In Eilbek drucken Grundschüler eigenes Geld, mit dem sie einkaufen. Kinder lernen dabei die Schattenseiten des Reichtums kennen.
Hamburg. Sahand hat sich am meisten gegrämt. Anfangs war alles toll. Der unerwartete Reichtum, die Träume, die sie sich plötzlich erfüllen konnten, ausgedehnte Shopping-Touren. Und dann das: Diebstahl, Kummer, Misstrauen zogen mit dem schnöden Mammon ein. Dem achtjährigen Robin wurden Scheine aus dem Ranzen geklaut, die kleine Kim Linh kam in Tränen aufgelöst zur Schule, weil der Vater ihr gesamtes Erspartes versehentlich weggeworfen hatte. Da, sagt Sahand, habe er sich gefragt, ob es nicht ein Fehler gewesen sei, das ganze Geld zu drucken.
Sahand ist neun Jahre alt. Er ist Schüler der dritten Klasse an der Grundschule Richardstraße, und außerdem ist Sahand Vorstand einer Bank - der Kinderbank, genauer gesagt. Ein frisch gegründetes Geldinstitut in Eilbek, das bunte Scheine druckt und im Stadtteil vertreibt. Es ist eine ganz besondere Währung. Eine, die noch stabil ist, während um Eilbek herum die Welt mit der Euro-Krise kämpft. "Abenteuergeld" hat die Kinderbank ihr Geld genannt. Und das Besondere: In Kinderhänden hat es echten Wert. Mädchen und Jungen im Alter von bis zu 14 Jahren können damit in Geschäften ihres Stadtteils einkaufen gehen.
Die Idee zum Projekt hatte das Fundus-Theater. "Die Kinder wachsen in einer Welt auf, in der die Erwachsenen immer über Geld und die Krise des Geldes reden", sagt Hannah Kowalski, die das Projekt mit angestoßen hat. "Da haben wir die Frage gestellt, ob Geld nicht auch anders funktionieren kann, als wir es kennen. Und wir wollten nicht nur im Unterricht darüber sprechen, sondern die Kinder es selbst machen lassen." Eines der Ziele ist zu zeigen, dass Geld kein Selbstzweck, sondern von Menschen gestaltet und veränderlich ist.
Für die Drittklässler der Grundschule Richardstraße begann es als Spiel. Sie bekamen Stifte, Knetmaterialien, Perlen, Papier und sollten sich daraus ihr eigenes Geld basteln. Fantasiefiguren und kleine Skulpturen entstanden, die schließlich abfotografiert und auf Scheine gedruckt wurden. 100 Abenteuer ist jeder Schein wert, jeder Schüler erhielt zehn davon und dazu eine Karte mit den Geschäften, in denen sie benutzt werden konnten. Aus dem Spiel wurde Wirklichkeit.
Manche gaben schnell fast alles aus, andere waren zögerlicher und sparten lieber. Manche zeigten sich spendabel und luden stolz die Familie zum Eis ein, andere versuchten, möglichst viel für sich selbst zu horten. Die Kinder begannen, sich Dienstleistungen auszudenken: den Schulranzen tragen, die Tür aufhalten - wer "Diener" spielte für einen Klassenkameraden, verdiente sich sein eigenes Gehalt.
Ganz eloquente Schüler taten als weiteres Geschäftsfeld die Akquise für sich auf. Pro Laden, der für das Projekt gewonnen werden konnte, gab es noch einmal einen Schein extra.
21 Geschäfte machen inzwischen mit: Handwerksbetriebe, Supermärkte, Apotheken, Bäckereien. Aus Erwachsenensicht verschenken die Läden ihre Waren, mit dem Kindergeld können sie als einzige Gegenleistung die Forschungstheater-Projekte des Fundus-Theaters besuchen. Doch es gibt weitere Vorteile: Zum einen werben sie damit kleine Kunden und mit ihnen gleich Freunde und Familie. Und zum Zweiten, das ist zumindest auf weitere Sicht die Hoffnung: Der Stadtteil könnte damit enger zusammenwachsen. Die Eilbeker Geschäfte empfinden sich schon lange als bloße Durchgangsmeile zum aufstrebenden Wandsbeker Markt, sie fürchten, im Lauf dieser Entwicklung auf der Strecke zu bleiben. Mit dem Abenteuergeld entsteht ein neues kleines Netzwerk im Stadtteil.
Im Antiquariat Schwarz können die Kinder Bücher und Comics kaufen. "Ich finde es gut, wenn Kinder früh den richtigen Umgang mit Geld lernen", sagt Inhaber Sigurd Schwarz. Außerdem kämen die kleinen Kunden auch oft mit ihren Eltern vorbei. "Und die kaufen dann mit richtigem Geld ein. Viele wären sonst gar nicht gekommen."
Seit Januar gibt es die bunten Scheine, in Zukunft soll das Projekt noch wachsen. Neue "Aktionäre" sind willkommen, die Geschäfte können ihre eingenommenen Scheine an andere Kinder weiterverschenken. Unter denen machen derweil schon erste Gerüchte die Runde, man könne sich auch eine Playstation kaufen. Und einer, munkelt man, plane, am heimischen Computer die Scheine zu fälschen.
Der neunjährige Kevin ist begeistert vom eigenen Geld, doch die ein oder andere Entwicklung betrachtet er mit Sorge. "Bei ein paar Leuten hat sich schon eine Art Geldsucht entwickelt", sagt er. "Die wollen immer mehr." Manch anderer dagegen hat das Prinzip Geld noch nicht so ganz verstanden - oder aber schon viel besser als viele Erwachsene. "Vincent wollte mir sein ganzes Geld schenken", schreibt ein Schüler im Erfahrungsbericht. "Aber ich habe es nicht genommen, damit Vincent sich auch was kaufen kann. Denn er ist einer meiner besten Freunde."
Kurz nach Einführung der neuen Währung, sagt Hannah Kowalski, als die Schüler sich plötzlich sklavisch die Ranzen hinterhertrugen, als dann das Geld geklaut wurde, als Kim Linh weinte, da sei ihr schon ein bisschen mulmig geworden. "Ganz kurz habe ich mich da gefragt, was wir vielleicht angerichtet haben", sagt sie. Es habe sich aber alles gut entwickelt. Der Diebstahl blieb der einzige, die Kinder wurden des Bedienens müde, und je länger das Projekt dauert, desto souveräner gehen sie mit ihrem neuen Reichtum um. Sie kaufen Tee, Gemüse, Süßigkeiten und trauen sich erstmals allein in die Läden. Elke Schwerdtfeger, eine der Klassenlehrerinnen, zieht ein sehr positives Fazit. "Die Kinder sind begeistert und stolz", sagt sie. "Und sie entwickeln ein viel bewussteres Verhältnis zum Geld."
Etwas ganz Wichtiges haben die kleinen Aktionäre dabei auch gelernt: Wer zu viel Geld in Umlauf bringt, riskiert, dass die Geschäfte nicht mehr mitmachen. Dann sind die schönen Scheine plötzlich wertlos. Besser kann man Inflation nicht erklären.