Nach den Ausschreitungen am Wochenende hat sich die Lage zwischen Holstenstraße und Chemnitzstraße beruhigt. Polizei und Eltern sind im Gespräch miteinander. Und wollen es bleiben.

Hamburg. Teuta Morina wohnt seit fünf Jahren in Altona-Altstadt. Die 33-jährige Albanerin ist Mutter von zwei Kindern und hat die Krawalle am Wochenende in ihrem Stadtteil zwischen Holstenstraße und Chemnitzstraße hautnah miterlebt. Sie ist zwiegespalten. Einerseits hat die schmächtige Frau Verständnis für den Einsatz der Polizei, da sich die Jugendlichen in ihrer Gegend nicht immer so verhielten, wie es sich gehöre. Andererseits fühle sie sich hier mit ihren Kindern absolut sicher, das Vorgehen der Einsatzkräfte sehe sie mit Sorge. „Jeder kennt hier jeden, es ist sehr nachbarschaftlich und nicht gefährlich. Viel besser als in Wilhelmsburg, wo ich vorher gewohnt habe“, sagt Morina.

Teuta Morina ist eine der wenigen Menschen, die sich am Montagmittag im August-Lütgens-Park aufhalten – dort, wo am Abend die Jugend zusammenkommt. Nur die beiden ausgebrannten Autos in der angrenzenden Karl-Wolff-Straße erinnern in dem sehr gepflegt wirkenden Areal noch daran, dass hier in den Nächten des vergangenen Wochenendes Polizisten und Jugendliche aneinandergeraten waren. Bis zu 150 Menschen hatten sich in der Nacht zum Sonnabend laut Polizei gegen die Beamten solidarisiert und Widerstand geleistet.

Die einen blendeten offenbar mit Laserpointern, die anderen warfen Steine und zündeten Autos an. Die Ermittler zählten die Randalierer zu einem „Klientel krawallorientierter Jugendlicher“, die auf den Zug eines aktuellen Konflikts der Polizei mit etwa 30 jugendlichen Migranten vom Vortag aufgesprungen seien. „Die ganze Nachbarschaft ist deswegen schon angespannt“, sagt Gabriele Matzler, Kioskbesitzerin in der Holstenstraße.

Bei einem Treffen kamen am Sonntag mehr als 200 Anwohner zusammen

Mehr als 200 Nachbarn waren deshalb am Sonntag zusammengekommen, sie sprachen über die Ereignisse der vergangenen Tage, bewegende Szenen sollen sich abgespielt haben, als Anwohner im direkten Kontakt miteinander die Situation diskutierten. Am Ende einigte man sich auf eine Erklärung. „Wir, 200 Nachbarinnen und Nachbarn aller Nationen aus Altona-Altstadt, haben uns am Sonntag, dem 14. Juli, in einer Versammlung zusammengesetzt", so beginnt das Schriftstück, das auch Innensenator Michael Neumann übergeben werden soll. Die Anwohner kritisieren vor allem das Vorgehen der Polizei. „Seit einer Woche kommt es verstärkt zu verdachtsunabhängigen Kontrollen von Jugendlichen“, heißt es im Text. „Mehrmals pro Tag werden Jugendliche teilweise von den gleichen Polizisten kontrolliert.“ Man sei schockiert über die Ausmaße der Polizeigewalt in der Nacht auf vergangenen Freitag.

Über diese Vorwürfe sprach man am Montag nun gemeinsam – von Angesicht zu Angesicht. Der Revierleiter der zuständigen Wache in der Mörkenstraße traf sich mit drei Vätern betroffener Jugendlicher zur Aussprache. Nach rund zwei Stunden zeigten sich beide Parteien zufrieden. „Es war ein konstruktives Gespräch mit dem Ergebnis, dass beide Seiten künftig respektvoller miteinander umgehen wollen“, sagte Ulrike Sweden, Pressesprecherin der Polizei. „Wir werden aber weiterhin mit einer Doppelstreife in dem Viertel Präsenz zeigen."

