Verbale Angriffe sind Alltag, tätliche Übergriffe nehmen zu. Wie die Polizisten auf dem Kiez damit umgehen, beschreibt der Abendblatt-Report.

Solche Typen wie ihn, den mutmaßlichen Disco-Schläger, kennen sie nur zu gut: betrunken, aggressiv und ausfallend gegenüber Polizisten. Und dass eine ruhige Schicht wie die vom Donnerstag ausgerechnet einige Minuten vor Dienstschluss noch richtig hektisch werden kann, haben Thorsten Zepernick (39) und Rüdiger G. (28, Name geändert) auch schon zigfach erlebt. Als die Beamten um 4 Uhr morgens vor der China Lounge (Reeperbahn) eintreffen, haben Kollegen den Mann, der in dem Klub randaliert haben soll, schon überwältigt und seine Hände auf dem Rücken fixiert. Vor dem Klub herrscht eine explosive Stimmung. "Ich reiß euch den Kopf ab", brüllt der 23-Jährige, während drei unbeteiligte junge Männer die Beamten mit Spottliedern verhöhnen. Ein Polizist kontert die Provokation spitz: "Aha, nach zwei Bier wird man wohl so mutig?"

Konflikte mit Betrunkenen und Schlägern, Widerstand gegen Polizisten - das ist Alltag auf dem Kiez und Routine für die Beamten des Polizeikommissariats 15, besser bekannt als Davidwache. Die Polizisten müssen zwar nur ein knapp ein Quadratkilometer großes Terrain, das kleinste Reviergebiet Europas, überwachen, doch das ist aufwendig genug, gerade wenn an den Wochenenden zu den 14 000 Bewohnern des Areals gut 50 000 Besucher kommen. Nicht selten, wenn Polizisten eingreifen, solidarisieren sich völlig Unbeteiligte mit den mutmaßlichen Tätern - das heizt die Stimmung gegen die Beamten zusätzlich auf. "Dass man von irgendwelchen Leuten absichtlich geschubst wird, das erleben wir regelmäßig", sagt Dienstgruppenleiter Enno Ebert (42). Doch auch nach den gewalttätigen Attacken auf Hamburger Polizisten in jüngster Zeit blieben tätliche Angriffe die Ausnahme. Es herrschten "normale Zeiten auf dem Kiez", wenngleich es auch hier eine "gewisse zunehmende Tendenz" gebe. Beachtlich: Die Zahl der Widerstandshandlungen gegen Beamte, darunter fallen auch gewalttätige Angriffe, stieg seit 1999 in Hamburg um 40 Prozent (2008: 1153 Fälle). Immer unflätiger würden die verbalen Anfeindungen, immer respektloser der Ton, sagt auch ein Polizist der Davidwache, der ungenannt bleiben möchte. Neun Beamte der Davidwache, dazu Bereitschaftspolizisten und Angehörige der Dienstgruppe Präsenz, sorgen in dieser Nacht für Recht und Ordnung auf dem Kiez. Es sind vor allem junge Leute, die in der Wache vorsprechen, weil sie Anzeige erstatten wollen. Andere werden durch eine schmale Tür hinab in den kargen Zellentrakt im Keller geführt.

So wie der 23 Jahre alte Schläger, der noch auf dem Polizeirevier Thorsten Zepernick und Rüdiger G. wüst beschimpft. Als er den Beamten droht, er werde seinen "einflussreichen Vater" einschalten, winken sie ab: "Tausendmal schon gehört", sagt Rüdiger G. Andere Verdächtige hingegen hoffen auf das Verständnis der Polizisten. "Krieg ich jetzt meinen Führerschein nie wieder?", will eine Auszubildende wissen, die gefasst wurde, als sie mit rund 0,7 Promille Alkohol im Blut dreimal hintereinander falsch in eine Einbahnstraße fuhr. Da muss auch Dienstgruppenleiter Ebert lächeln.

Ebert hat aber auch schon öfter erlebt, wie rasch eine Situation eskalieren kann. Vor einer Woche war er an dem Einsatz in der Ahoi-Bar (Hafenstraße) beteiligt. Als Zivilfahnder dort einen mutmaßlichen Drogendealer festnehmen wollten, randalierten etwa 100 Kneipengäste, schlugen die Beamten, traten und bewarfen sie mit Flaschen. "Bei solchen Einsätzen kriegt man es auch schon mal mit der Angst."

Angst gilt unter den Beamten der Davidwache, die das Image hat, eine der härtesten Polizeiwachen Deutschlands zu sein, indes nicht als Schwäche. "Angst schützt", sagt Ebert. "Sie hält wach." Und sie läuft mit, wenn die Polizisten Streife gehen. Vor allem sonnabends. Dass unbekannte Randalierer das Polizeikommissariat 16 an der Lerchenstraße angriffen, wirkt nicht gerade beruhigend. Mehrere Linksextremisten hatten am 3. Dezember die Wache überfallen. Zuerst lockten sie einen Beamten durch fingierte Hilferufe ins Freie, dann bewarfen sie ihn mit Steinen und schoben einen brennenden Müllcontainer vor die Tür. Um ein Haar wäre es den Angreifern gelungen, sie mit einem Fahrradschloss zu verriegeln. Nun ermittelt die Mordkommission.

Ebert, seit sechs Monaten Dienstgruppenleiter, sitzt im Aufenthaltsraum der Polizeiwache, seine Hände ruhen auf dem Tisch. "Der Überfall auf die Kollegen stellt eine neue Dimension dar", sagt der 42-Jährige nachdenklich. Politisch motivierte Gewalttaten gegen die Beamten der Davidwache hält er indes für "ziemlich unwahrscheinlich". Das PK 15 sei eine Polizeiwache mit zwei Gesichtern. "Morgens herrschen auf dem Kiez Zustände wie in einem Dorf", sagt er. Doch abends müssten die Polizisten ganze Heerscharen von enthemmten Feierwütigen in Schach halten. Je nach Temperament des Gegenübers wählen die Polizisten mal eine diplomatische, mal eine bestimmte Ansprache. Das geht oft gut. Aber längst nicht immer. Deshalb, sagt Rüdiger G., "ist bei mir ständig die rote Lampe an, ich bin dauernd im Alarmzustand". Erst vor einer Woche, erzählt Zepernick, habe ihn ein betrunkener Mann erst grundlos angerempelt und sei dann wie im Boxring um ihn herumgetänzelt. Kein Diskutieren half: Da habe er den Angreifer mit Pfefferspray in die Flucht geschlagen.

Umso dankbarer sind die Polizisten für Tage wie den Donnerstag, wenn die Arbeit vergleichsweise entspannt ist: Thorsten Zepernick und Rüdiger G. nehmen einen Verkehrsunfall auf, öffnen eine Wohnungstür für die Bestatter, ein Böller detoniert vor der "Ritze", und sie verfolgen einen Schlägertrupp durch den S-Bahnhof Reeperbahn.

Wenn die Polizisten über den Kiez gehen, fällt auf, dass einige Passanten mit meist glasigen Augen ihnen hinter dem Rücken den erhobenen Mittelfinger zeigen, oft auch mit dummdreisten Sprüchen zu provozieren suchen. Wer es übertreibt, wird souverän ignoriert. Rüdiger G. glaubt, vielleicht wäre es manchmal besser, würden die Polizisten in Hamburg eine "härtere Linie" fahren: "Nach meinem Empfinden lassen wir einigen Leuten hier zu viele Respektlosigkeiten durchgehen."