Fünf Verwandte sollen slowakische Frauen zur Prostitution gezwungen und ausgebeutet haben. Doch sie könnten mit milden Strafen davonkommen.

Hamburg. Besonders schlimm hat es laut Ermittlungen Marian B. getrieben. Der 45-Jährige steht vor Gericht, weil er Frauen zur Prostitution gezwungen, vergewaltigt und misshandelt haben soll. Verunsichert schaut der bärtige Mann mit der schlabberigen Jogginghose im Hochsicherheitssaal des Landgerichts in die Runde. Ein Blick, der suggeriert: Was soll ich hier eigentlich?

Seine slowakische Familie wiedersehen, zum Beispiel, denn die betritt nach und nach den Saal: die Mutter Julia B., 64, eine knorrige Frau von gedrungener Gestalt mit weißblonden Haaren unterm geblümten Kopftuch. Dann die Brüder Stefan, 44, und Jozef, 36, und schließlich die Jüngste im Bunde: Martina B., 26, verheiratet mit dem gleichfalls angeklagten Stefan B. Zwei Polizisten geleiten die junge Frau mit den verweinten Augen in den Saal. Sie sind zu ihrem Schutz da, denn Martina B. will über die Machenschaften der Familie sprechen - und steckt deshalb im Zeugenschutzprogramm.

Acht lange Jahre soll die Familien-Bande slowakische Frauen mit falschen Versprechungen nach Hamburg gelockt und zur Prostitution auf dem Straßenstrich in St. Georg gezwungen haben. Einnahmen von wöchentlich bis zu 2000 Euro sollen sie ihren Opfern abgeknöpft haben. Zu ihnen, den Opfern, gehörte auch die 26-jährige Martina B.: Auch sie musste jahrelang anschaffen, und einmal wurde sie laut Anklage von ihrem Schwager Jozef verprügelt - weil sie ihren Hurenlohn nicht herausgeben wollte. Gleichwohl sitzt sie auch auf der Anklagebank: Sie soll durch Kontrollanrufe sichergestellt haben, dass die Frauen täglich 16 Stunden an der Straße standen und Freier bedienten.

Die Frauen stammten aus dem ländlichen Gebiet nahe der slowakischen Stadt Nove Zamky. Es waren Frauen ohne Perspektive, ohne Arbeit, ohne Bildung, "mittellos und einfach strukturiert", so der Staatsanwalt. Nicht selten handelte es sich um junge oder werdende Mütter, die nie ein Bordell von innen gesehen hatten und mit der Aussicht auf ein besseres Leben geködert wurden. Als sie in Hamburg ihres Schicksals gewahr wurden, fügten sich die meisten, gezwungenermaßen. "Sie waren von ihrem Zuhälter finanziell abhängig und hatten keine Chance, aus eigener Kraft in ihre Heimat zurückzukehren", sagt der Anklagevertreter.

Und wenn jemand nicht spurte, setzte es Prügel. Oder plötzlich türmten sich Schulden auf, wo vorher keine waren. Eine Slowakin, der ein Job als Kellnerin angedient worden war, wollte gleich wieder nach Hause, als sie erfuhr, weshalb sie nach Hamburg gebracht worden war. Da soll ihr Julia B., mutmaßliche Geldverwalterin der Bande, erklärt haben: Zunächst müsse sie die 300 Euro Schulden für die Anreise nach Deutschland zahlen, bevor sie überhaupt zurückkehren dürfe. Eine andere Frau war zu einem Freier geflüchtet. Von ihm, so die Anklage, habe die Familie gleich 10 000 Euro "Ablöse" verlangt, andernfalls gebe es "Krieg". Und Marian B. soll einer jungen Mutter gedroht haben: Wenn sie nicht auf den Strich gehe, werde er ihr das Kind wegnehmen. Offenbar war der 45-Jährige noch skrupelloser als der Rest der Sippe, wenn die Anklage zutrifft: Ein Tatopfer soll er mit einem Antennenkabel verprügelt, eine der Frauen dreimal vergewaltigt und misshandelt haben.

Raub, Diebstahl, Körperverletzung, Menschenhandel, Vergewaltigung - jede einzelne dieser Straftaten könnte die mutmaßlichen Täter für Jahre hinter Gitter bringen. Doch das Gericht hat ihnen auf dem Verständigungswege bereits großzügige Strafobergrenzen in Aussicht gestellt: Ein Geständnis vorausgesetzt, kämen Stefan B., Julia B., Jozef B. und Martina B. mit Bewährungsstrafen davon. Und der Hauptangeklagte Marian B. mit fünf Jahren Gefängnis. Die Gerichts-Pressestelle wollte die Modalitäten dieses "Deals" auf Abendblatt-Anfrage nicht kommentieren.

"Offensichtlich ist die Beweislage der Staatsanwaltschaft so dünn, dass ein derartiges Angebot gemacht wird", sagt der Verteidiger von Jozef B. Sein Mandant jedenfalls habe sich "nichts vorzuwerfen". Auch der Anwalt von Marian B. stapelt nicht tief. "Mein Mandant ist unschuldig." Julia B. und Martina B. indes wollen auf den Deal eingehen. Stefan B. vermutlich auch, sagt sein Verteidiger. Er sei seit sechs Monaten in U-Haft und habe "Angst, seine Frau zu verlieren", wenn er nicht schnell wieder auf freien Fuß käme.