Auch Hüseyin Göktas, einer der vermittelnden Väter, wollte positiv in die Zukunft blicken. „Es geht uns gar nicht darum, dass wir keine Polizei in unserem Viertel wollen. Doch der Umgang der Beamten mit den Jugendlichen am Wochenende hätte nicht so provokant sein dürfen. Das eigentliche Problem liegt auf politischer Ebene. Es sind Ferien, viele bleiben aufgrund des Ramadan am Tage in ihren Häusern. Und abends, wenn die jungen Leute zusammenkommen, gibt es keinen Platz, wo sie sich treffen können. Das muss sich ändern“, sagt Göktas.

Dieses Problem bestätigt auch Manfred Timpe, 55. Der stellvertretende Geschäftsführer des Stadtteilkulturzentrums kritisiert schon lange, dass es für die Jugendlichen im Viertel keinen Ort gebe, an dem sie sich geborgen fühlen. Vor rund fünf Jahren musste der Grandfußballplatz an der Holstenstraße weichen, seitdem haben die Jugendlichen ihren Treffpunkt verloren. Der Kiosk Azra in der Holstenstraße wurde so zum inoffiziellen Stammlokal der Nachbarschaft. Kioskbesitzer Alpaslan Devecioglu kennt viele der Jugendlichen, um die es nun geht, seit ihrer Kindheit. „Ich kann mir nicht erklären, warum die Polizei sie in Gewahrsam genommen hat“, sagt er.

Manfred Timpe sagt, dass einige Jugendliche vor allem gegen Ende des Monats auf dumme Gedanken kämen – wenn das Geld zur Neige geht. „Überfälle und Diebstähle nehmen dann deutlich zu“, sagt Timpe. Auch in Metzlers Kiosk wurde mehrfach eingebrochen. „In den letzten drei Wochen alleine zweimal“, sagt die 39-Jährige, „daher habe ich mich zunächst über die Polizeipräsenz gefreut. Mittlerweile beschweren sich allerdings viele Kunden über die unnötigen Ausweiskontrollen.“

Für Franziska Amaraegbu, 50, Mitarbeiterin im Haus Drei und direkte Anwohnerin, ist das Viertel kein Krawallstadtteil. „Die Jugendlichen werden hier leider von allen Seiten instrumentalisiert“, sagt sie. So habe sich auch die Polizei nicht immer richtig verhalten. „Es ist beispielsweise bekannt, dass sich viele Drogendealer im Park aufhalten, doch leider nehmen die Polizisten immer die falschen Personen mit auf das Revier.“

Das Bezirksamt will nun einen runden Tisch ins Leben rufen

Eine Gruppe von 14- bis 16-Jährigen erzählt, dass sie schikaniert worden sei. „Ich bin am Sonntaggrundlos von der Polizei auf die Wache mitgenommen worden“, sagte ein 15-Jähriger, „dabei habe ich gar nichts gemacht.“ Sein 16-jähriger Freund ist seiner Meinung: „Ich finde, dass die Beamten sich beruhigen sollen. Und wenn sie uns mitnehmen oder kontrollieren wollen, dann bitte mit triftigem Grund.“

Informationen, warum die Polizisten vermehrt auf den Straßen kontrollieren, haben die Anwohner nicht. „Wie werden einfach nicht informiert“, sagt Amaraegbu. Bei der Staatsanwaltschaft liegt derzeit keine Strafanzeige gegen Beamte vor, ein mögliches Fehlverhalten der Polizisten wird allerdings polizeiintern geprüft.

Das Bezirksamt will nun tätig werden und einen runden Tisch ins Leben rufen – um den Dialog im Stadtteil weiter zu stärken. Nach Angaben der Innenbehörde soll das „zügige Gespräch“ darüber hinaus auch klären, wie es zu den Ausschreitungen kommen konnte. Bisher sei das Viertel bei der Polizei und Stadt nicht als Brennpunkt bekannt, heißt es aus Senatskreisen.