadach, die zu jener Zeit noch als Werbedesignerin tätig war. Sie musste handeln. Mit einem Pferdeanhänger und ziemlich viel Geld in der Tasche fuhr sie wieder nach Aurich und machte den Besitzer des Pferdes, einen Mann, genannt "Schweinebauer Meier", ausfindig. "Es war mitten am Tag, und der Mann war sturzbetrunken. Trotzdem hat er mir mein gesamtes Geld ausgehandelt", erinnert sich Kadach. Der Preis war ihr egal, sie musste Pongo einfach kaufen. "Ich hatte mich in das Pferd verliebt. Es war ein total intensives Gefühl", schwärmt Marlies Kadach noch heute.

+++ Im Paradies +++

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Was sie mit dem Tier wollte, wusste sie zu diesem Zeitpunkt selbst nicht. Zudem stellte sich beim Tierarzt heraus, dass Pongo völlig verwahrlost war. "Wunden, Würmer, Läuse. Das Pferd hatte alles", sagt Kadach, die den Hengst entgegen allen Ratschlägen behielt, ihn bei einem Freund auf einem Dorf in Schleswig-Holstein unterbrachte und aufpäppelte. Pongo erholte sich, und Kadach stand vor der Frage: kastrieren oder nicht? "Hengsthaltung ist kompliziert, davon hatte ich keine Ahnung. Aber kastriert werden sollte er auch nicht."

So brachte sie Pongo zu einer Zuchtschau für gescheckte Pferde ins Duvenstedter Himmelsmoor, um seine Qualität zu testen. Ohne Vorbereitung. Ohne entsprechende Kleidung. "Alle anderen Pferde glänzten. Ich kannte nicht mal die Kleiderordnung, habe mich sehr geschämt", erzählt Kadach. Bei den Richtern konnte sie mit Pongo trotzdem punkten. Sie kürten den Irish Tinker zum besten Hengst des Wettbewerbs. "Ich dachte, ich wäre im falschen Film", sagt Kadach. Sie begann zu realisieren, dass sie auf der Koppel in Ostfriesland ein ganz besonderes Pferd gefunden hatte. Und vor allem eine ganz besondere Rasse. Denn die Irish Tinker mit den langen Haaren an Kopf und Fesseln waren in Deutschland lange Zeit eine Seltenheit. Die früheren Zugpferde der Sinti und Roma kamen erst in den 1990er-Jahren in Mode.

Wenige Monate nach dem Sieg in Hamburg gewann Pongo sensationell den Titel des Bundes-Champions. Durch diesen Erfolg wurde der Irish Tinker in Deutschland erstmals als offizielle Rasse anerkannt. Kaufangebote prasselten auf Marlies Kadach herein. Sie lehnte alle ab. "Einen Freund verkauft man nicht", sagt Kadach. Sie traf eine Entscheidung, die ihr Leben auf den Kopf stellte. Sie hängte ihren Job als Werbedesignerin an den Nagel und startete eine eigene Pferdezucht - auf inzwischen gepachteten Koppeln am Rodenbeker Quellental in Bergstedt. Einziges Problem: Es gab keine passende Stute für Pongo. Weit mehr als 4000 Kilometer fuhr Kadach kreuz und quer durch Deutschland. Aber erst auf einem Treffen von Sinti und Roma im Appleby-in-Westmorland im Norden von England wurde sie fündig. Gleich zehn Irish Tinker kaufte sich die Hamburgerin auf einem Markt und ließ sie nach Deutschland bringen. Ein Jahr später dann hatte Pongo seinen ersten Nachwuchs.

Als Deckhengst machte er sich über die Grenzen von Hamburg hinaus einen Namen. Mittlerweile hat er mehr als 60 Fohlen gezeugt, viele von ihnen wurden ebenfalls prämiert. Alle Irish Tinker der Kadachs erhalten den Beinamen "of Source Valley", in Anlehnung an die irische Herkunft und das Bergstedter Quellental (engl.: Source Valley).

Das Interesse an den Hamburger Tinkerpferden ist deutschlandweit noch immer groß. Dabei stößt Marlies Kadach häufig auf kuriose Angebote. Für einen Decksprung von "Pongo of Source Valley" bot eine Kundin einst zum Tausch eine Kuh. Kadach nahm den Deal an. "Ich wollte schon immer eine zahme Kuh", sagt sie. Das Rind namens Pims sollte später quasi die Existenz von Marlies Kadach und ihrem Mann Reinhard retten. Denn im November 2000 brannte das Haus der Kadachs in Bergstedt vollständig ab. Marlies Kadach war gerade unweit des Hauses auf der Koppel bei den Pferden, als sie das Feuer bemerkte. In einer dramatischen Rettungsaktion befreite sie ihr 15 Monate altes Baby aus den Flammen. Das Haus war dagegen nicht mehr zu retten. Die Kadachs wurden obdachlos. Zwei Jahre harrten sie in einer Mietwohnung aus. Bis sie auf ihrer Sommerkoppel in Duvenstedt durch ein privilegiertes Baurecht im Landschaftsschutzgebiet einen neu errichteten Hof bezogen. Das war nur möglich, weil Marlies Kadach vor dem Brand ihre Kuh Pims bei der Behörde registrieren lassen musste - und deshalb gleichzeitig für die Pferdezucht den nötigen landwirtschaftlichen Betrieb anmeldete.

Während die Kuh 2009 im Alter von 15 Jahren starb, ist der mittlerweile 19 Jahre alte Hengst Pongo noch immer die Attraktion der Irish-Tinker-Zucht Source Valley in Duvenstedt. "Er läuft noch wie ein junges Pferd", sagt Marlies Kadach. Im April dieses Jahres kommen neue Gaststuten auf den Hof. Bis Ende Juli soll er dann die eigenen Stuten gedeckt haben. So wie jedes Jahr. "Er kann locker noch zehn Jahre leben", sagt Marlies Kadach. Allerdings gibt die 45-Jährige zu, der Arbeit selbst ein wenig müde geworden zu sein. Sie knüpft die Zukunft ihrer Zucht an die Zukunft des Hengstes. "Wenn es Pongo nicht mehr geben wird, ist es auch mit der Zucht vorbei", kündigt Marlies Kadach an. Dann will sie nur noch Pensionspferde auf dem Hof aufnehmen.