Hamburg. Bindungserfahrungen machen wir meistens in der Kindheit – wer Unsicherheit erlebt hat, hat oft Probleme, sich auf Partner einzulassen.

Julia und Volker sind seit einigen Monaten zusammen. Doch nach der anfänglichen Verliebtheitsphase zieht sich Volker zum Kummer von Julia immer häufiger zurück. Er sagt Treffen kurzfristig ab, vermeidet körperliche Nähe und lässt eine zunehmend verzweifelte Julia zurück. Sie hat große Angst, ihn zu verlieren, obwohl er ihr versichert, dass er sie liebt und die Beziehung will.

„Eigentlich passen wir doch ganz gut zusammen“, finden beide. Volker ist über sein ambivalentes Verhalten selbst sehr irritiert, eigentlich sehnt er sich auch nach Nähe. Was Julia und Volker nicht wissen: Ihre Bindungsstile und Bindungserfahrungen sind sehr unterschiedlich.

Wie kommt es zu solchen Ambivalenzen, warum gelingen manche Paarbeziehungen, warum scheitern andere? Antworten liegen häufig in der Kindheit. Das Bindungsverhalten wird sehr früh geprägt. Zu entscheidenden Erkenntnissen kam der britische Psychoanalytiker John Bowlby (1907-1990), ein Pionier in der Bindungsforschung. Seine Theorie besagt, dass die Art und Weise, wie Eltern oder wichtige Bezugspersonen sich um ihre Babys und Kleinkinder kümmern, entscheidend dafür ist, welche Bindungsstile sie entwickeln.

Es gibt sichere und unsichere Bindungen

Grundsätzlich gibt es sichere und unsichere Bindungen: Eine sichere Beziehung entsteht dann, wenn die Eltern schnell und verlässlich auf die Bedürfnisse ihres Kindes reagieren, es zum Beispiel spontan trösten, wenn es weint. Eine unsichere Bindung entsteht, wenn Kinder emotional und körperlich nicht gut und liebevoll versorgt werden. Aber auch überbehütete Kinder, die sich nicht abnabeln durften und deshalb nicht selbstständig werden konnten, sind oft sehr unsicher.

In den 1980er-Jahren übertrugen die US-Forscher Cindy Hazan und Phillip Shaver die kindlichen Bindungsstile auf die Beziehungsmuster von Erwachsenen. So hätten Kinder, deren Bezugspersonen sich nicht stabil und emotional zuverlässig um sie kümmerten, eher Schwierigkeiten in ihren Partnerschaften. Denn auch in Liebesbeziehungen geht es um sichere oder unsichere Bindungen, Bindungsangst und Bindungsvermeidung. Bindungsstile sind ein innerer Kompass, wenn es ums Daten und Kennenlernen geht.

Der ängstliche Bindungsstil

Ein ängstlicher Bindungsstil geht meist mit einem instabilen Selbstwertgefühl und großer Unsicherheit einher. Diese Menschen haben Angst vor Ablehnung, legen viel Wert auf Anerkennung und Bestätigung. Sie können sich anderen schwer öffnen, da sie fürchten, verletzt oder nicht angenommen zu werden. Oft wurden sie als Kinder emotional schlecht oder instabil versorgt.

Sie mussten sich schon als kleine Kinder sehr stark anpassen, um von ihren Eltern Liebe zu bekommen, und diese war immer an Bedingungen geknüpft. Erwachsene mit diesem Bindungsstil suchen in Liebesbeziehungen ein hohes Maß an Intimität und Zustimmung. Sie neigen dazu, es ihrem Partner recht machen zu wollen. Damit einher geht oft ein geringes Selbstbewusstsein und der Liebespartner wird überhöht.

Wenn der Partner sich zurückzieht, fangen Menschen mit ängstlichem Bindungsstil häufig an zu klammern. Hinter diesem Verhalten steht Verlustangst. Julia gehört zu diesen Menschen, sie hat ständig Angst davor, dass Volker sich abwendet. Menschen wie sie – übrigens häufig Frauen – leben oft in Partnerschaften, die sehr ungleichgewichtig sind. Sie neigen deshalb auch dazu, sich in einer Beziehung energetisch zu erschöpfen.

Der vermeidende Beziehungsstil

Menschen mit diesem Beziehungsstil sind nicht leicht zu identifizieren. Anfangs wirken sie tatsächlich „verfügbar“. Erst später wechseln sie die Gangart, in der Regel, wenn die Beziehung sich festigt und verbindlicher wird. Dann beginnt auf einmal das Distanzierungsverhalten. Was ist aus der anfänglichen Nähe geworden?

