In Hamburg hat am Montag der Prozess gegen zehn mutmaßliche somalische Piraten begonnen. Den Seeräubern drohen lange Haftstrafen.

Hamburg. Mehr als sieben Monate nach dem Angriff auf das deutsche Containerschiff MS „Taipan“ hat am Montag in Hamburg unter großem Medienandrang der Prozess gegen zehn mutmaßliche Piraten begonnen. Zum ersten Mal müssen sich mutmaßliche Piraten aus Somalia vor einem deutschen Gericht verantworten. Sie müssen sich wegen Angriffs auf den Seeverkehr und erpresserischen Menschenraubes vor dem Landgericht der Hansestadt verantworten. Die Anklage umfasst 33 Seiten und benennt 22 Zeugen. Das mit Spannung erwartete Verfahren vor der Großen Strafkammer 3 ist zugleich der erste Piraten-Prozess seit etwa 400 Jahren in Hamburg.

Schmächtig und in Trainingsjacken – so betraten die meisten der Angeklagten den voll besetzten Sitzungssaal. Einige von ihnen humpelten sogar. Als die Anklage zu Beginn der Verhandlung verlesen wurde, fing der jüngste von ihnen an zu weinen, sein Körper zitterte. Ihnen wird unter anderem vorgeworfen, Gewalt angewendet zu haben, um ein Schiff zu kapern, sowie Schusswaffen eingesetzt und Menschen in ihre Gewalt gebracht zu haben. Als der Kapitän der "Taipan" Signalraketen auf die Verfolger abschoss, eröffneten sie mit Sturmgewehren das Feuer und enterten schließlich das Schiff, so die Anklage.

Die Rechtsbeistände der Angeklagten verlasen eine Erklärung, in der sie aus ihrer Sicht auf juristische Probleme des Verfahrens aufmerksam machen wollten. So sei zu klären, ob einer der Angeklagten überhaupt strafmündig sei, da er sein Alter mit 13 Jahren angegeben habe. Die Staatsanwaltschaft hält ihn für älter und stützt sich dabei auf Gutachten. Sachverständige schätzten das Alter des jungen Mannes auf mindestens 15 Jahre. „Die von der Staatsanwaltschaft vorgelegten Schätzgutachten sind wissenschaftlich gesehen ohne Aussagekraft“, sagte hingegen Anwalt Thomas Jung. Er verlangte, das Verfahren gegen seinen Mandanten einzustellen. „Ein Kind hat hier nicht vor Gericht zu stehen, wenn die Altersangabe 13 richtig ist“, sagte der Vorsitzende der Strafkammer, Bernd Steinmetz.

Ein Teil der 20 Verteidiger forderte außerdem, die Öffentlichkeit von der Verhandlung auszuschließen, da Jugendliche und Heranwachsende unter den Angeklagten seien. Dazu will das Gericht beim nächsten Verhandlungstag Stellung nehmen. Zudem sei zu prüfen, ob die Festnahme durch niederländische Marinesoldaten rechtens gewesen sei, was beim Gegenteil dazu führen könne, dass der Prozess eingestellt werden müsse. Die Anwälte forderten ferner Aufklärung darüber, inwiefern deutsche Dienststellen in die Festnahme involviert gewesen seien. Und im Falle eines Schuldspruchs müsse eine genaue Schuldzuweisung auf jeden mutmaßlichen Täter erfolgen.

Der Vorsitzende Richter Bernd Steinmetz hatte das Statement der Anwälte zugelassen. Er verwies jedoch darauf, dass eine solche Stellungnahme vor Eintritt in die Beweisaufnahme eigentlich nicht der Strafprozessordnung entspreche. Nach etwa anderthalb Stunden wurde die Verhandlung kurzzeitig unterbrochen, da einer der Angeklagten über Nierenprobleme klagte.

