Hülya Welkert benutzt eine alte Steno-Box. Möglich wird das Arbeiten der Sehbehinderten zudem durch eine spezielle Software.

Hamburg. "Das schau ich gerne für Sie nach", sagt Hülya Welkert vom telefonischen Hamburg-Service zu einem Anrufer in der Leitung. In Wirklichkeit kann sie gar nicht "schauen" - Hülya Welkert ist blind. Statt sich wie ihre Kollegen Notizen mit einem Stift und einem Blatt Papier zu machen, benutzt sie eine alte grüne Steno-Box. Wenn sie in die Tasten des Gerätes haut, klackert es laut und aus der Steno-Box kommt ein bedruckter schmaler Papierstreifen, beschrieben in Blinden-Kurzschrift. "Falls ich noch mal etwas nachlesen muss", sagt die 36-Jährige.

Parallel läuft die ganze Zeit eine leise Stimme aus den Lautsprechern am Computer. Sie ist rasend schnell und für normale Ohren kaum zu verstehen. "Blinde haben ein viel feineres Gehör", erklärt Jutta Drühmel-Lindig, Leiterin des telefonischen Hamburg-Services. Sie hat sich sehr für die Arbeitsplätze der Sehbehinderten eingesetzt. Mittlerweile sind es zwölf der insgesamt 107 Mitarbeiter bei der behördlichen Einrichtung am Neumarkt in Wandsbek.

Möglich wird das problemlose Arbeiten der sehbehinderten Menschen beim Telefonservice der Hansestadt durch eine spezielle Software, die von der Behörde 2010 mitentwickelt wurde. Ein "Screenreader" liest dabei den Bildschirmtext vor. Zum besseren Navigieren wurden feste Tastenkombinationen, sogenannte Shortcuts, eingerichtet. Mit diesen Eingabehilfen können sich Sehbehinderte auf der Seite bewegen. Wenn sie schnell Informationen zum Thema Gebühren in den Textdokumenten finden will, benutzt Hülya Welkert einfach einen bestimmten Shortcut, der sie an die Stelle führt.

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An der Entwicklung der neuen Software waren die blinden Mitarbeiter des Telefonservices mit beteiligt. "Sie wissen schließlich am besten, was sie brauchen", sagt Drühmel-Lindig. "Das Arbeiten mit diesen Shortcuts geht erheblich schneller, als wenn man sich anders durch ein Dokument navigiert." Mittlerweile benutzen sogar die Mitarbeiter ohne Behinderung die neue Funktion. Und das Erfolgsrezept der Behörde habe sich schon herumgesprochen, erzählt die Leiterin. Anfragen von anderen Behörden zur Arbeit mit blinden Kollegen häuften sich. "Eigentlich könnten alle Callcenter das so umsetzen", sagt Drühmel-Lindig.

Ohne Pause rauscht die Stimme der Sprachausgabe des Screenreaders durch die Boxen an Hülya Welkerts Arbeitsplatz. Sie hört gleichzeitig dem Kunden am anderen Ende der Leitung zu, sucht mittels Tastenkombinationen und Stichworten die entsprechenden Infos, beantwortet ruhig und freundlich seine Fragen. Multitasking pur. Nur ein einziges Mal habe einer etwas gemerkt, so Welkert. Der Kunde hatte die Sprachausgabe über das Telefon gehört und sich über die zweite Stimme gewundert.

Sonst gebe es keinerlei Unterschiede zwischen den blinden und nicht behinderten Telefonisten. Das bestätigen auch Drühmel-Lindig und ein weiterer sehbehinderter Kollege, Swen Michler. Der 35-Jährige hat nach vielen erfolglosen Bewerbungen und Vorstellungsgesprächen bei privaten Unternehmen beim Hamburg-Service eine Stelle gefunden, bei der er trotz seines Handicaps voll mitarbeiten kann. "Hier gibt es keine Berührungsängste", sagt er.

Jutta Drühmel-Lindig sieht eine gesellschaftliche Verantwortung darin, blinde Menschen viel stärker ins Arbeitsleben zu integrieren. "Schließlich haben sie die gleiche Ausbildung wie alle anderen. Nur sehen können sie nicht", sagt sie.

Ihrem Telefonkunden hat Hülya Welkert diesmal nicht weiterhelfen können. Er wollte eine Auskunft für Bremen und hat entnervt aufgelegt. Sehvermögen hätte der Mitarbeiterin vom Hamburg-Service da auch nicht helfen können.