1910 wurde mit dem Eimsbütteler Helene-Lange-Gymnasium Hamburgs erstes Mädchenlyzeum eröffnet

Hamburg. Die "Helenen" haben allen Grund, stolz auf ihre Schule zu sein. Sie trägt den Namen einer der bedeutendsten deutschen Frauenrechtlerinnen, ist mit ihren barock geschweiften Giebeln ein architektonisches Juwel - und spielt in Sachen Bildung und soziale Verantwortung seit jeher eine Vorreiterrolle. So war das 1910 eröffnete Helene-Lange-Gymnasium (HLG) das erste staatliche Mädchenlyzeum Hamburgs, wurde 1953 erste Unesco-Schule Deutschlands und bietet seit 2003 als einzige staatliche Schule der Hansestadt ein internationales Abitur an.

In dieser Woche feiert das HLG 100. Geburtstag. Das wird nicht nur von Schülern, Eltern, Lehrern und Ehemaligen mit einer fünftägigen Jubiläumsfeier gewürdigt - auch Schulsenatorin Christa Goetsch (GAL) lädt heute 200 Gäste zum Senatsempfang ins Rathaus ein (siehe unten rechts).

"Die Eröffnung der Schule war damals etwas schon fast Revolutionäres", sagt Babette Radtke (48), ehemalige "Helenin" und im Festkomitee federführend mit den Vorbereitungen beschäftigt. Schließlich war Mädchenbildung Anfang des vorigen Jahrhunderts noch Privatsache der Familien - und selbst ein Mädchen aus privilegierter Schicht beendete mit spätestens 16 Jahren die "Höhere Töchterschule", in denen es zur "gefälligen Gattin" und "geschickten und züchtigen Hausfrau" erzogen wurde. Auf einem Mädchenlyzeum war es ihnen nun erstmals möglich, eine akademische Laufbahn einzuschlagen.

Das wollte auch Liselotte Witt, Mutter von Babette Radtke und ebenfalls "Helenin". Sie machte 1943 Abitur und wollte Volkswirtschaft studieren. "Der Zweite Weltkrieg machte ihr einen Strich durch die Rechnung. Statt zur Uni musste sie zum Arbeitsdienst", sagt Tochter Babette Radkte. Sie selber wurde 1971 am HLG eingeschult. Zwei Jahre zuvor hatte sich in Deutschland der Gedanke der Koedukation durchgesetzt - und das HLG erstmals seine Schulpforten für Jungen geöffnet. Als spektakuläre Neuerungen waren auch ein zweisprachiger Unterrichtszweig und das "Eimsbüttler Modell" eingeführt worden, eine gemeinsame Oberstufe mit den Nachbarschulen Gymnasium Kaiser-Friedrich-Ufer (Kaifu) und dem Bismarck-Gymnasium. Letzteres wurde 1997 geschlossen, das Gebäude zum gemeinsamen Lernort für die mehr 600 Oberstufenschüler umfunktioniert. "Das Konzept scheint leider auf der Kippe zu stehen", sagt Babette Radtke. Die Eltern befürchten, dass das "Eimsbüttler Modell" durch die Schulreform zum Scheitern verurteil ist: Zahlreiche Oberstufenräume sollen von Schülern der zukünftigen Primarschule An der Isebek genutzt werden.

Das charmante Backstein-Oberstufenhaus ist auch den Radtke-Kindern Moritz, 21, und Natalie, 19, vertraut, die - so stand es für ihre Mutter schon früh fest - ebenfalls das HLG besuchen sollten. Während Natalie noch ein paar Monate die Schulbank drücken muss, hat Moritz vor zwei Jahren sein Abitur gemacht - zusätzlich zum deutschen auch das internationale. "Das war eine besondere Herausforderung, weil man doppelt so viele Prüfungen absolvieren musste", sagt der Sozialpädagogik-Student. "Aber ich bin gerne zur Schule gegangen. Hier herrscht ein nettes Miteinander von Schülern und Lehrern." Durch das relativ große Einzugsgebiet, das von HafenCity über die Schanze und Lokstedt bis nach Harvestehude reicht, wird das HLG von einer heterogenen Schülerschaft besucht: Die rund 950 Schüler kommen aus mehr als 40 Nationen. "Da treffen sich Schüler unterschiedlicher sozialer Herkunft", sagt Babette Radkte. "Das ist für junge Menschen ebenso von Vorteil wie der bilinguale Unterricht und die soziale, über den eigenen Tellerrand hinausblickende Arbeit in den Unesco-AGs".

Bereits in der fünften Klasse haben die Schüler sieben Wochenstunden Englisch, ab der sechsten Klasse werden in dieser Sprache auch Pflichtfächer wie Kunst, Geschichte und Erdkunde unterrichtet. Zur Erweiterung des sprachlichen und kulturellen Horizonts hat das HLG im Laufe der Jahrzehnte viele Austauschprojekte mit Schulen in Chicago, London und Kent organisiert - und für die Japanisch-Schüler auch in Osaka.

Von ihren Sprachkenntnissen profitieren die "Helenen" auch bei der Unesco-Arbeit. Standen in früheren Jahren Sri Lanka und Kuba auf dem Programm, reiste Natalie Radtke vor drei Jahren mit einer Schülerdelegation nach Tansania. "Wir hatten vorher Geld gesammelt, von dem wir für Ort Schulbücher und Hefte gekauft haben", sagt die Schülerin. Auch ein zweitägiger "home-stay" stand auf dem Programm der Reise. "Bei den afrikanischen Familien sind wir in eine völlig fremde Kultur eingetaucht. Eine Erfahrung, die man sicher nicht an vielen Schulen machen kann."