Über 2600 Schüler traten beim weltweit größten Schachturnier an. Die Bilanz: 674 Siege für das rechte, 646 für das linke Alsterufer.

Hamburg. Im großen Saal 3 des CCH ist jeder Platz besetzt. Im Halbdunkel der gedimmten Lichter rutscht Antonia Hör unruhig auf ihrem Stuhl hin und her. Seit einer halben Stunde sitzt die Siebenjährige jetzt schon vor ihrem Schachbrett. Die Figuren stehen, alles ist vorbereitet. Aber Antonia kann noch nicht anfangen, solange die Frau auf der Bühne noch in ihr Mikrofon spricht. Immerhin ist es das größte Schul-Schachturnier der Welt, das Traditionsspiel "Rechtes Alsterufer gegen Linkes Alsterufer". 2640 Schüler aus 335 Mannschaften machen mit - ein bisschen Tamtam darf da schon sein.

Die Frau auf der Bühne ist Hamburgs Schulsenatorin Christa Goetsch (GAL). Wie so oft im roten Blazer, steht sie im Scheinwerferlicht und sagt, dass sie "vollkommen begeistert" ist, hier zu sein, und lobt Hamburg als "Hochburg des Schachs" und die wichtige Rolle des Schachspiels in der Schule. Solche Dinge eben. Antonia aber hört gar nicht richtig zu. Sie will anfangen. Jetzt sofort.

Viele Tausend Kilometer weiter südlich, in der südafrikanischen Stadt Durban, sitzen drei Jungen an einem Laptop und winken in die Webcam. Ihr Schlachtname: "Durban Mambas". Ihr Ziel: gegen die Hamburger zu gewinnen. In diesem Jahr wird nämlich nicht nur innerhalb der Hansestadt gespielt. Ein Team der Grundschule Genslerstraße, in der Schach sogar als Schulfach unterrichtet wird (das Abendblatt berichtete), spielt im Internet gegen die Südafrikaner. Die Partie wird auf eine Leinwand gebeamt. Den ersten Zug macht Christa Goetsch und bewegt mit der Maus den Bauern von d2 auf d4. Ein Klassiker. Alle klatschen, die Lichter werden wieder hell. Jetzt geht es los.

Auch bei Antonia hat das Spiel angefangen - und es läuft ziemlich gut. Schon nach ein paar Minuten ist ihr Gegenüber Ben (8) um ein paar Figuren ärmer. "Gerade habe ich ihm seinen Springer geklaut", sagt Antonia und guckt konzentriert auf das Brett. Dann zieht sie ihren schwarzen Läufer nach vorn. "Schach!" So schnell kann das manchmal gehen. Trotzdem ist der Angriff harmlos. Nach einem Zug ist Bens König außer Gefahr.

Schach und Schachmatt Im Laufschritt streift Björn Lengwenus (38) durch Saal 3, der mit 1420 Partien jetzt ein großes Spielzimmer ist. "Das läuft gut heute", sagt er und ist zufrieden. 1983 hat er selbst als Schüler zum ersten Mal an dem schon seit 1958 stattfindenden Turnier teilgenommen. Heute ist er der Organisator. Theoretisch zumindest - praktisch kommt er nämlich fast zu nichts, weil er im Minutentakt kleine Hände schütteln muss. Lengwenus hat heute Geburtstag - und alle wollen gratulieren.

Oben auf der Bühne ist die Partie gegen die "Durban Mambas" mittlerweile in vollem Gange. Wie sieht's aus? "Wir gewinnen", ruft Vladislav Bobalo (9) von der Grundschule Genslerstraße. Letztes Jahr ist er dort sogar Schachmeister geworden. Jetzt diskutieren er und sein Team den nächsten Zug. Auf dem Monitor kann man sehen, dass auch die Jungs in Südafrika angestrengt auf das Spielbrett starren. "Mist, die wissen, was wir wollen", vermutet Vladislav. Eine spannende Partie, die jetzt viele Zuschauer hat.

Unten auf dem Parkett hat Antonia endgültig Oberwasser gewonnen. Ben hat nur noch wenige Figuren. "Ich habe einen Plan", sagt Antonia, "jeder Schachspieler braucht einen Plan." Das hat sie von ihrem Vater gelernt. Der hat ihr auch das Schachspielen beigebracht. Schließlich ist Ben schachmatt. Antonia, die in die zweite Klasse der Grundschule Nettelnburg geht, hat einen Punkt für das Linke Alsterufer geholt. Links, weil man hier die Richtung von der Alsterquelle ausgehend festlegt. Ben guckt ein bisschen bedröppelt. Aber er ist ein guter Verlierer und baut die Figuren für die zweite Partie auf. Neues Spiel, neues Glück. Schließlich schafft Ben den Ausgleich.

Am Ende gewinnt dann auch tatsächlich das Rechte Alsterufer. Letztes Jahr waren es noch die Schüler von der linken Seite. Bevor aber der Pokal überreicht wird, singt der ganze Saal noch ein "Happy Birthday" für Lengwenus, der vorne auf der Bühne steht und sichtlich gerührt ist. "Eine bessere Party hätte ich nicht haben können", sagt er. Die Kinder klatschen. Nicht so gut ist es für die "Durban Mambas" gelaufen. Sie haben beide Partien gegen das Team aus der Genslerstraße verloren. Aber auch sie sehen nicht wirklich traurig aus. Zum Abschied winken sie noch einmal in die Webcam. Die Hamburger winken zurück. Spielerische Völkerverständigung quasi. Tschüs, bis zum nächsten Jahr!