Krankenkassen wollen Kosten sparen, versuchen Erkrankte schnell wieder in Arbeit zu bringen oder in andere Sozialsysteme zu schieben.

Als Elisabeth Langer (Name geändert) ihre Diagnose bekam, fiel sie aus allen Wolken. Sie war immer gesund gewesen, sportlich, fröhlich, Nichtraucherin – kein Krebstyp, dachte sie selbst. Ein Irrtum! Bei einer Vorsorge-Untersuchung Anfang des Jahres entdeckte ihre Frauenärztin einen bösartigen schnell wachsenden Tumor am Unterleib. Nur zwei Wochen später wurde dieser in einer mehrstündigen Operation entfernt, doch wie sich herausstellte, hatte der Tumor schon gestreut. Sie musste erneut operiert werden, um weitere Lymphknoten samt Metastasen zu entfernen. Die Ärzte entschieden, die 51-Jährige einer Radiochemotherapie, also einer kombinierten Chemo- und Strahlentherapie, zu unterziehen.

„In der Zwischenzeit hat mich die Krankenkasse mehrmals angerufen und gefragt, wann ich denn wieder zu arbeiten gedenke“, sagt die Mutter zweier erwachsener Kinder. „Dabei wussten die doch, dass ich noch die lange Behandlung vor mir habe.“ Als sie gerade mal die Hälfte dieser kräfteraubenden Therapie hinter sich hatte, die mit einer permanenten Übelkeit und großer Müdigkeit einherging, rief dieselbe Krankenkassenmitarbeiterin wieder an. „Sie hat mich erneut gefragt, wann ich denn wieder arbeiten wolle“, sagt Langer. Dabei habe sie wegen der Hautschäden durch die Bestrahlung wochenlang kaum laufen können und war völlig erschöpft. An Arbeit sei da nicht zu denken gewesen. „Diese Anrufe haben mich aber wahnsinnig unter Druck gesetzt.“

Patienten werden mit Anrufen bombadiert

Franziska Holz, Ärztin und Geschäftsführerin der Hamburger Krebsgesellschaft e. V., kennt solche Schilderungen aus vielen Beratungsgesprächen. Die tückische Krankheit trifft ihren Angaben zufolge jedes Jahr etwa 50.000 Hamburgerinnen und Hamburger. Und leider sei Krebs eine sehr langwierige Erkrankung. Sie sagt auch: „Es nimmt enorm zu, dass die Krankenkassen, aber auch andere Träger, versuchen, die Zahlungen von sich zu weisen und ins andere Sozialsystem zu verschieben. Patienten werden zum Teil massiv unter Druck gesetzt und fast unlauter mit Anrufen bombardiert. Das dürfen die Krankenkassen nicht. Aber sie umgehen es oft.“

Versicherte, die Krankengeld beziehen, werden dann immer wieder ungebeten von ihren Krankenkassen angerufen und zu ihrer Krankheit befragt. Das Bundesamt für Soziale Sicherung (BAS) hat im Mai 2021 darauf hingewiesen, dass Anrufe von Krankenkassen nur dann gestattet sind, wenn die Versicherten ihre Einwilligung gegeben haben.

Hohes Armutsrisiko mit Krebserkrankung

Nach Angaben von Holz ist der Fall von Elisabeth Langer beispielhaft für den Druck, den die Träger oft ausüben. Wer schwer erkrankt – wie eben bei Krebs – fällt im Job meist lange aus. Berufstätige haben nach der Lohnfortzahlung durch den Arbeitgeber, die nach sechs Wochen endet, maximal Anspruch auf 78 Wochen Krankengeld von der Krankenkasse. „Das sind im Optimalfall 70 Prozent des Nettogehalts“, sagt Holz. Danach erhalten die Betroffenen Arbeitslosengeld, je nach Alter und Dauer der Berufstätigkeit.

Der Arbeitslosengeldanspruch bestehe zwölf oder 18 Monate. Im Anschluss daran erhalten die Kranken Hartz 4, sofern sie anspruchsberechtigt sind. Wer in einer Bedarfsgemeinschaft lebt, etwa einen Ehemann hat, der ein Einkommen hat, bekomme nichts. Franziska Holz sagt es ganz nüchtern: „Eine Krebserkrankung birgt ein hohes Armutsrisiko. Bei einer Krebsbehandlung sind 78 Wochen nicht viel Zeit.“ Denn die Diagnose bedeute oft Chemotherapie, dann Operation, wieder Chemo und Bestrahlung.

Ärztin Franziska Holz leitet die Hamburger Krebsgesellschaft
Ärztin Franziska Holz leitet die Hamburger Krebsgesellschaft © Andreas Laible / FUNKE Foto Services | Andreas Laible

Cordula Melcher (Name geändert) leidet an Brustkrebs mit Metastasen an der Leber. Seit Monaten bekommt sie eine Chemotherapie. Der 42-Jährigen fällt es daher schwer, den Alltag mit ihren drei kleinen Kindern zu bewältigen, die Chemotherapie schwächt sie extrem, sie ist in den Tagen danach unglaublich müde. Und wenn sie sich nach ein paar Tagen erholt hat, kommt ja schon wieder die nächste Dosis Gift.

