Beamte soll einen Dealer ohne Not geschlagen haben. Die meisten Ermittlungsverfahren gegen Polizisten werden eingestellt.

St. Georg. Sie versteht es auch heute nicht: warum ihr Kollege am 26. Oktober 2009 in der Wache St. Georg so rabiat durchgriff. Warum er den am Steindamm aufgegriffenen Kleindealer aus der Zelle zerrte, in die Toilette schubste, zu Boden brachte und ihm einen Faustschlag ins Gesicht verpasste. In dem Bericht, den der 50 Jahre alte Polizist nach dem Vorfall verfasste und den die junge Kollegin las, "stand nichts von einem Schlag drin", sagt Julia O. "So durfte das aber nicht laufen, da stand doch eine strafbare Tat im Raum." Und weil sie gegenüber dem Dienststellenleiter bei ihrer Version blieb, ist der Fall gestern vorm Amtsgericht St. Georg gelandet. Allein dass verhandelt wird, ist bemerkenswert: Die meisten Ermittlungsverfahren gegen Polizisten wegen Körperverletzung im Amt werden eingestellt - ein Umstand, den Amnesty International wiederholt kritisiert hat.

Der Angeklagte Bernd N. ist seit 30 Jahren Polizist. Julia O., 26, arbeitete gerade acht Wochen auf der Wache St. Georg, als sie den Mut fand, ihren Vorgesetzten anzuschwärzen. An jenem Tag hatte sie die Aufsicht im Verwahrtrakt, wo es wieder laut zuging: Eine Frau bollerte gegen die Tür, und der Kleinkriminelle Rida D. in der Sammelzelle tat es ihr nach. Nichts Besonderes. Julia O. wollte nur rasch zuschließen.

Gleichzeitig blickte Bernd N. im Wachraum auf einen Monitor. Er sah, wie sich die junge Kollegin gegen die Zellentür lehnte, als würde sie die Tür unter Druck zuhalten - so schlussfolgerte er. "Ich dachte, dass sie Hilfe braucht. Wir Erfahrenen müssen in solchen Situationen Verantwortung übernehmen." Also sei er zum Zellentrakt gerannt. "Herr G. hat randaliert und geschrien, dass er auf Toilette wollte", sagt Bernd N. "Doch kaum war er raus, verlangte er aggressiv nach einem Telefon. Den Anruf beim Anwalt hatte er aber schon gemacht." Als bedrohlich habe sie die Situation aber nicht empfunden, sagt Julia O. Bernd N. indes habe den Mann gleich zur Toilette gezerrt. "Er hat es doch gesagt, und er hatte ein Recht darauf", sagt Bernd N.

Dort habe Rida G. zweimal kräftig gegen die Tür getreten und sei sehr aggressiv gewesen. Als Polizist müsse man sich jedoch schützen. "Ich wollte nur Herr der Lage werden", sagt Bernd N. Nur wie weit ist er gegangen? "Ich habe gesehen, wie er ihn mit der Faust schlagen wollte, weiß aber nicht, ob er ihn voll getroffen hat", sagt Julia O.

Rida G. könnte es wissen, das mutmaßliche Opfer. Doch der 34-Jährige in Cargo-Hose, abgewetzten Turnschuhen und Kapuzenpulli ist als Zeuge ein Totalausfall. Erinnerungen? Fehlanzeige. Dann taucht doch etwas im Gedächtnis auf. Ein Schlag ins Gesicht, Blut, das ihm aus der Nase gelaufen und an die Wand gespritzt sei. Alles sehr vage.

So halb gar, dass die Richterin das Verfahren gegen 750 Euro Geldbuße einstellt. Der Staatsanwalt lässt keinen Zweifel, wie er den Fall sieht. "Es liegt hier kein exemplarischer Fall von Polizeigewalt vor. Eher etwas Alltägliches."