Hamburg. Wie Stadtbewohner mit Flucht- oder Migrationsgeschichte zwischen Blankenese und Horn leben – und wo sie sich benachteiligt fühlen.

Wie akzeptiert und angekommen fühlen sich Menschen in Deutschland, wenn die eigenen Wurzeln im Ausland liegen? Diese Frage wurde zugewanderten Fachkräften kürzlich im Rahmen einer OECD-Studie gestellt. Die Antworten lassen aufhorchen, denn viele der Befragten geben an, dass sie zwar durchaus gerne in diesem Land leben, dort im Vergleich zu deutschen Bürgern aber in vielerlei Hinsicht benachteiligt würden.

Flüchtlinge und Migranten in Hamburg fühlen sich auch von Polizei diskriminiert

Rund 37 Prozent haben laut Studie bereits Diskriminierung in öffentlichen Bereichen wie Gaststätten und auf der Straße erlebt. Etwa jeder Siebte fühlt sich von der Polizei durch Ansprachen oder Kontrollen diskriminiert, 23 Prozent beklagen Diskriminierung in den Schulen ihrer Kinder und 28 Prozent am Arbeitsplatz. Zusätzlich berichtet fast ein Drittel (30 Prozent) der Befragten von Diskriminierung durch ihre Nachbarschaft und sogar Mitarbeiter der Ausländerbehörden. Und auch vom angespannten Wohnungsmarkt ist immer wieder zu hören, dass ausländisch klingende Namen ein gravierendes Hindernis seien.

Einer, der das Problem aus eigener Erfahrung kennt, ist Hussam Al Zaher. Er kam nicht als angeworbene Fachkraft, sondern als Flüchtling nach Hamburg. Als 2015 seine syrische Heimat Damaskus in Krieg und Terror versank, verließ er das Land, machte sich über Istanbul auf den Weg nach Deutschland und baute sich hier eine neue journalistische Existenz auf. Weil deutsche Medien zwar viel über Flüchtlinge schreiben, nur selten aber auch selbst welche beschäftigen, brachte er mit der Hilfe einiger Unterstützer 2017 ein eigenes Heft heraus, damals noch mit dem Titel „Flüchtling“. Die auf Deutsch gedruckten Texte handelten überwiegend von Flucht und Vertreibung, geschrieben wurden sie von einem kleinen Team aus Geflüchteten und hier Ansässigen, oft selbst mit Migrationshintergrund in zweiter oder dritter Generation.

Hamburger Magazin „kohero“ will Zeitschrift für kulturellen Zusammenhalt sein

2020 folgten eine Weiterentwicklung der inhaltlichen Ausrichtung und ein Namenswechsel. „kohero“ heißt das Magazin seitdem, es gibt auch eine Website, Podcasts und manches mehr. Das Wort stammt aus dem Esperanto, einer auf diversen linguistischen Einflüssen basierenden Kunstsprache.

Gibt man „kohero“ in einen Internetübersetzer ein und fragt, was es auf Deutsch bedeutet, so antworten Laptop oder Smartphone binnen Sekundenbruchteilen mit „Kohärenz“. Dieser Begriff hat allerlei Bedeutungsstränge, mitunter geht es dabei aber auch um den „Zusammenhalt“. Deshalb – und weil ein Stück hero (Held) im Wort steckt – hat Al Zaher, der nicht nur „kohero“-Chefredakteur, sondern auch Geschäftsführer der gleichnamigen gemeinnützigen GmbH ist, ebendiesen Titel gewählt.

„kohero“ sucht 1000 Unterstützer, um weitermachen zu können

Worum es inhaltlich bei „kohero“ geht, verrät der deutsche Untertitel: „Magazin für interkulturellen Zusammenhalt“. Das Heft sei nicht nur sein Traum, es soll auch „eine Brücke zwischen unterschiedlichen Kulturen“ bilden. Doch diese steht momentan auf dünnen finanziellen Fundamenten.

Der kleine, im Hamburger Grindelviertel ansässige Verlag, der sich mit Spenden, eigenen Erlösen und ein paar Fördermitteln bislang gerade so über Wasser halten kann, wirbt um bis zu 1000 neue „Member“, um mit deren überschaubaren Beiträgen (ab 5 Euro im Monat) „weiterhin eine vielfältige Berichterstattung“ zu ermöglichen. Die monatlichen Ausgaben in Höhe von 15.000 Euro müssten bis Juli gedeckt werden, „sonst ist unsere Mission in Gefahr“, heißt es auf der Website.

„Kopf einziehen, eher das Taxi nehmen, kein Risiko eingehen“

Eine der Mitarbeiterinnen von „kohero“ ist Sarah Zaheer, Podcasterin und stellvertretende Chefredakteurin der Printausgabe. Sie hat sich, auch aus eigener Erfahrung, für die aktuelle Ausgabe mit der Frage beschäftigt, warum sich an vielen Orten hierzulande Menschen mit Migrations- und Fluchtgeschichte unwohl oder gar unsicher fühlen. Ihre Eltern kamen einst aus Pakistan nach Deutschland, aufgewachsen ist sie in Brandenburg, nicht weit entfernt von Berlin. Dort lernte die Muslima früh, dass man mit dunkler Haut und tiefschwarzen Haaren bestimmte Orte und Situationen besser umgeht, nicht nur als Mädchen.

