Das Pilotprojekt der Handelskammer soll Bildungseinrichtungen und Unternehmen in der Hansestadt stärker vernetzen.

Harvestehude. Gedacht war das mal anders: Als Marc Hübscher, Mitglied der Vereinigung Wirtschaftsjunioren, und Angelika Blütener, Schulleiterin des Helene-Lange-Gymnasiums, sich im Frühjahr 2008 zum ersten Mal trafen, sollte das Pilotprojekt "Wirtschaftscoaching für Schulleiter" Hamburgs Schulen als reines Ratgeberinstrument dienen. Fünf Schulleiter hatten von der Handelskammer und der Schulbehörde das Angebot erhalten, sich in einem Pilotprojekt von Vertretern der Wirtschaft in Bereichen wie Projektmanagement und Controlling, inner- und außerschulisches Marketing, Budgetierung und Öffentlichkeitsarbeit schulen zu lassen.

Angelika Blütener, die seit acht Jahren das Helene-Lange-Gymnasium führt, war eine von ihnen. Weder Ökonom Hübscher noch Schulfachfrau Blütener hatten damals eine Ahnung, dass sich das Coaching zu einem intensiven Erfahrungsaustausch mit überaus positiven Effekten auf den jeweiligen Arbeitsbereich entwickeln würde. Beide wollen auf die regelmäßigen Treffen nicht mehr verzichten.

Damit hatte auch Coach Marc Hübscher, Seniormanager der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young, nicht gerechnet: "Ich sollte ursprünglich der Berater sein. Bei unserem ersten Meeting war ich plötzlich der Schüler", so der promovierte Wirtschaftswissenschaftler. Da habe ihm Angelika Blütener erst einmal erklärt, was Schule heute bedeutet - für Pädagogen wie für Schüler. "Meine Schulzeit und Schule heute - das ist überhaupt nicht mehr vergleichbar", sagt der 38-Jährige. "Da musste ich erst mal 'Restart' drücken." Das aktuelle Wissen über den Betrieb Schule kann Hübscher heute in Bewerbungstrainings und Bewerbungsgesprächen bestens gebrauchen.

Auch Angelika Blütener zieht aus dem Austausch Nutzen für ihre Schule - zum Beispiel aus dem Thema "Lebenslanges Lernen": "Wir Pädagogen fragen uns ja immer, wann ist ein junger Mensch eigentlich fertig?" Marc Hübscher habe ihr allein mit seiner Biografie eine Antwort geliefert: "Nie." Der Diplom-Ökonom hat nach dem Abi eine Ausbildung absolviert, dann auf Lehramt für berufsbildende Schulen und Wirtschaftswissenschaften studiert. Im Anschluss startete er zwar in der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young durch, promovierte allerdings berufsbegleitend. Er heuerte bei den Wirtschaftsjunioren an und nimmt heute auch Lehraufträge an Fachhochschulen und Universitäten wahr. Inzwischen lässt Angelika Blütener ihren Coaching-Partner manchmal ihren Oberstufenschülern seinen Werdegang erzählen. "Dadurch lernen die Jugendlichen, dass alles Handeln und alle Entscheidungen in einem Zusammenhang stehen, dass jede Veränderung eine Chance in sich birgt." Noch eine Erkenntnis, die die Schulleiterin aus dem gegenseitigen Coaching gezogen hat: "Wir müssen den Schülern Mut machen, ihre Stärken und sich selbst zu entdecken, um sich bewusst entscheiden zu können."

Zurzeit arbeitet das Duo an dem Thema Personalentwicklung: "Für mich lautet die Frage: Wie kann ich 75 unterschiedliche Mitarbeiter mit ihren Fähigkeiten und Möglichkeiten gewinnbringend für die Schule einsetzen? Hübscher kennt diese Frage aus der Wirtschaft: "Jeder Mitarbeiter ist einzigartig. Wir müssen seine Stärken finden, entwickeln und fördern. Das ist ein langer Weg und erfordert Stärke, Mut und Sensibilität."

Mittlerweile sind die beiden beim Thema Mitarbeitermotivation angelangt: Da habe die Wirtschaft Vorteile, meint Blütener. Firmen könnten Boni zahlen. Hübscher winkt ab: Geld motiviere zwar, Anerkennung und Lob seien aber auch in der Wirtschaft entscheidende Motivationsinstrumente.

Hübscher wird demnächst an einer Lehrerkonferenz teilnehmen. Die Schulleiterin wird im Gegenzug einen Tag bei Ernst & Young hospitieren. Themen, mit denen sich die beiden auseinandersetzen wollen: Gesundheitsmanagement, Umgang mit der Burn-out-Problematik. Das Coaching-Tandem Blütener und Hübscher ist sich einig: Von den Erkenntnissen und neu entdeckten Wegen profitieren viele Menschen. Schüler, Pädagogen, die Kollegen in der Wirtschaft. Kurz: der gesamte Wirtschaftsstandort Hamburg.