Die Hamburger Schatzkiste der Ev. Stiftung Alsterdorf ist eine Partnervermittlungsbörse für Menschen mit Behinderungen. Ein Ortsbesuch.

Aus einem schlichten Raum in Alsterdorf wird jeden Dienstag eine Oase für Menschen, die nicht mehr einsam sein wollen. Sie kommen zum offenen Treff der Schatzkiste – einer Partnervermittlungsbörse für Menschen mit körperlichen, psychischen oder kognitiven Beeinträchtigungen. An diesem Dienstagnachmittag, dem Valentinstag, ist der Raum mit Herzgirlanden geschmückt. Es gibt Kaffee und Kekse. Sebastian Halser, genannt Basti (32) hat sogar einen Kuchen in Herzform mitgebracht. „Ich bin oft hier, ich möchte gerne wieder eine Freundin haben“, sagt Basti. Er ist einer von rund 170 Kandidaten und Kandidatinnen in der Vermittlungskartei der Schatzkiste in Alsterdorf.

Vor 25 Jahren gründete der Psychologe Bernd Zemella die Schatzkiste der Ev. Stiftung Alsterdorf. Es war damals die erste Partnerschaftsbörse für behinderte Menschen in der Bundesrepublik. „In der Zeit waren Liebe und Sexualität von behinderten Menschen noch Tabuthemen“, sagt Kerstin Möckel-Schindler im Podcast „Von Mensch zu Mensch“. Das ist heute offener geworden, weiß die Erzieherin, die seit 30 Jahren bei der Stiftung Alsterdorf tätig ist und seit vergangenem Sommer die Schatzkiste leitet. „Dennoch gibt es für Menschen mit Beeinträchtigungen immer noch viele Hürden bei der Partnersuche“, so Möckel-Schindler.

Es geht auch um Sexualität und Wunschvorstellungen

Bei der Anlaufstelle finden sie Gehör für ihre Fragen, Unterstützung und einen Ort zum Kennenlernen. Während der Dienstag dem offenen Treff gehört, gibt es donnerstags eine Sprechstunde für Einzelberatungen. Dann finden auch Gespräche für die Aufnahme in die Kartei statt. Dazu geht Kerstin Möckel-Schindler gemeinsam mit den Klienten einen Vermittlungsbogen durch. Es werden Information zur Person, wie etwa Alter, Art der Beeinträchtigung, Arbeit und Hobbies abgefragt. Und es geht darum, welche Wunschvorstellung der oder die Betreffende vom jeweiligen Traumpartner hat. „Dabei sprechen wir auch intime Fragen an.“ „Hattest du schon eine Beziehung?“ „Wünschst du dir Sexualität oder möchtest du nur kuscheln?“

Das Aufnahmegespräch dauere meist eine Stunde und viele seien zu Beginn sehr aufgeregt, aber wenn sie fertig sind, sehr stolz. „Ich habe Hochachtung vor den Menschen, die aktiv werden und sich trauen, mir ihre Wünsche zu erzählen“, sagt Möckel-Schindler. Natürlich klappt es nicht immer mit einer Vermittlung. „Wir haben mehr Männer, die Frauen suchen als umgekehrt“, sagt die Leiterin. Das Frauen zurückhaltender sind, liege oft daran, dass sie „Grenzüberschreitungen etwa auf körperlicher oder sexueller Ebene erlebt haben“, so Möckel-Schindler.

Anita Huber und Sebastian Bolzmann haben sich über die Partnerbörse gefunden.
Anita Huber und Sebastian Bolzmann haben sich über die Partnerbörse gefunden. © FUNKE Foto Services | Marcelo Hernandez / FUNKE Foto Services

Schnell gefunkt hat es allerdings bei Anita Huber und Sebastian Bolzmann, beide 39 Jahre alt. Schon beim ersten Durchblättern durch den Ordner „Mann sucht Frau“ war Sebastian Bolzmann Anitas Vermittlungsbogen aufgefallen. „Es war kein Foto dabei, aber ich konnte sie beim offenen Treff in der Schatzkiste kennenlernen“, sagt Sebastian Bolzmann im Podcast.

