Der Journalist Olivier David beschreibt in einem Buch und im Podcast „Von Mensch zu Mensch“ seine Kindheit voller Wut und Schamgefühlen.

Er steht auf der Seite der Armen, Belasteten, denn er selbst ist einer von ihnen. Auch wenn er inzwischen eine Theaterausbildung und ein Volontariat hat und als Journalist arbeitet. „In mir lodert der Hass“, schreibt Olivier David im Prolog zu seinem Buch „Keine Aufstiegsgeschichte – Warum Armut psychisch krank macht“. Das Gefühl, ständig gegen etwas kämpfen zu müssen, begleitet ihn. Ohnmacht und Wut sind ihm vertraut, die entstanden sind, als er in Hamburg in einem prekären Umfeld aufwuchs. Seine Eltern streiten sich immer wieder heftig und trennen sich, als der Junge noch in die Grundschule geht, die Mutter ist depressiv, hat selbst in der Kindheit Gewalt erfahren.

In seinem Wohnviertel, schreibt David, „war die Größe der Sat-Schüssel wichtiger als die Schullaufbahn der Kinder“. Er sei ein Junge mit viel Energie und Aggression gewesen, der Auszug seines Vaters, als er acht Jahre alt war, und der Tod seines Klassenlehrers brachten ihn aus dem Gleichgewicht. Die alleinerziehende Mutter konnte das nicht auffangen, weil sie selbst belastet und krank war. Verlässliche und gute erwachsene Vorbilder fehlten ihm.

Olivier Davids Geschichte im Abendblatt-Podcast Von Mensch Zu Mensch, moderiert von Iris Mydlach
Olivier Davids Geschichte im Abendblatt-Podcast Von Mensch Zu Mensch, moderiert von Iris Mydlach © Hamburg | Podcast Von Mensch Zu Mensch

Olivier und seine Schwester gehen auf eine Waldorfschule, wo immer auch ein Teil bedürftiger Schüler aufgenommen wird. Sie hungern oder frieren zwar nicht, doch David empfindet sich als nicht zugehörig zur Gemeinschaft. Er muss vor Klassenfahrten im Beisein der anderen Schüler mit seiner Bedürftigkeitsbescheinigung zur Lehrerin gehen, damit die Kosten vom Amt übernommen werden.

Der „Walk of Shame“ vor der Klasse

„Walk of Shame“ nennt er diesen Gang. „Wir haben andere Erfahrungen gemacht als die sogenannte Mehrheitsgesellschaft“, erklärt sich der 34-Jährige seine Wut. Die Wut entstehe aus oft empfundener Scham – wie der, wenn er als Schüler „Kinder aus meiner Klasse zu Hause in ihren Alstervillen mit ihrem Eiswürfelautomaten besuchte“.

Vieles kann der Heranwachsende sich nicht leisten und entwickelt Strategien, um Verabredungen abzusagen, damit er sein Gesicht wahren kann, zum Beispiel wenn das Geld für den teuren Dom fehlt. „Menschen, die in Armut leben, werden nie wissen, welche Entscheidungen sie getroffen hätten, hätten sie eine wirkliche Wahl gehabt“, beschreibt er die Ursache für das Gefühl des Ausgeschlossenseins. Wenn er über seine Generation, die in den 1980ern bis in den späten 1990er-Jahren Geborenen, in den Medien lese, fühle er sich nicht angesprochen. Es sei, als würden er und seine Leute in einem Paralleluniversum wohnen: „Sie haben keinen Zugang zur Öffentlichkeit … und wenn doch, dann wird über sie geredet, nicht mit ihnen“.

Kein Happy End, aber dennoch viel Humor

Kriminalität, Drogen, Gewalt und heruntergekommene Wohnungen sind ihm vertraut. Die aus Armut und Vernachlässigung entstandenen Kindheitsmuster wird David nicht los, sie „verhindern, dass wir uns allzu weit von dem sozialen Raum entfernen, der für unseresgleichen vorgesehen ist“. Durch eine Therapie bekommen seine psychischen Leiden zwar eine Diagnose, er versteht, was zu seinen desaströsen Zuständen führt. Mit einem Happy End kann das Buch allerdings nicht aufwarten. Olivier David ist ein talentierter Schreiber, der spannend und humorvoll über Reisen, Ausbildung und Jobs, aber auch über abgrundtiefe Erlebnisse erzählt: ein manchmal schauriger, doch informativer Einblick in sein „Paralleluniversum“ und gleichzeitig die autobiografische Geschichte eines Menschen, der es trotz widriger Umstände scheinbar gesellschaftlich „geschafft“ hat, und dem man nur wünschen kann, sich mit den Erfahrungen seiner Kindheit zu versöhnen.

Olivier David: „Keine Aufstiegsgeschichte – Warum Armut psychisch krank macht“, Eden Books, 240 S., 16,95 Euro

Olivier Davids Geschichte im Abendblatt-Podcast Von Mensch Zu Mensch unter: https://www.abendblatt.de/podcast/von-mensch-zu-mensch/