Matthias Onken machte rasant Karriere als Journalist - und vergaß das echte Leben. Seinen Ausstieg hat er in einem Buch protokolliert.

Hamburg. Viele Jahre ist Matthias Onken Gefangener seines Traums gewesen. Schon als kleiner Junge hatte er den Entschluss gefasst, einmal als Journalist zu arbeiten. Für den beruflichen Einstieg beim "Pinneberger Tageblatt" schmeißt Onken sein Studium. Nach dem Volontariat wechselt er zur "Hamburger Morgenpost". Mit nur Mitte 30 sitzt er dort auf dem Chefsessel, bis er 2008 die Leitung der Hamburger Ausgabe der "Bild"-Zeitung übernimmt.

Für die Verwirklichung seines beruflichen Ziels hat der heute 40-Jährige Vollgas gegeben. 16 Jahre blieb das Bremspedal stets unberührt. Auch als seine Ehe scheitert und er seinen Sohn Samy kaum mehr sieht. Oder er Nacht für Nacht schweißgebadet aus Albträumen hochschreckt. Ein Leben ohne Druck und Dauerstress kennt der Journalist kaum mehr, als er dann doch ausgebrannt seine Kündigung schreibt. "Ich war damals wie euphorisiert und surfte auf einer Welle ganz weit oben", erinnert sich Onken. Seinen Ausstieg hat er in dem Buch "Bis nichts mehr ging" protokolliert.

In seinem Erstlingswerk erzählt Onken die Geschichte eines Mannes, der schnell nach oben kommt und auf dem Weg dorthin vieles verliert. Er schildert, wie aufreibend die tägliche Jagd nach der perfekten Schlagzeile gewesen ist und wie die Last der Verantwortung ihn fast erdrückte. Onken verschweigt nichts. Auch nicht, dass er seine Sorgen zu oft mit ordentlich Alkohol und anderen Genussmitteln betäubte. Wilde Absturznächte mit unzählbar vielen Drinks werden beschrieben. Und die Befürchtung am Morgen danach, dass jemand in der Redaktion merkt, wie "durch" der Chef eigentlich ist.

Bei der Arbeit habe er geglänzt, doch im Restleben versagt. Um beides in Einklang zu bringen, sei schlichtweg keine Kraft mehr übrig gewesen, bekennt Onken in seinem Ausstiegsprotokoll. Er gibt zu, dass ihm irgendwann selbst Beziehungen zu stressig wurden und er die käufliche Liebe der wahren vorzog. "Damals habe ich mit niemandem darüber geredet, was genau in mir vorging. Das Buch ist eine Art Therapie, das musste alles mal raus", erklärt er.

Etwas mehr als ein Jahr nach seinem Ausstieg sitzt er entspannt in der Lobby eines Hotels. Der Einstieg als freiberuflicher Autor und Medienberater sei erfolgreich gewesen, sagt Onken. Ruhig trinkt er seinen Cappuccino. Kein einziges Mal vibriert sein Handy, und kein einziges Mal blinzelt Onken nervös aufs Display. Damals war er immer erreichbar - jeden Tag, 24 Stunden lang. "Der Ausstieg hat mein Leben komplett auf den Kopf gestellt. Ich habe wieder freie Wochenenden, und es gibt Tage, an denen ich nur sechs bis sieben Stunden arbeite", erzählt der Medienmann, der vor etwas mehr als sechs Monaten erneut Vater eines Sohnes geworden ist. "Ich genieße vor allem sehr, dass ich meinen Kleinen oft ins Bett bringen kann. Bei dem Großen habe ich das leider viel zu oft versäumt."

Das Gefühl, dass nichts mehr geht, hat den ehemaligen Zeitungsmacher viel zu lange begleitet. Im Spiegel blickte ihm irgendwann ein aufgedunsener Mann mit fahler Haut entgegen, der schon lange nicht mehr richtig gelacht hat. "Bis zur Kündigung war es ein schwieriger und langwieriger Prozess. Immer wieder habe ich daran gedacht, die Reißleine zu ziehen", sagt Onken.

Einen Schlüsselmoment habe es nicht gegeben. Dennoch aber einen, in dem der Gedanke an den Ausstieg plötzlich ganz greifbar wurde. Das war im Dezember 2010 in einem New Yorker Hotelzimmer. Wieder einmal hatte Onken keinen Schlaf finden können und beobachtete müde vom Fenster aus das nächtliche Treiben auf den Straßen der Stadt, die niemals schläft. "Mich haben die Leute dort beeindruckt. Denn wenn sie scheitern, suchen sie einfach nach der nächsten Chance", erinnert sich Onken. Hier fühlte er plötzlich die Energie, sich zu dem Schritt durchzuringen, der schon lange überfällig war.

Vier Monate später ist es so weit: Onken sitzt dem Chefredakteur der "Bild"-Zeitung Kai Diekmann gegenüber. "Ich möchte mich selbstständig machen" - das sind die befreienden Worte. Diekmann reagiert verständnisvoll, Onken ist erlöst. Er genießt die ersten freien Wochen, bis ihn die Vergangenheit einholt. Beim Einkaufen verspürt er ein Stechen in der Brust. Genau dort, wo das Herz sitzt. Der Arzt findet nichts, hat aber eine simple Erklärung: "Ihr Körper kommt so schnell nicht mit. Der holt sich jetzt zurück, was Sie ihm genommen haben. Das kann lange dauern." Das beklemmende Gefühl ist nicht zurückgekehrt. An seine berufliche Vergangenheit denkt er kaum mehr. "Ich bin einfach nur erleichtert."

Am Sonntag, 13. Januar, liest der Autor um 19.30 Uhr im Salon des Schmidt Theaters aus seinem Buch. Der Pianist Martin Tingvall wird den Abend musikalisch begleiten. Die Karten kosten 15,50 Euro. 4 Euro werden davon an Nestwerk e. V. gespendet.