Menschen mit diesem Bindungsstil wünschen sich zwar Nähe und Intimität, aber sie haben meist schlechte frühkindliche Erfahrungen gemacht. Sie hatten oft Eltern, die wenig präsent und emotional nicht verfügbar waren. Das Gefühl einer sicheren Beziehung haben sie nie erfahren. Typisch für das vermeidende Bindungsverhalten sind deshalb Distanziertheit und Misstrauen in Liebesbeziehungen. Autonomie ist für sie ein hohes Gut. Sie fühlen sich mit emotionaler Nähe eher unwohl, haben ein schlechtes Selbstbild und trauen ihrer eigenen Beziehungsfähigkeit nicht, im Extremfall verleugnen sie sogar ihre Gefühle.

Volker verkörpert diesen Beziehungsstil. Einerseits will er mit Julia zusammen sein, andererseits hat er Angst vor seinen eigenen Gefühlen. Volker war kein Wunschkind. Die Mutter war selbstständig und der kleine Junge lief „nebenher“.

Das Babykörbchen stand neben dem übervollen Schreibtisch und sehr häufig haben sich Mitarbeiterinnen der Mutter um den Kleinen gekümmert. Volker hat früh große Angst vor Enttäuschung und Unerwünschtheit entwickelt. Menschen mit diesem Beziehungsmuster haben vielfach On-off-Beziehungen. Sobald sie eine Verbindung spüren, sabotieren sie diese.

Sie haben zwar eine tiefe Sehnsucht nach Bindung, gleichzeitig jedoch große Angst und lehnen sie ab. Darum zieht Volker sich immer wieder von Julia zurück. Als Reaktion darauf wird Julia mit ihrem ängstlich-unsicheren Bindungsstil natürlich zunehmend nervöser und fordert bei Volker immer vehementer Liebesversicherungen ein. Er bekommt in der Folge Panik und distanziert sich. Der Tanz aus Nähe und Distanz, Bindung und Autonomie ist hier in vollem Gange.

Der sichere Bindungsstil

Und hier kommt die Lösung für viele Beziehungssuchende: Ein Mensch mit einem sicheren Bindungsstil. Er fühlt sich mit Nähe wohl und ist in der Lage, stabile Partnerschaften zu führen. Menschen mit dieser Beziehungsausprägung zeigen ein stabiles Selbstwertgefühl, strahlen Selbstbewusstsein aus und pflegen einen gesunden Umgang mit den eigenen Gefühlen und Bedürfnissen. Meist sind sie in einem liebevollen Elternhaus aufgewachsen, fühlten sich dort geborgen und sicher. Ihren Partnern können sie genug Freiraum lassen, sie haben Vertrauen in sich und andere.

Doch woran hakt es dann trotzdem? Menschen mit einem sicheren Bindungsstil werden tatsächlich oft als unsexy wahrgenommen und schnell in die Kategorie „Kumpel“ oder „gute Freundin“ einsortiert. Als Liebespartner werden sie (leider) oft nicht wahrgenommen. Da sie keine Spielchen spielen, wirken sie im ersten Moment teils langweilig und unerotisch. Es knistert einfach nicht so leicht. Dabei sind sie die idealen Partner für unsichere oder vermeidende Beziehungstypen. Aufmerksames Hinschauen lohnt sich also!

Unsere Bindungserfahrungen können überschrieben werden

Heißt das jetzt, dass Menschen, die einen ängstlichen oder vermeidenden Beziehungsstil haben, niemals in einer stabilen Partnerschaft leben können? Nein. Die Forschung hat gezeigt, dass Erwachsene ihren Bindungsstil aufgrund von Bindungserfahrungen verändern können.

Es kann also durchaus sein, dass ein ursprünglich vermeidender Typus aufgrund einer Partnererfahrung mehr Nähe zulassen kann und sicherer wird. Es lohnt sich auf alle Fälle, auf eine innere Entdeckungsreise zu gehen. Wenn wir uns unserer Bindungsstile bewusst sind, können wir unsere Stärken und Schwächen und unseren Wunsch nach Nähe und Distanz in einer Beziehung besser verstehen.

Diesen Weg sind auch Julia und Volker gegangen. Für beide war klar, dass sie ein Paar bleiben wollen. Sie haben im Zuge einer Paartherapie an ihren Bindungsmustern und vor allem an ihrer Kommunikation gearbeitet. Sie haben gelernt, ihre Bedürfnisse zu artikulieren und ein gegenseitiges Verständnis dafür zu entwickeln.

Die Autorin berät in ihrer Praxis Herzkümmerei Menschen mit Beziehungsproblemen.

Bücher zum Thema: Ursula Nuber: „Der Bindungseffekt: Wie frühe Erfahrungen unser Beziehungsglück beeinflussen und wie wir damit umgehen können“, Piper, 256 S., 20 Euro.Stefanie Stahl: „Jein! Bindungsängste erkennen und bewältigen. Hilfe für Betroffene und deren Partner“, Kailash, 320 S., 15 Euro. Amir Levine, Rachel S. F. Heller: „Warum wir uns immer in den Falschen verlieben“, Goldmann, 352 S.,9,99 Euro.