Ärztinnen-Verein und Pro Familia beklagen den oberflächlichen Sexualkundeunterricht und bieten Hilfe an.

Hamburg. Abgebrüht und ahnungslos - so lässt sich am ehesten beschreiben, wie Jugendliche heute mit dem Thema Sex umgehen. Ungerührt sehen sie pornografische Filme im Fernsehen oder Internet. Doch wenn es um Verhütung geht, müssen viele passen. Zwar sind die Zahlen in den letzten Jahren rückläufig, doch nach wie vor werden viele Teenager aus Unwissenheit schwanger. 147 minderjährige Hamburgerinnen zwischen 14 und 17 Jahren haben 2008 abgetrieben, 106 Babys wurden geboren.

Weil Sexualerziehung als Teil des schulischen Erziehungsauftrags gilt, steht sie in Hamburg schon von der ersten Grundschulklasse an auf dem Lehrplan - zumindest in der Theorie. In Wahrheit wird das Thema aber unterschiedlich behandelt. "Nicht alle Lehrer sind in der Lage, ungezwungen mit ihren Schülern über Sexualität zu reden", sagt Thomas Huhn, Sexualpädagoge bei Pro Familia Hamburg. "Oft wird der Aufklärungsunterricht auf das Wesentliche reduziert. Besonders wichtig ist es aber, den Jugendlichen auch zu vermitteln, wie sie in konkreten Situationen das Thema Verhütung ansprechen können." Um die Lehrer dabei zu unterstützen, müsse mehr in Fortbildungen investiert werden, so der Experte.

Manchen Pädagogen scheint der Sexualkundeunterricht tatsächlich so peinlich zu sein, dass sie nur einen oberflächlichen Streifzug in dieses für Jugendliche so wichtige Terrain unternehmen. Oder er wird schlichtweg "vergessen", wie es Lilly (19), Gymnasiastin aus Winterhude, erlebt hat. Vor dem Umzug nach Hamburg war sie in ihrer Münchner Schule umfassend aufgeklärt worden. In ihrer neuen Klasse hatte Aufklärungsunterricht noch nicht stattgefunden - und wurde auch im Schuljahr darauf nicht gegeben. "Am Ende der Zehnten haben wir, mehr aus Jux, den Biolehrer aufgefordert, den Unterricht nachzuholen", sagt Lilly. Zunächst zierte er sich, dann musste er Schülern Sexualkunde erteilen, die das, was er ihnen erzählte, längst wussten.

Auch in niedrigeren Klassenstufen fällt es Lehrern oft schwer, das Thema anzugehen. Denn obwohl schon Kinder im Grundschulalter Sexseiten im Internet oder die "Bravo" konsumieren, klafft meist ein erheblicher Unterschied zwischen tatsächlichem und vermeintlichem Wissen über Sexualität.

Ähnlich wie Pro Familia, die in ihren Beratungszentren sexualpädagogische Veranstaltungen für Schulklassen und Fortbildungen für Lehrer anbieten, sieht auch die Organisation ÄGGF (Ärztliche Gesellschaft zur Gesundheitsförderung der Frau) Handlungsbedarf. Der Verein bietet mit bundesweit 90 Ärztinnen - allesamt Mütter - in Schulen kostenlosen Aufklärungsunterricht für Mädchen an.

"Gerade Mädchen haben so viele Ängste und Fragen", sagt Ärztin Anke Jacobi, die seit einem knappen Jahr für die ÄGGF arbeitet. Fragen, die sie im Unterricht nicht zu stellen wagen - etwa, ob Tampons das Jungfernhäutchen zerreißen könnten. "Weil Sexualunterricht wegen Lehrerknappheit meistens für Jungen und Mädchen gemeinsam gegeben wird, trauen sich beide Geschlechter oft nicht, offen zu reden", sagt Jacobi. "Auch sehen sie in einem Lehrer nicht unbedingt eine Vertrauensperson."

Aber obwohl das Aufklärungsangebot von Anke Jacobi und ihren Kolleginnen kostenlos ist und Pro Familia von wöchentlich acht Bewerberklassen nur drei betreuen kann, stoßen die ÄGGF-Ärztinnen oft auf Skepsis. "Wenn wir den Schulen unsere Unterstützung anbieten, denken die sofort, wir werden von der Pharmaindustrie geschickt. Dabei wollen wir nur die Kinder schützen und Wissen vermitteln", sagt Jacobi.

Allerdings rüsten die Pharmaunternehmen die Ärztinnen mit Probepackungen von Tampons, Binden oder Zykluskalendern aus. Auch Lehrern wird kostenloses Unterrichtsmaterial zur Verfügung gestellt. Die Poppenbüttler Gynäkologin Caroline Kressel-Firnrohr hat sogar von einem Pharmabetrieb organisierte Fortbildungen zum Thema "Mädchensprechstunde" besucht und die Idee übernommen. In ihrer Gemeinschaftspraxis bieten sie und ihre Kolleginnen seit Anfang des Jahres an jedem 1. Mittwochnachmittag im Monat eine solche Sprechstunde an. "Die Mädchen können anonym, ohne Termin und Krankenversichertenkarte kommen", sagt Kressel-Firnrohr. "So verlieren hoffentlich viele ihre Scheu vor dem ersten Besuch beim Gynäkologen."

Auch sie betreut in ihrer Poppenbüttler Praxis immer wieder minderjährige Schwangere, sogar 14 Jahre alte Patientinnen hat sie schon gehabt. "Ich habe das Gefühl, dass die Mädchen nicht genug wissen", sagt sie. "Gerade der erste sexuelle Kontakt ist häufig ungeschützt und birgt daher die Gefahr einer ungewollten Schwangerschaft oder einer Infektion." Ein Besuch beim Frauenarzt verringere dieses Risiko. Daher begrüßt sie es, wenn sich etwa Schülerinnen der Gesamtschule Bergstedt im Rahmen des Aufklärungsunterrichts in ihrer Praxis umsehen. "Das ist eine gute Ergänzung."