„Schon seit Jahrzehnten arbeiten meine Eltern manchmal in Ostdeutschland, in Chemnitz, Eisenhüttenstadt und Dresden. Jedes Mal achten sie darauf, bestimmte Stadtteile zu meiden und abends schnell ins Hotel zurückzukehren“, schreibt Sarah Zaheer, die mittlerweile in Hamburg-Horn wohnt. Insbesondere als die rechten Montagsdemos wieder zunahmen, hätten sie versucht, nicht mehr auf der Straße zu sein. „Kopf einziehen, eher das Taxi nehmen, bloß kein Risiko eingehen“ – das sei dann ihr Lebensmotto gewesen.

Steht die Ausländerkriminalität zu oft im Fokus der Medien?

Egal ob auf dem Land oder in der Stadt: Viele Orte seien für Menschen mit Migrations- und Fluchtgeschichte nicht sicher, mutmaßt Zaheer. Dennoch würden in der „weißen Dominanzgesellschaft“ selten diese Aspekte diskutiert, viel häufiger gehe es in den Medien und in persönlichen Gesprächen um das Benennen „sozialer Brennpunkte“, das Brandmarken durch den Begriff „Ausländerkriminalität“ oder gar eine schwelende „Terrorgefahr“ durch Islamisten. Diese Schlagworte wiederum würden sich dann Rechtsextreme zunutze machen, um die Gesellschaft weiter zu spalten. Und in der breiten Bevölkerung wüchsen dadurch die Ressentiments.

Über 24,9 Millionen Menschen in Deutschland haben Migrationshintergrund

Laut dem Statistischen Bundesamt haben derzeit schon mehr als 24,9 Millionen Menschen in Deutschland einen Migrationshintergrund. Eigene Zuwanderung haben davon gut 16 Millionen erlebt – der Rest kam hier auf die Welt, so auch Hussam Al Zahers Tochter. Angesichts dieser Größenordnung sei Deutschland de facto schon lange ein Einwanderungsland, sagt der „kohero“-Chefredakteur, nur spiegele sich das nicht überall im Mindset wider. Sarah Zaheer kann das bestätigen: „Ich bin in Deutschland geboren, ich bin in Deutschland aufgewachsen. Und trotzdem wird mir häufig – gerade im öffentlichen Raum – zurückgespiegelt, ich würde wohl nicht hierhergehören.“ Sie werde auf Englisch angesprochen, „mir werden Fragen gestellt, die meiner weißen Freundin niemals gestellt würden. Auch so wird man als Mensch ein Stück weit ausgegrenzt.“

Nun ist es nicht sinnvoll, alle Menschen in einen Topf zu werfen, nur weil sie oder ihre Vorfahren aus dem Ausland nach Deutschland gekommen sind. Das räumen auch die Macher von „kohero“ ein. Genauso wie es bei „Ur-Deutschen“ sehr unterschiedliche Ansichten, Verhaltensweisen und Präferenzen gebe, sei es auch bei den Zugewanderten. Oft spiele zudem noch die Religion eine Rolle, die einerseits Gemeinsamkeiten schaffen, andererseits aber auch stark abgrenzen könne. „Meist jedoch“, sagt Sarah Zaheer, „eint die Menschen mit Migrations- und Fluchtgeschichte dann doch zuerst das Gefühl vom Andersgemachtwerden.“

Flüchtlinge in Hamburg: Unterschiede zwischen Elbvororten, Alstertal und Horn

Ob sie sich aufgrund ihrer Hautfarbe in Hamburg auch mal richtig fürchtet? Darauf antwortet Sarah Zaheer: „In dieser Stadt, das muss ich schon sagen, fühle ich mich vergleichsweise sicher, anders als früher am Stadtrand von Berlin. Richtig wohl fühle ich mich allerdings erst an jenen Orten, an denen eine vielfältige Gesellschaft sichtbar ist.“ Und das sei noch immer eher in Horn oder im Schanzenviertel so als zum Beispiel in Blankenese.

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Bülent „Bedo“ Kayaturan, vielen in der Stadt bekannt als TV-Moderator von Hamburg-1-Formaten wie „Oriental Night“ (bis 2021) oder nun „By Bedo“, findet diese Sichtweise durchaus nachvollziehbar. Er ist als Kind türkischer Aleviten in Hamburg aufgewachsen und hat selbst noch Zeiten erlebt, in denen es hieß, man solle als Mensch mit Migrationshintergrund bestimmte Stadtviertel meiden, etwa Teile von Bergedorf oder das südliche Harburg. Inzwischen aber, so sagt er, habe sich viel in Hamburg zum Positiven gewandelt, man könne sich hier im Grundsatz eigentlich überall recht sicher fühlen.

TV-Moderator „Bedo“ wünscht sich mehr Selbstbewusstsein

Was allerdings die gefühlte oder die soziale Ausgrenzung angeht, so gebe es tatsächlich nach wie vor Unterschiede zwischen einzelnen Stadtteilen: „In Hamburgs Elbvororten oder rund um Alstertal und Walddörfer ist der Multikulti-Faktor schon ein anderer als in Altona, Wilhelmsburg oder Billstedt. Insofern verstehe ich, wenn sich hier der eine oder andere nicht wirklich willkommen fühlt.“ Die Diskussion, wo in der Stadt ohne Proteste der Anwohner Flüchtlingsunterkünfte entstehen können und wo nicht, sei dabei nur eines von vielen Beispielen.

Nichtsdestotrotz plädiert „Bedo“ Kayaturan in Richtung der Hamburger mit Flucht- oder Migrationshintergrund, selbstbewusster und positiv durch diese Stadt zu gehen. „Das fehlt mir in manchen Communitys nämlich manchmal.“