Zwei Schülerinnen berichten über ihre Magersucht und die seelischen Qualen, unter denen sie immer wieder leiden

Kennst du das, du hast ein Geheimnis, das keiner kennt? Doch es brennt in dir, und du weißt, du solltest es jemandem erzählen, doch du kannst nicht. Du hast Angst, sie halten dich dann für verrückt oder machen sich Sorgen um dich, und gerade das willst du nicht! Du willst nicht, dass jeder Rücksicht auf dich nimmt oder dir andauernd gesagt wird, was du tun sollst oder was besser für dich ist. Ich selber redete nie gerne über Probleme oder Sachen, die mich bedrückten, ich bin aber gleichzeitig stets für meine Freunde da gewesen, wenn es ihnen schlecht ging. Ich hab mich immer ganz nach hinten gestellt.

Für mich war mein Leben damals nicht viel wert. Ich wusste immer, dass es falsch war, doch ändern wollte ich nichts. Ich wollte immer die Starke sein, die, zu der alle immer kommen können, und nicht die, von der alle wissen, wie es wirklich in ihr aussieht.

Und so fing alles an. Ich hatte nie ein leichtes Leben, aber es war okay. Ich wollte meine Eltern immer stolz machen und ich wollte nicht, dass sie denken, ich wäre schwach. Besonders meinem Vater wollte ich immer die Tochter sein, auf die er stolz sein kann und die er lieben kann. Ich dachte immer, ich wäre es nicht wert, von ihm geliebt zu werden, denn was konnte ich schon? Ich war feige! Ich konnte nicht mal über Dinge reden, die mich traurig machen.

Doch genau das machte mich krank: Ich bekam häufig Bauchschmerzen, dann Magenkrämpfe, Kopfschmerzen und Atemprobleme. Ich konnte nicht mehr regelmäßig zur Schule gehen - und das war der Untergang für mich Ich wollte doch immer ein Kind sein, auf das meine Eltern stolz sind. Aber welche Eltern sind schon auf ein Kind stolz, das schlecht in der Schule ist und nicht hingehen kann, weil es andauernd krank ist? Mein Selbstvertrauen begann zu zerbrechen. Ich hatte zwar noch nie sehr viel davon, doch ich war stolz auf das, was ich war.

Ich habe mich noch nie wohl in meiner Haut gefühlt. Trotzdem wollte ich keinen perfekten Körper haben, aber er sollte so sein, dass ich ihn mag, Im Dezember 2009 fing ich an, weniger zu essen. Alle machten mir Komplimente und sagten: "Wow, du siehst gut aus." Das war für mich die Bestätigung weiterzumachen, immer weniger zu essen. dann auch mal ein bis zwei Wochen nichts zu essen. Mein Körper war mir egal, ich wollte nur, dass es mir seelisch gut geht.

Ich war wie auf Droge, jeden Morgen bin ich auf die Waage gestiegen und hatte jedes Mal mehr Angst, zugenommen zu haben. Wenn es doch weniger war, freute ich mich und machte wie gewohnt weiter.

Ich ging zur Schule, gab da mein Bestes. Ich traf mich danach mit Freunden, die mir immer Komplimente machten. Jedes Wochenende war ich unterwegs, machte Sachen, die für ein 14-jähriges Mädchen nicht typisch waren. Doch das half mir, meine Probleme zu vergessen. Immer wenn jemand fragte, warum ich nichts esse oder ob ich mitessen möchte, sagte ich nur "Ich hab schon gegessen" oder "Ich habe keinen Hunger". Ich achtete nicht mehr auf meinem Körper. Er war nicht ich, er war mein Feind!

Mein Körper machte das Ganze irgendwann nicht mehr mit. Ich wurde öfter krank und ging seltener zur Schule. Ich brach oft zusammen und merkte, dass mein Körper nach Hilfe rief. Doch es war mir egal, solange es mir seelisch gut ging. Mir war klar, dass sehr bald meine Mutter Verdacht schöpfen würde. Schließlich sprach sie mich darauf an. Ich sagte nur, dass sie sich keine Sorgen machen solle und dass ich nur ein wenig abgenommen habe. Das beruhigte sie natürlich kein Stück. Über mein wahres Gewicht habe ich nie geredet. Ich merkte selber, dass es zu wenig wurde. Ich bekam Angst vor mir selbst, doch ich wollte es immer noch nicht wahrhaben. Meine Mutter begann strenger auf mein Essverhalten zu achten. Ich musste dreimal täglich mit ihr zusammen essen. Dadurch fing ich an, mich wieder schlechter zu fühlen. Ich guckte in den Spiegel und sah jedes einzelne Gramm Fett. Ich fand mich hässlich. Dachte, wenn ich mich selbst nicht lieben kann, wie sollen mich dann andere lieben?

Und so ging es dann immer weiter. Ich versuchte zu essen, doch dann musste ich erbrechen. Danach fühlte ich mich besser. Das wurde zu einer neuen Sucht. Ich wollte dünner werden, immer dünner. Selbst als man schon meine Knochen sah, war es mir egal. Ich sah in mir immer noch das dicke Mädchen, was ich vor einem Jahr war. Ich guckte in den Spiegel und sah nicht mich. Nein, ich sah und sehe noch ein Mädchen, das einfach versagt hat.

Heute sagen die Leute, die mich früher ermutigt haben, weiterzumachen und weniger zu essen, nicht mehr, dass ich toll aussehe, sondern dass ich krank sei. Trotz alledem habe ich immer noch Angst, zuzunehmen.

Mittlerweile weiß ich, dass ich etwas ändern muss und dass ich Hilfe brauche. Ich habe gelernt, dass es wichtig ist, etwas zu verändern. Damit ich wieder ich selbst werde.