US-Diplomat Philip Murphy hält eine hinreißende Unterrichtsstunde am Gymnasium Allee und schwärmt von Fußball und Multikulti.

Hamburg. "Wenn wir in Hamburg mehr von solchen Lehrern hätten, dann hätten wir weniger Probleme", sagt Dirk Mumm, Direktor des renommierten Gymnasiums Allee an der Max-Brauer-Allee. Und er zögert nicht, jenem Mann, der gerade vor seiner Oberstufe einen hinreißenden Unterricht gehalten hat, gleich einen Job an seiner Schule anzubieten. Doch Philip Murphy muss leider ablehnen - er hat schon einen. Und keinen schlechten: Seit August 2009 ist er amerikanischer Botschafter in Berlin. Als das Abendblatt den hochgewachsenen Mann damals traf, gab sich Murphy noch diplomatisch-zurückhaltend.

Doch gestern, im Herzen von Altona, umgeben von rund 150 Schülern und ihren Lehrern, drehte er auf. Das Jackett fliegt in die Ecke, die Ärmel werden tatkräftig aufgekrempelt, und dann folgt auf Englisch ein didaktischer Sturmlauf durch die Nachkriegsgeschichte und die deutsch-amerikanischen Beziehungen. Murphy hält großformatige Fotos hoch - Harry S. Truman, Martin Luther King, Barack Obama und andere Amerikaner. Aber auch Konrad Adenauer und Willy Brandt.

Wer die Gezeigten erkennt, darf sich mit Obamas Mann in Deutschland fotografieren lassen. Das Podium in der prächtigen Aula des ehrwürdigen Gebäudes von 1905 ignoriert Murphy vollkommen, mitten unter den Schülern aus allen Kulturkreisen läuft er auf und ab, transportiert die komplexe Thematik mit fast einschüchternder Dynamik und viel Witz. Zu Konrad Adenauer sagt er: "Bevor er der erste Bundeskanzler wurde, war er Bürgermeister von Köln - also das, was heute Lukas Podolski ist."

Später wird der Botschafter noch die Centrum-Moschee in der Böckmannstraße besuchen. Warum eine Schule und eine Moschee? "Zunächst einmal liebe ich junge Menschen", sagt Murphy im Gespräch mit dem Abendblatt. "Und es ist nicht schwierig, Leute meiner Generation (er ist 53 Jahre alt) von der tiefen Bedeutung der deutsch-amerikanischen Beziehungen zu überzeugen. Mir geht es um die nächste Generation." Ihm sei die Schule Allee sehr gut bekannt, sagt der Diplomat und verweist auf erfolgreiche Absolventen mit Migrationshintergrund - wie die niedersächsische Sozialministerin Aygül Özkan. Oder Starregisseur Fatih Akin.

"Sehen Sie sich die beeindruckende kulturelle Vielfalt in diesem Raum an", sagt er, "die harmonisch funktioniert." In diesem Zusammenhang wende er auch viel Zeit auf, um Brücken zur muslimischen Gemeinschaft zu schlagen. Wie sieht er Deutschland überhaupt? "Ich habe in den 90er-Jahren schon einmal hier gelebt", sagt Murphy, "und ohne Frage ist dieses Land seitdem erheblich vielfältiger geworden." Ungeachtet erregter Debatten etwa über die Sarrazin-Thesen mache diese Vielfalt Deutschland sehr viel stärker.

Die Kongresswahlen in den USA mit der Schlappe für Obamas Demokraten wertet Philip Murphy als "Aufschrei" vieler Amerikaner: "Wir brauchen schneller mehr Hilfe." Barack Obama sei nach der Wahl aber keineswegs politisch eine "lahme Ente". Immerhin kontrollierten die Demokraten noch den Senat, und der Präsident habe zudem das Veto-Recht. Nun ginge es darum, mit den Republikanern Gemeinsamkeiten zu finden.

Die Republikaner, die in zwei Jahren die Präsidentschaft erobern wollten, könnten es sich nicht leisten, einfach nur zu allem Nein zu sagen. Aus seiner tiefen Sympathie für Obama macht Murphy keinen Hehl; den vierfachen Vater beeindruckt vor allem, dass der Präsident bei aller Arbeitsbelastung jeden Abend brav in den ersten Stock des Weißen Hauses hinaufsteigt, um mit seiner Familie zu essen.

Vielleicht doch noch etwas ungewöhnlich für einen Amerikaner, ist Philip Murphy glühender Fußballfan - in den USA gehört ihm sogar ein Verein (New Jersey New York Sky Blue FC). Seine vier Kinder, die in Berlin leben, spielen alle Fußball, sogar die Tochter. Alle Murphys gehen zu den Spielen von Hertha und Union.

Zu Beginn seiner Unterrichtsstunde in Altona hatte er die Schüler abstimmen lassen: HSV oder St. Pauli? Ergebnis: geschätzte 80 Prozent für Pauli. Und wo steht er selber? "Vorsicht, Sir: Minenfeld!", warnt ihn sein Presseattaché Mitchell Moss. "Ich liebe alle beide", sagt Murphy, ganz Diplomat. "Und ich liebe die Tatsache, dass diese Stadt gleich zwei Vereine in der Bundesliga hat. Beim HSV sei er sogar schon gewesen, auf Pauli freue er sich noch.