Er ist HSV-Fan, sie liebt St. Pauli

Das war vor gut einem Jahr. Seitdem sind sie ein Paar. „Und dabei ist er HSV-Fan“, sagt die St. Pauli-Anhängerin Anita Huber und lacht. Sie haben auch gemeinsame Hobbies, gehen gern zusammen essen oder machen gemeinsam Urlaub. „Wir wollen es langsam angehen lassen“ sagt Anita Huber. Aber eines Tages mal zusammen zu wohnen, könnten sich beide vorstellen.

Sich austauschen, in Kontakt kommen, das ist vor allem das Ziel des offenen Treffs. Bis zu 20 Teilnehmerinnen und Teilnehmer können Kerstin Möckel-Schindler und ihr Kollege Rasheed Rahman jede Woche begrüßen. Für mehr Personen ist der Raum nicht groß genug. Nach der Begrüßung wird geplaudert, manche spiele Spiele. „Wir sprechen auch mal über Themen, die einen beschäftigen oder feiern Geburtstag“, sagt Rasheed Rahman. Seit Weihnachten verfügt der Treff dank einer Spende über eine kleine Karaoke-Anlage. Darüber sind alle sehr glücklich. Die Grundfinanzierung für das kostenlose Angebot der Schatzkiste übernimmt die Evangelische Stiftung Alsterdorf.

Der ganze Podcast Von Mensch Zu Mensch
Der ganze Podcast Von Mensch Zu Mensch © Hamburg | Podcast Von Mensch Zu Mensch

Jan-Lennert Homfeldt (27) singt an diesem Nachmittag indische Liebeslieder ins Mikrofon und bringt ein Hauch von Bollywood in den Raum. „Er hat eine ganz besondere Begabung, er kann die Lieder in Hindi akzentfrei nachsingen“, sagt Erzieher Rasheed Rahman. Jan-Lennert Homfeldt liebt Bollywood-Geschichten. Seine Prinzessin hatte er selbst noch nicht gefunden. Dafür begeistert er mit seinem Gesang die anderen Besucher.

Sie war die Mutige, hat ihn angesprochen

Dazu gehören auch Bettina von Bocksberg (61) und Dirk Fitschen (51), die beide musikalisch sind. Bei ihrer Arbeit in den Elbe Werkstätten hat sich Bettina von Bocksberg zum Chor angemeldet. Dirk Fitschen besitzt ein Keyboard und lernt jetzt Noten lesen. Seit knapp einem halben Jahr sind sie ein Paar. „Sie war die Mutige, hat mich beim Treff direkt angesprochen“, sagt Dirk Fitschen über seine Betty. Von da an hatte er „Schmetterlinge im Bauch.“ Nach einem gemeinsam verbrachten Wochenende war für beide klar, dass sie zusammen sein wollen. „Ich hatte ja zuvor auch schon Nieten gezogen“, sagt von Bocksberg.

Beziehungsprobleme oder Trennungen sorgen häufig für Gesprächsbedarf. Ebenso wie die Frage, wie man flirtet oder auch das Thema Kinderwunsch. „Wir sind immer ansprechbar, auch wenn es um schambehaftete Themen geht. Oder darum, was ich in einer Beziehung nicht mitmachen möchte, dass ich „Nein“ sagen darf“, sagt Rasheed Rahman. Die sexualpädagogische Beratung sei wichtig, weil es gerade für Menschen mit Hilfsbedarf oft an geeigneten Ansprechpartnern im Umfeld fehle.

„Wir bieten einen geschützten Rahmen, wo jeder so angenommen wird, wie er ist“, sagt Möckel-Schindler. Die Wertschätzung gegenüber den Menschen, ist auch beim offenen Treff zu spüren, die Atmosphäre fast familiär. Zum Schluss wird immer gern getanzt. „Das ist nicht nur ein gutes Mittel, um in Körperkontakt zu kommen und zu flirten, es macht auch einfach Spaß“, sagt Rasheed Rahman. Selbst jenen, die nur zuschauen mögen.

Kontakt zur Schatzkiste, Tel. 50 77 35 42, E-Mail: schatzkiste@alsterdorf.de

Der ganze Podcast unter: https://www.abendblatt.de/podcast/von-mensch-zu-mensch/