Für viele Bedürftige ist das Weihnachtspäckchen des Hamburger Abendblatts das einzige Geschenk zum Fest. 8500 Pakete wurden dieses Jahr verteilt. Drei Beispiele, die zeigen, wie groß die Freude und Rührung der Beschenkten ist. Von Hanna Kastendieck und Sabine TescheHanna KastendieckSabine Tesche

Er kann sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal so richtig Weihnachten gefeiert hat. Es muss vor seiner Zeit in der „Blauen Lagune“ gewesen sein, so wird das Männerwohnheim in Bergedorf genannt, in dem sich Ronny ein Zimmer mit einem anderen Mann teilt. Damals, als Ronny noch mit Ronald Friedrich Krakow unterschrieb, eine Anstellung als Gärtner hatte, eine Frau, zwei Söhne und ein gemütliches Zuhause. 26 Jahre ist das her. Jetzt sitzt er in den Räumen der sozialen Beratungsstelle Bergedorf/Billstedt. Mit zitternden Händen öffnet er das grüne, feine Weihnachtspäckchen, gefüllt mit vielen Leckereien, einer Strickmütze und einem fröhlichen Kinderbild. Ein Geschenk des Abendblatt-Ressorts „Von Mensch zu Mensch“ und seiner Leser, die für die jährliche Päckchen-Aktion Geld und Basteleien spendeten und von Kindern der Region, die dafür Bilder gemalt haben. Ronny lächelt. Ein stilles, zahnloses Lächeln.

Etwa 70 Menschen sind an diesem Nachmittag in der Beratungsstelle am Bergedorfer Bahnhof zusammengekommen. Mitarbeiterin Sabine Fehr und ihre Kollegin Godula Fiedler-Bendt haben die Büroräume festlich geschmückt. Es gibt Grünkohl mit Bregenwurst, Eis und Lebkuchen. Es sind Menschen mit Wohnungsproblemen. Sie leben von Hartz IV. Viele von ihnen haben keine feste Bleibe. Nicht mal ein Zimmer für sich. Ronny sucht seit einem Jahr eine Wohnung. Er hat im „Bermudadreieck“ zwischen Rübenkamp und Sengelmannstraße geschlafen, im Zelt. Fünf Jahre lang. Dann ist er in ein Gartenhäuschen gezogen. Als er dort rausmusste, blieb nur das Männerwohnheim. Seine Söhne hat er zuletzt vor 26 Jahren gesehen. Damals waren die Jungs fünf und sieben Jahre alt. Ronny glaubt, dass sie ihn längst vergessen haben. Überhaupt fragt er sich manchmal, wer noch an ihn denkt. „Umso mehr freue ich mich über dieses Weihnachtsgeschenk der Abendblatt-Leser“, sagt der 59-Jährige. „Weil es von Herzen kommt.“ Insgesamt 8500 dieser Weihnachtspäckchen hat die Redaktion an einsame, kranke und bedürftige Menschen in der Metropolregion Hamburg verteilt, sie gehen an Altenheime, Obdachlosenstätten, Stadtteiltreffs, Krankenhäuser und Gemeinden.

An diesem Nachmittag liegen Freude und Leid ganz nah beieinander. Auf der einen Seite die Freude über die Feier, die Musik, das Essen und das Paket. Auf der anderen Seite die Trauer über die eigene Situation. Denn viele der Besucher wie auch Stefan Mertin, 47, und Wolfgang Bröldiek, 54, kennen ein besseres Leben. Sie kennen die Seite der Gebenden. Sie hatten einen Beruf, ein festes Einkommen. Sie hatten genug Geld, um den Alltag sorglos zu bestreiten. Viele von ihnen verloren irgendwann ihren Job, fanden keine neue Anstellung. Andere wurden krank und arbeitslos. Und wieder andere wurden einfach nur zu alt, um weiter arbeiten zu können. Ihre Rente reicht nicht aus, um den Lebensunterhalt zu bestreiten.

