In den Walddörfern testet der Bezirk Wandsbek Denkmalschutz “von unten“. Heimatpflege-Vereine listen erhaltenswerte Gebäude des Bezirks auf.

Duvenstedt. Und plötzlich war da ein Loch. Früher, wenn man über die Alster nach Duvenstedt fuhr, lag seitwärts ein altes Reetdachhäuschen am Straßenrand, ein historisches Gebäude, das mit den Jahren marode und deshalb saniert worden war. Ende 2010 klaffte plötzlich eine Lücke im gewohnten Bild. Abrissbagger waren angerückt und hatten das Häuschen dem Boden gleichgemacht. Heute sprießt Rasen auf dem Grundstück, vielleicht wird irgendwann etwas Neues gebaut. Vielen Duvenstedtern tut der Abriss noch immer weh.

"Ich war entsetzt", sagt Anja Quast, Fraktionsvorsitzende der SPD Wandsbek. Als Einwohnerin Duvenstedts hat sie erlebt, wie schnell so ein Abrissverfahren laufen kann. "Es hat ja keiner etwas mitbekommen. So etwas geht an all unseren Gremien vorbei."

Im vergangenen Mai brachte die SPD-Fraktion daher einen Antrag in den Regionalausschuss Walddörfer ein, der schließlich von der Bezirksversammlung in geänderter Form beschlossen wurde: "Um nicht noch weitere für die Bevölkerung liebenswerte Gebäude in den Walddörfern zu verlieren", werde die Bezirksamtsleitung gebeten, die Heimatpflege-Verbände anzuschreiben. Diese sollten Listen für ihren jeweiligen Ortsteil erstellen, auf denen sie alle ihrer Meinung nach unverzichtbaren Gebäude aufführen - ausdrücklich auch jene, "die nicht den strengen Richtlinien des Denkmalschutzes für eine Denkmalwürde entsprechen". In einem zweiten Schritt sollten Möglichkeiten geprüft werden, die Häuser zu schützen.

Aus Volksdorf, Lemsahl-Mellingstedt und Duvenstedt liegen die Listen inzwischen vor. Der Kulturkreis Walddörfer, die Vereinigung Duvenstedt und der Heimatbund Lemsahl-Mellingstedt haben Gebäude ausgewählt, die auf der offiziellen Denkmalliste manchmal keinen Platz gefunden haben, im Bild ihres Stadtteils aber umso fester verankert sind: Fachwerkhäuser, Strohdachhäuser, alte Villen. Manche sind liebevoll restauriert, manche stehen leer, manche sollen Neubauten weichen. Manche sehen von außen fast aus wie früher, wurden aber so stark umgebaut, dass für einen Denkmalschutz zu wenig Originalsubstanz vorhanden ist.

Der Duvenstedter Uwe Berner etwa hat sein Strohdachhaus 1960 als Ruine erstanden. In jahrelanger Arbeit sanierte er es behutsam, baute den Schweinestall zum Wohnzimmer um und das Haus wieder auf, nachdem Teile des Gebäudes einem Brand zum Opfer gefallen waren. Für viele ist es nicht wegzudenken aus dem Stadtteil. Doch weil es im Innern stark verändert und zum Teil neu gebaut wurde, hängt der Erhalt eines solchen Hauses vom Willen des Besitzers ab.

Viele Gebäude sind vom Denkmalschutz sogar schon offiziell als Denkmäler anerkannt - und trotzdem nicht gesetzlich geschützt. Jürgen Reher, der ehemalige Duvenstedter Dorfsheriff, wohnt in einem solchen Haus. Es ist ein kleines, mit viel Liebe hergerichtetes Häuschen aus dem Jahr 1743 mit tiefem Strohdach, verwinkelten Räumen und Villa-Kunterbunt-Charme.

Rehers Ehefrau war eine Nachfahrin des Erbauers, seit mehr als zweieinhalb Jahrhunderten ist das Haus in Familienbesitz. "Bärenkate" nennen es die Duvenstedter, weil vorbeiziehende Zirkusleute früher hier ihre Tanzbären rasten ließen. Nun ist die Zukunft des Gebäudes ungewiss.

