Erhöhung der Ausgaben im Zuge der Schulreform wird größtenteils mit Krediten finanziert. Unterstützer der Primarschule eröffnen eigenes Büro

Die Nachrichtenlage an diesem Dienstag, 25. Mai 2010, hatte etwas Absurdes. Offiziell hatte sich der Senat in seinem Gästehaus an der Alster zu einer mehrstündigen Klausur versammelt, um über die desaströse Haushaltslage und Auswege aus derselben zu beraten. Die Frage des Tages hätte eigentlich lauten sollen, wo noch gespart werden kann oder wie Einnahmen erhöht werden können. Wie ein Senatssprecher sagte, habe man sich aber lediglich allgemein über die "außerordentlich schwierige Haushaltslage" ausgetauscht. "Es gab keine Beschlüsse zu bestimmten Projekten oder Einzelmaßnahmen." Jedenfalls nicht mit Blick auf Sparmaßnahmen. Aber umgekehrt, wie die Mitteilung des Senats von 14.22 Uhr zeigte: 74 Millionen Euro mehr (!) pro Jahr sollen im Zuge der Schulreform für die Bildung ausgegeben werden. 970 zusätzliche Lehrerstellen sollen vor allem eine Verkleinerung der Klassen bewirken (siehe Seite 1).

Um die Verwunderung noch zu steigern, teilte der Senat um 14.55 Uhr mit, dass er auch noch 35 Millionen Euro pro Jahr mehr für die Kindertagesstätten ausgeben wird (Seite 9). Wie geht das angesichts von immer neuen Löchern bei den Steuereinnahmen? Die Lösung heißt "Sondervermögen Konjunkturstabilisierungsfonds". Dahinter verbirgt sich die Erlaubnis für den Senat, infolge der Finanzkrise bis zu sechs Milliarden Euro an Krediten aufzunehmen. Und aus diesem "Vermögen", das in Wirklichkeit Schulden sind, werden sowohl die erhöhten Kita-Kosten als auch ein großer Teil der höheren Bildungsausgaben finanziert.

Konkret: Von den 74 Millionen Euro, die Hamburg von 2016 an jährlich mehr in die Schulen stecken will, werden knapp 46 Millionen mit Krediten finanziert, und knapp 28 Millionen aus dem Haushalt. Bis 2016 steigt die Erhöhung der Bildungsausgaben kontinuierlich an: 2010 sind es 22 Millionen Euro mehr, 2011 schon 51 Millionen, bis 2016 die 74 Millionen erreicht sind.

"Unverantwortlich", findet es Walter Scheuerl, Sprecher der Schulreform-Gegner, "den Umbau der Klassen fünf und sechs als Experiment mit ungewissem Ausgang fremd zu finanzieren." Grundsätzlich unterstütze seine Initiative "Wir wollen lernen" natürlich die Einstellung neuer Lehrer und die Verkleinerung der Klassen. "Aber kleinere Klassen haben nichts mit dem Volksentscheid zu tun." Bei der Abstimmung am 18. Juli will die Initiative die Einführung der sechsjährigen Primarschule verhindern.

Schüler- und Elternkammer, die Fraktionen von GAL, SPD und Linkspartei lobten die Finanzierung der Schulreform hingegen als Schritt in die richtige Richtung. Das Bündnis "Chancen für Alle - Die Schulverbesserer" wertete es "als klares Signal für die Entschlossenheit des Senats, den Umbau der bisherigen Grundschulen zu neuen Primarschulen mit realistischem Augenmaß für die erforderlichen Ausgaben in Angriff zu nehmen".

Gestern hatten die Reform-Unterstützer offiziell ihre Kampagnenzentrale an der Wendenstraße (Hammerbrook) eröffnet. Im sechsten Stock eines Bürogebäudes sollen in den nächsten Wochen die Aktivitäten zur Durchsetzung der Primarschule zusammenlaufen. "Wir wollen den Gegnern eine breite Welle entgegensetzen", kündigte Sprecher Jobst Fiedler an. Dabei setzt der Zusammenschluss der Befürworter, zu dem unter anderem die Gewerkschaften Ver.di und GEW sowie der Paritätische Wohlfahrtsverband gehören, auf Professionalität: Drei hauptamtliche Kräfte wurden eingekauft, darunter Ingo Bokermann, Ex-Greenpeace-Meeresexperte und heute selbstständiger Kampagnen-Berater. Insgesamt gibt es laut Fiedler derzeit 400 ehrenamtliche Unterstützer.

Finanziert wird die Werbe-Offensive für die Pläne des schwarz-grünen Senats über Spenden. "Wir schätzen die Ausgaben auf etwa 190 000 Euro", sagt Fiedler. Das meiste komme von Kleinspendern, aber auch "einige namhafte Personen der Hamburger Wirtschaft" unterstützten die Primarschulbefürworter. Namen wollte er nicht nennen. Bis zu 7000 Plakate sollen in den nächsten Wochen geklebt werden. Es gibt Infostände, T-Shirts und Buttons. Geplant sind außerdem: ein Schüler-Aktionstag am 3. Juni, eine Schulverbessererparade am 5. Juni und ein Streitgespräch zwischen Ole von Beust (CDU) und Klaus von Dohnanyi (SPD) am 7. Juni im Thalia-Theater. Dabei setzt das Bündnis auf die erste Phase des Volksentscheids. Fiedler: "Wir rechnen damit, dass nur 20 bis 30 Prozent der Wahlberechtigten bis zum 18. Juli warten."

Unterdessen hat der Sonderausschuss Hamburger Schulreform, der die Reform politisch begleiten soll, gestern Abend beschlossen, dass es auch eine wissenschaftliche Begleitung des Projekts geben soll. Der Auftrag an ein Bildungsforschungsinstitut soll europaweit ausgeschrieben werden. Ziel ist es, die Leistungsstände Hamburger Schulen kontinuierlich zu überprüfen und jährlich Bericht darüber abzulegen.

Der Ausschuss informierte sich zudem über die Einhaltung der gesetzlich vorgeschriebenen Klassenfrequenzen im kommenden Schuljahr. Von den künftigen 616 ersten Klassen überschreiten laut Schulbehörde nach den aktuellen Anmeldezahlen lediglich 13 die gesetzlich vorgeschriebene Maximalgröße um bis zu drei Kinder. Betroffen seien Schulen in Randlagen. Dort konnten die künftigen Erstklässler nicht an andere Schulen weitergeleitet werden, weil dann die Schulwege der Sechsjährigen nicht mehr altersangemessen seien.