In einer gemeinsamen Stellungnahme machten die Verteidiger auf die spezielle Situation der Angeklagten in Somalia aufmerksam. Der ostafrikanische Staat sei durch Hunger, fehlende medizinische Versorgung und Terror gezeichnet. „Das somalische Volk leidet; eine innerstaatliche Fluchtalternative besteht nicht.“ Auch einige Demonstranten machten vor dem Gerichtsgebäude auf die Situation aufmerksam. Mit Spruchbändern und Flugblättern protestierten sie gegen die „neokoloniale Ausbeutung Afrikas“.

Die MS „Taipan“ war am Ostermontag, dem 5. April, auf dem Weg von Haifa nach Mombasa etwa 500 Seemeilen vor der Küste Somalias von den Seeräubern attackiert worden. Die 15-köpfige Besatzung konnte sich noch in einen speziellen Sicherheitsraum retten, verletzt wurde niemand. Das 140 Meter lange Schiff der Hamburger Reederei Komrowski war durch den Anti-Piraten-Einsatz eines Spezialkommandos der niederländischen Fregatte „Tromp“ wieder freigekommen. Die Piraten wurden noch an Bord festgenommen, fünf Maschinengewehre und zwei Raketenwerfer samt Munition sowie zwei Enterhaken sichergestellt. Der Kapitän und ein Mitglied der 15-köpfigen Besatzung der „Taipan“ waren Deutsche. Die weiteren Crewmitglieder stammten aus Russland, der Ukraine und Sri Lanka.

Bei den Angeklagten handelt es sich um sieben Erwachsene, zwei Heranwachsende und einen Jugendlichen. Der Älteste ist 1962 geboren, der Jüngste etwa 1993. Sie werden von 20 Anwälten vertreten und haben sich bisher nicht zu den Vorwürfen geäußert. Ihnen drohen bei einer Verurteilung bis zu 15 Jahre Haft. Der nächste Verhandlungstag ist am Mittwoch, den 1. Dezember. Insgesamt hat das Gericht Termine bis Ende März angesetzt.

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Erster Piratenprozess in Hamburg seit 400 Jahren

Roland Höger weiß noch genau, wie er sich fühlte, als ihn der Notruf erreichte. Es war am Ostermontag, gegen 11 Uhr. Am Telefon meldete sich Dirk Eggers, 67, Kapitän seines Containerschiffs MS "Taipan". Er klang gefasst. "Wir werden gleich von Piraten angegriffen", fünf Minuten später ein weiterer Anruf. "Ich bin noch auf der Brücke. Jetzt wird's ernst." Höger hörte Schüsse, dann brach die Verbindung ab.

Der Reeder, Besitzer von 54 Frachtschiffen, fühlte sich damals wie "jemand, dessen Kind gekidnappt wurde". Vier Stunden hing Höger in der Luft, dann betrat seine Sicherheitsoffizierin das Büro und sagte: "Mach mal den Champagner auf." Eine niederländische Fregatte war der "Taipan" zur Hilfe geeilt, hatte die Piraten festgesetzt und seine Crew befreit.

Die zehn Piraten, die sein Schiff gekapert haben, stehen von heute an vor dem Landgericht Hamburg. Sieben Erwachsene, zwei Heranwachsende, ein Jugendlicher. 20 Verteidiger vertreten sie, 22 Zeugen sollen an den bisher anberaumten 13 Verhandlungstagen aussagen. Im Raum stehen Haftstrafen von fünf bis 15 Jahren. Die Staatsanwaltschaft klagt sie wegen Angriffs auf den Seeverkehr und erpresserischen Menschenraub an. "Sie handelten in der Absicht, die Besatzung gefangen zu nehmen und Lösegeld zu erpressen", sagt Oberstaatsanwalt Wilhelm Möllers.

Das Interesse an dem Mammutverfahren ist enorm: 50 Reporter aus dem In- und Ausland, darunter Teams von Bloomberg TV (USA) und vom arabischen Nachrichtensender Al-Dschasira, begleiten den ersten Piratenprozess in Hamburg nach rund 400 Jahren - es dürfte kaum der einzige bleiben. Seit Anfang 2009 ermittelt die Staatsanwaltschaft in Sachen Piraterie in 60 Verfahren.