"Meine Kinder haben alle eigene, modernere Häuser", sagt Reher. Er hängt an dem Haus. Hier hat er sein Leben verbracht, seine Kinder aufwachsen gesehen, hier hat er eine Polizeimützensammlung in seinem früheren Büro. Er hofft, dass die Kate später von einem Liebhaber aufgekauft wird, "sonst wird sie vielleicht abgerissen".

Zwar ist das Haus als Denkmal anerkannt. Doch in Hamburg wird ein feiner und manchmal entscheidender Unterschied gemacht zwischen nur "erkannten" Denkmälern und solchen, die auf der Denkmalliste verzeichnet sind. Nur Letztere sind vom Gesetz klar geschützt. In den meisten anderen Bundesländern gilt das "Ipsa lege"-Prinzip: Ein Denkmal, sobald als solches erkannt, steht automatisch rechtskräftig unter Schutz.

In Hamburg braucht es für jedes einzelne Objekt einen zusätzlichen und zeitaufwendigen Verwaltungsakt: Damit es ein Gebäude vom Verzeichnis der erkannten Denkmäler auf die Denkmalliste schafft, muss eine Begründung vorausgehen, dazu eine Anhörung des Verfügungsberechtigten und anderer Behörden sowie die Information des Denkmalrates. Rund 4900 Hamburger Denkmäler gibt es; nur etwa 1900 davon sind per Gesetz geschützt.

Schon lange wird daher eine Veränderung des Hamburger Denkmalschutzes diskutiert. Der Denkmalverein Hamburg kritisiert seit Jahren, dass mit dem kulturellen Erbe der Stadt zu sorglos umgegangen werde. Die SPD nahm das Thema in ihr Wahlprogramm 2011 auf: "Denkmalschutz macht Hamburg lebenswert und bekommt deswegen wieder einen höheren Stellenwert in der Stadt", heißt es da. "Wir werden das sogenannte Ipsa-lege-Prinzip einführen." Die Gespräche laufen noch.

Gerade wenn es ums eigene Heim geht, stehen viele Bürger dem offiziellen Denkmalschutz jedoch skeptisch gegenüber. Mit Einschalten der Behörde wird der Wunsch nach Bewahrung schnell zur Verpflichtung - dann braucht es für jeden Umbau, für jede kleine Veränderung eine Genehmigung. Jürgen Reher ist daher ganz froh, dass sein Haus nicht gesetzlich geschützt ist. Er denkt an seine Kinder dabei. "Stünde es unter Schutz", sagt er, "wäre es für sie sehr schwer, es zu verkaufen."

Auch die CDU Wandsbek hat sich im Regionalausschuss Walddörfer deshalb damals beim Antrag der SPD enthalten. "Denkmalschutz ist wichtig, aber für die Eigentümer auch immer mit hohen Auflagen verbunden", sagt die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Franziska Hoppermann. "Das kann für eine Privatperson sehr teuer werden. Da sollten nicht einfach Bürger ein Haus unter Schutz stellen können, nur weil sie es hübsch finden."

Ein konkretes Konzept für den Denkmalschutz "von unten" gibt es bislang nicht. Klar ist, dass es weniger um kunst- und kulturhistorische Kriterien gehen soll als um das Stadtbild. Anja Quast hofft, einen Kompromiss zu finden zwischen den Interessen der Eigentümer und denen des Stadtteils. "Wir wollen die Häuser vor Abriss schützen, ohne die Besitzer zu sehr einzuschränken", sagt sie. "Vielleicht wäre es etwa möglich, neue Abrissanträge mit unseren Listen abzugleichen und die Eigentümer direkt zu kontaktieren. Vielleicht könnte dann auch einfach die Fassade stehen bleiben und das Innere entkernt werden." Aus Bergstedt und Wohldorf-Ohlstedt fehlen die Listen noch. Wird eine Lösung gefunden, so Quast, könnten die Walddörfer dann auch ein Modell für den ganzen Bezirk werden.