Antrag auf Haushaltshilfe abgelehnt

Den Antrag auf eine Haushaltshilfe lehnte ihre Krankenkasse dennoch ab. In der Begründung hieß es, den Haushalt könne ja ihr Mann erledigen, der aber Vollzeit arbeitet und Geld verdienen muss, sagt die dreifache Mutter. Sie legte Widerspruch ein und bekam letztlich eine Hilfe zugesprochen. Doch solche Kämpfe seien zermürbend, dafür habe sie eigentlich keine Kraft übrig, sagt Melcher.

Betroffene berichten auch, wie mühsam es ist, das Krankengeld zu beantragen. „Ich war davon ausgegangen, dass die Krankenkasse das Krankengeld automatisch bezahlt. Dort ist ja bekannt, dass ich längerfristig krank bin, schließlich haben die ja auch die Krankschreibungen bekommen und die Operationen und Behandlungen bezahlt“, sagt Elisabeth Langer.

Doch ohne Antrag keine Leistungen. Auch dass die Krankenkasse drängte, sie solle eine Anschlussrehabilitation machen, setzte ihr sehr zu. „Ich wollte lieber zu Hause wieder zu Kräften kommen, als in Pandemiezeiten in eine Rehaklinik zu gehen“, sagt sie. Inzwischen weiß sie, dass die Krankenkasse dann nicht mehr weiter für sie hätte zahlen müssen, sondern die Rentenversicherung.

Vorsicht vor zu schneller Reha-Zusage

„Es ist ein sozialpolitisches Problem, dass die Krankenkassen versuchen, sich aus der Verantwortung zu ziehen, die sie im Rahmen dieser 78-Wochen-Frist-Krankengeldzahlung haben. Es ist eine Verschiebung von einem Sozialleistungsträger auf den anderen“, sagt Marile Woitschikowski, Beraterin bei der Hamburger Krebsgesellschaft „Die Problematik hat sich innerhalb der letzten drei Jahre massivst verschärft. Zum Teil werden die Betroffenen noch mitten in der Behandlungsphase kontaktiert, um einen Antrag auf Rehabilitation zu stellen.

Das ist dann häufig der Schuss, der auch nach hinten losgehen kann, denn die Aufforderung der Krankenkassen hat für etliche Erkrankte weitreichende Konsequenzen, da die Rentenversicherung einen Rehabilitationsantrag auch in einen Rentenantrag umwandeln kann. Wenn das einem jungen Krebspatienten passiert, ist das fatal, weil er aufgrund der geringen Beitragsjahre nur ein paar Hundert Euro Rente bekäme. „Dabei scharren gerade onkologisch erkrankte Menschen mit den Hufen, um wieder ins Leben zu kommen“, sagt Woitschikowski. Sie blieben nicht länger krankgeschrieben als nötig.

Der Verein bietet auch Sozialberatung an

Die Hamburger Krebsgesellschaft hat pro Jahr etwa 3000 Beratungskontakte, sagt Holz, drei Viertel seien Frauen. Etwa die Hälfte aller Beratungsgespräche drehe sich um sozialrechtliche Fragen. „Wir sind bislang die einzige ambulante Krebsberatungsstelle in Hamburg, die auch Sozialberatung für Krebserkrankte anbietet“, sagt Holz. Sozialarbeiterinnen, Psychologinnen und sie selbst als Ärztin und Psychoonkologin begleiten die Patienten und ihre Angehörigen in allen Phasen der Krankheit.

Für die Ratsuchenden ist die Beratung kostenlos. Der Kontakt zur Beratungsstelle sei für viele Menschen ein wichtiger Anker, denn viele Erkrankte hätten keine Angehörigen, die unterstützen könnten, sagt die Geschäftsführerin. Man gebe pragmatische Hinweise, sagt Woitschikowski. Dazu gehöre, alle wichtigen Fragen schriftlich festzuhalten und Kopien von allen Schreiben zu machen. Und manchmal leistet die Krebsgesellschaft auch praktische Überlebenshilfe. Wenn es mal ganz eng wird, werden sogar Lebensmittelgutscheine ausgegeben.

Elisabeth Langer hat Glück gehabt. Sie ist zurück im Alltag und konnte ihre Arbeit nach sechs Monaten wieder aufnehmen. Cordula Melcher hat ihren Kampf verloren.

Die Hamburger Krebsgesellschaft bietet in ihren Beratungsstellen in Eppendorf und Harburg kostenfreie Kursangebote und Beratungsgespräche für an Krebs erkrankte und deren Angehörige an. Der Verein finanziert sich über Spenden. Weitere Infos zur Institution und den Kursen unter: krebshamburg.de