Die "Taipan" war am 5. April auf dem Weg von Haifa nach Mombasa. 500 Seemeilen östlich der somalischen Küste griffen die Piraten an. Mit Maschinengewehren und Raketenwerfern. Als sie das 140 Meter lange Schiff enterten, hatte sich die 15-köpfige Crew in einem Schutzraum bereits in Sicherheit gebracht. Bis zu einer Woche hätten die Matrosen aus Deutschland, Russland, der Ukraine und Sri Lanka dort ausharren können.

+++ Warum ist der Piratenprozess in Hamburg? +++

In der Nähe patrouillierte die niederländische Fregatte "Tromp", sie hatte den Notruf der "Taipan" aufgefangen. Nach einem kurzen Feuergefecht eroberten Soldaten das Frachtschiff zurück. Die zehn Somali wurden erst in die Niederlande ausgeflogen und Anfang Juni nach Deutschland ausgeliefert. Seither sitzen sie am Holstenglacis in Untersuchungshaft. Über die Angeklagten ist so gut wie nichts bekannt. Nicht mal die Namen und das Alter stehen eindeutig fest. "Geboren vor 1989", heißt es da etwa, oder "1993 oder zuvor". Sie sollen zwischen 17 und 48 Jahre alt sein, drei geben sich als Fischer aus, sieben von ihnen sind angeblich verheiratet und haben Kinder.

Das Seegebiet am Horn von Afrika zählt zu den gefährlichsten der Welt. Allein in der ersten Jahreshälfte 2010 wurden 84 Angriffe gemeldet, 27 Schiffe gekapert und 544 Geiseln verschleppt. Piraterie gilt in Somalia, wo das jährliche Pro-Kopf-Einkommen unter 300 Dollar liegt, indes als attraktives Geschäft. Pro Entführung, so das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), verdient ein Pirat zwischen 10.000 und 15.000 Dollar. Das Land, seit 1991 im Bürgerkrieg, sei destabilisiert, die Menschen entwurzelt und verarmt, sagt Kerstin Petretto vom Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik.

"Ich hoffe, dass die Piraten hart bestraft werden", sagt Krzysztof Kotiuk, 61. Ein Jahr vor der Entführung der "Taipan" hatten somalische Piraten die "Hansa Stavanger" gekapert. Kotiuk war damals Kapitän des Frachtcontainers. Er erlebte, wie sie sein Schiff mit Panzerfäusten angriffen, wie seine Leute "scheinhingerichtet" und misshandelt wurden. Erst als seine Hamburger Reederei nach zähen Verhandlungen 2,75 Millionen Dollar Lösegeld zahlte, kam die Crew frei - nach vier Monaten Geiselhaft. Unter den psychischen Folgen leidet Kotiuk noch immer.

Eine spürbare Strafe fordert auch Reeder Roland Höger. Ob die Piraten nach der Haft Asyl bekommen - aktuell gilt ein Abschiebestopp für Somalia - "interessiert nur Stammtischbrüder", sagt Höger. "Es handelt sich hier um übelste Kriminalität." Viel wichtiger sei, dass der militärische Schutz für Frachtschiffe verstärkt wird - so sieht es auch der Verband Deutscher Reeder. Ein faires, rechtsstaatliches Verfahren ist den Angeklagten garantiert. Ganz anders im Mittelalter, da machten die Hamburger mit Piraten buchstäblich kurzen Prozess. Zwischen 1390 und 1600 sollen mindestens 533 Freibeuter hingerichtet worden sein. Auf dem Exekutionsplatz, der sich dort befand, wo heute die Elbphilharmonie entsteht. Der Scharfrichter hackte den Piraten den Kopf ab, die Schädel wurden danach auf Stöcke genagelt und zur Abschreckung auf einer Halbinsel vor den Toren Hamburgs aufgestellt. Aus hohlen Augen blickten die verwesten Köpfe gen Elbe. Ein schauriger Anblick.