Beraterin Sabine Fehr weiß, dass die meisten ihrer Klienten auf Weihnachten verzichten. Weil sie niemanden haben, den sie beschenken können. Und weil niemand da ist, der sie beschenkt. Also hat sie sich an die Abendblatt-Redaktion „Von Mensch zu Mensch“ gewandt mit der Bitte um ein paar Päckchen. Sie hat Glück, bekommt eine Zusage. „Die Freude ist riesig“, sagt sie. „Die Menschen, die zu uns kommen, haben alle einen schweren Weg hinter sich.“ Und das Weihnachtspäckchen sei der Höhepunkt der Feier und für die meisten die einzige Gabe zum Fest.

„Allein die Geste ist so schön“ – Weihnachtsfeier im Seniorenstift

Tag und Nacht hat er gearbeitet im Betonwerk. Ein ganzes Berufsleben lang. 40 Stunden die Woche. Jetzt ist Hellmuth Richter 94 Jahre alt. 650 Euro Rente bekommt er im Monat. Dass er im Alter sparen muss, damit hat er nicht gerechnet. Doch der alte Mann mit den schneeweißen Haaren klagt nicht. Im Gegenteil. Richter ist einer, der dem Leben die guten Seiten abzugewinnen weiß. Einer, der gern lacht. Der sich freuen kann, auch über die kleinen Dinge. Seit vier Jahren lebt er in der Seniorenwohnanlage Else Voss Stiftung in Rissen. 33 Quadratmeter hat er. Weihnachten feiert er schon seit Jahren nicht mehr. Er hatte fast vergessen, wie das ist, wenn jemand an einen denkt, einfach so, ohne zu fragen, was er zurückbekommt. Nun sitzt er staunend vor dem geöffneten Weihnachtspäckchen. Spekulatius, Kakao, Kaffee, Salami – lauter Leckereien sind darin. Und ein selbst gemaltes Bild, das ein Kind aus Hamburg für ihn gemacht hat, mit einem kleinen Gruß darauf. „Allein die Geste“, sagt er, „ist so schön. Da ist völlig gleich, was drin ist.“

Auch Gertrud Vollmer freut sich über die Gabe. Sie ist 95 Jahre alt und die älteste in der Wohnanlage, die Senioren mit kleinen Einkommen preiswerten Wohnraum zur Verfügung stellt. Die Weihnachtsfeier in der Eingangshalle ist auch ihr persönliches Weihnachtsfest. Es gibt Gänsebraten, Weihnachtsgeschichten werden vorgelesen und es wird gesungen. Am Ende der Veranstaltung bekommt jeder der 80 Bewohner ein grünes Abendblatt-Päckchen. Für die meisten ist dieser Abend das eigentliche Weihnachtsfest. Und das Paket das einzige Geschenk.

„Es gibt niemanden mehr“ – Marion Stubbe bleibt alleine an Heiligabend

Manchmal fällt Marion Stubbe das Treppensteigen zu ihrer Wohnung schwer. Dann legt sie auf dem Weg in den 3. Stock Pausen ein. „Aber ich wohne hier gern, das ist mein Refugium“, sagt sie lachend. Die 79-Jährige wohnt in einer winzigen Einzimmerwohnung in Hohenfelde. Am 24.12. wird sie in die Kirche gehen und den Abend dann alleine verbringen. „Ich habe ja niemanden mehr, keine Kinder, Geschwister oder Verwandten“, sagt sie traurig, obwohl Marion Stubbe eigentlich eine fröhliche Person, sehr engagiert in der Gemeinde ist. Früher war sie leitende Krankenschwester. „Dennoch reicht die Rente gerade so zum Leben“, sagt sie. Aber sie mag nicht klagen, sie freut sich lieber. Darüber, dass sie nun persönlich ein Weihnachtspäckchen überreicht bekommt. Sie liest das Anschreiben der Redaktion durch, bewundert das bunte Kinderbild und holt einen glitzernden Fröbelstern aus dem Paket. „Das Päckchen ist so wichtig für mich. Denn es gibt mir das Gefühl, dass es in Hamburg Menschen gibt, die an diejenigen denken, die niemanden zum Feiern haben. An Menschen wie mich.“