2010 hatte Suchtexperte Prof. Dr. Rainer Thomasius 730 Patienten zwischen zwölf und 21 Jahren in seiner Klinik - im Jahre 2000 waren es noch 60.

Maria ist 16 Jahre alt und macht eine Ausbildung zur Verkäuferin in einem großen Supermarkt. Ihr Freund Marcus ist drei Jahre älter, hat keinen Schulabschluss und ist arbeitslos. Aber der 19-Jährige hat eine eigene Wohnung. Und dort ist Maria viel lieber als zu Hause. Wenn Marcus' Freunde zu Besuch kommen - und das passiert fast jeden Abend -, wird viel getrunken und bis tief in die Nacht gefeiert. "Alkohol macht das Leben erst schön", ist sie überzeugt. Bier, Wodka und Zigaretten sind ihr Lebenselixier. Viele Schnapsflaschen später konstatiert Maria, dass sie schwanger ist. An ihrem Lebensstil will sie nichts ändern. "Meine Mutter hat auch getrunken und geraucht, als sie mit mir schwanger war", sagt Maria. "Und es hat mir ja nicht geschadet."

Marias Schicksal alarmiert und ist doch typisch. Laut Hamburger Drogenreport von September gelten 86 Prozent der unter 18-Jährigen als "alkoholerfahren", 34 Prozent trinken mindestens einmal im Monat mehr als fünf Gläser Alkohol hintereinander und betreiben damit "Rauschtrinken". 60 Prozent der befragten Mädchen zwischen 14 und 17 Jahren gaben an, innerhalb von 30 Tagen Alkohol konsumiert zu haben, bei den Jungen waren es 57 Prozent.

+++Wo gibt es Hilfe?+++

"Kinder und Jugendliche konsumieren Alkohol aus unterschiedlichen Gründen", sagt Professor Rainer Thomasius, Ärztlicher Leiter des Deutschen Zentrums für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters (DZSK) sowie Leiter der Jugendsuchtstation und Drogenambulanz am UKE. "80 Prozent trinken, um Spaß zu haben, um Glücksgefühle zu erleben und sich zu entspannen. Sie wollen cool sein, in geselliger Runde gute Stimmung genießen und im Freundeskreis mithalten. Zehn bis 20 Prozent greifen zur Flasche, um eigene Konflikte oder Angst zu bewältigen."

So wie Sebastian. Der 14-Jährige hat Ärger mit seinen Eltern, weil er oft die Schule schwänzt. Meist übernachtet Sebastian bei Andrea, der Freundin seines Kumpels Tom. Sie ist älter und gehört der Punkerszene an. Wenn die drei zusammen sind, wird immer getrunken, meistens Bier und Wodka. Irgendwann wird auch Sebastian in die Punkerszene abrutschen. Ein Sozialarbeiter versucht, dem Jungen die Ausweglosigkeit seines Lebens klarzumachen. Vergeblich. Und auch die Eltern dringen zu ihrem Sohn nicht mehr durch.

"Die Eltern dürfen trotzdem nicht aufgeben", sagt Thomasius. "Sie müssen sich für das Verhalten ihrer Kinder interessieren und klare Positionen vertreten. Spätestens wenn ein Jugendlicher regelmäßig trinkt, sollte man mit ihm zur Suchtberatung gehen."

Professor Thomasius hat diese Suchtkarrieren im UKE täglich vor Augen. Im Jahre 2010 verzeichnete seine Klinik 730 Patienten zwischen zwölf und 21 Jahren - im Jahre 2000 waren es noch 60. Dabei macht Thomasius vor allem die Entwicklung bei den zwölf- bis 15-jährigen Mädchen Sorgen. "Die habe ich viel häufiger hier als gleichaltrige Jungen." Der Grund: "Die Mädchen wollen beim Trinken mit älteren Jungen mithalten und ihnen imponieren."

Beim sogenannten "Rauschtrinken" (binge drinking) belegt Deutschland hinter Großbritannien den zweiten Platz. "Alkohol ist hier viel zu billig und viel zu leicht erhältlich", beklagt Professor Thomasius. Ähnlich sehen es Wolfgang Büscher, Marcus Mockler und der Gründer des christlichen Kinder- und Jugendwerkes "Die Arche", Bernd Siggelkow. Sie fordern in ihrem Buch "Generation Wodka" (adeo-Verlag) ein Alkoholverbot auf öffentlichen Straßen und Plätzen, höhere Preise für Schnaps und weniger Werbung.

Professor Rainer Thomasius appelliert an Eltern gefährdeter Kinder, das eigene Trinkverhalten zu reflektieren. "Wenn mein Kind sich betrinkt, muss ich das thematisieren. Wenn es sich wieder betrinkt, muss ich das problematisieren und Grenzen setzen. Und ich sollte ein gutes Vorbild sein."