“Die Wahrheit ist jedem Menschen zumutbar“, lautet sein Lieblingszitat von Ingeborg Bachmann. Vilanek ist einer, der gern selbst am Steuer sitzt.

Hamburg. "Willkommen im Zentrum der Macht von 14 Millionen Kunden" - das Plakat der Freenet AG bekommt an der Tür zum Büro des Vorstandsvorsitzenden am Deelbögenkamp einen feinen selbstironischen Unterton. Hier sitzt, extrem aufgeräumt, Christoph Vilanek, 44, der das Unternehmen seit dem Frühjahr 2009 leitet. PC, Laptop, Drucker, zwei Smartphones, ein analoges Terminbuch. Zwei spärlich gefüllte Aktenkörbchen. Vier Porträtfotos an der einen Wand - die Familie; Kunst an der anderen. "Ich hab's fast geschafft, das papierlose Büro", strahlt der in Innsbruck geborene und in München wohnende Pendler. Sein Schreibtisch signalisiert: "Alles im Griff" und: "Hier hält sich niemand mit Statussymbolen auf."

Telekommunikation - in kaum einer Branche ändert sich so schnell so vieles so oft, muss der Verbraucher in so kurzen Zyklen von neuen Produkten und Verträgen überzeugt werden. Vilanek lehnt sich entspannt zurück. "Das stresst mich nicht persönlich. Ich kann mich davon sehr frei machen."

Woher seine gefühlte Ruhe kommt? "Ich hab schon in der Schule die Dinge rasch überblickt und mich schnell gelangweilt." Auch keiner, der sich das Leben als Kette der Wiederholung des Gewohnten organisiert. Er hat vieles gemacht nach seinem Studium der Betriebswirtschaft. War bei Time-Life, Direktmarketing. Geschäftsführer beim Online-Kaufhaus, das insolvent ging beim Platzen der Internet-Blase 2001. Unternehmensberatung bei McKinsey für Telekommunikation. 2004 kommt er zu iPublish, einer Tochter der Hamburger Ganske-Verlagsgruppe. 2005 geht er zu debitel - Kundenkommunikation, -entwicklung, -bindung.

+++ Machtkampf um die Hamburger Firma Freenet +++

Und dann, 2009, der Sprung in die erste Reihe: Vorstandvorsitzender bei Freenet, das damals gern als "Skandalbude" bezeichnet wurde. Sein Vorgänger wurde verurteilt wegen Insider-Geschäften, ständig gab es Gerüchte um Übernahmen oder Verkauf. Ruhe sollte er erst mal reinbringen. Und das "Handelsblatt" fragte: "Who the heck ist Vilanek?"

Zum Beispiel einer, der gern Klartext redet. "Die Wahrheit ist jedem Menschen zumutbar", sein Lieblingszitat von Ingeborg Bachmann. "Das gilt im Positiven wie im Negativen. Und auch für mich." Wie viel Wahrheit hält er selbst aus? "Meine Frau wird sagen: wenig. Ich würde sagen: viel. Aber ich werde nicht lange argumentieren, ich nehm's lieber mit und verarbeite es für mich." Gutes Klima, das heißt für ihn auch im Unternehmen mit seinen 4000 Mitarbeitern in Hamburg, Büdelsdorf und an anderen Standorten nicht: reibungsfrei. "Ich kreiere sicher kein Umfeld für Kuschler."

Vilanek ist einer, der gern selbst am Steuer sitzt. Im Auto, bei Freenet, im eigenen Garten in München. Der schon mal Sprechtexte für die Mitarbeiter bei Direktmarketing-Aktionen selbst formuliert, denn verkaufen, das kann er. Woher eigentlich? "Wir Österreicher haben ein gewisses loses Mundwerk, eine gewisse Leichtigkeit, den Schmäh. Wenn der deutsche Gast in der Berghütte das 15. Getränk auch noch bestellt - wir wissen halt, wie wir das rüberbringen", lacht er. Und schiebt nach: "Ein bisschen mehr ist es schon." Schnell zu erfassen, worauf's ankommt, das Gegenüber beobachten, seine Reaktionen verstehen.

In einer fremden Stadt marschiert Christoph Vilanek schon mal in einen Laden der Firma, um zu sehen, wie die Verkäufer sich dort schlagen. Gute Tipps inklusive. Er hat neulich ein Verkaufstraining selbst geleitet. Und den Mitarbeitern sagt er, das Gefühl, dass man brennen kann, brennen muss für das, was man tut. Und dass es doch wohl nicht so schwer sei kann, eine neuartige Heizungssteuerung per Telefon zu verkaufen.

So wie ein perfekter Rasen eine lösbare Aufgabe ist. Der ist seine Leidenschaft zu Hause, wenn die Familie noch schläft. "Das ist körperlich ein Ausgleich, man sieht, was man geschafft hat." Und befriedigt seine Lust, die Kontrolle zu haben. Er bestäubte auch mal den Apfelbaum selbst, weil er gelesen hat, dass es zu wenige Bienen gibt. Erfolg? "Die Ernte war erfolgreich. Ob's wirklich an mir lag, weiß ich nicht."

Was die Zukunft der Branche angeht, ist er unerschütterlicher Optimist. "Was technisch möglich wird, ist gar nicht zu überblicken. Schauen Sie, wie schnell die E-Mail überall verfügbar wurde. Die Technik wird immer intelligenter, immer sensibler. Und in Asien sieht man Zukunftstechnologien, die immer wieder verblüffen." Zum Beispiel Handys fast ganz aus Glas.

Eines seiner Smartphones klingelt, das schnelle Abschalten misslingt. "Hab ich erst seit gestern, ich probier's gern selbst aus." Doch Technik sei nicht alles, "das persönliche Gespräch kann man nicht ersetzen". Und das analoge Terminbuch muss für Notizen herhalten, wenn der Blick aufs Smartphone unangebracht wäre.

Der Vorstandschef, der jeden Montag gegen 10 Uhr aus München kommt und Freitag am Mittag wieder zurückfliegt, nutzt die moderne Kommunikation für die Familie. Facebook und SMS für die Töchter, elf und 14 Jahre alt, SMS, E-Mail und Telefon für die Ehefrau in München.

In Hamburg wohnt er im Herzen von Winterhude. Essen geht er gern, da bietet Hamburg viel. Selbst kochen - das macht er nur für die Familie. Kultur ist weniger sein Ding. "Konzerte, Oper - das ist ein Minderheitenprogramm für Oberstudienräte", sagt er, mit Spaß an der Provokation.

Der Mann, der laut Geschäftsbericht knapp 1,2 Millionen Euro im Jahr verdient, hat andere Ziele. Er will mit 50 aufhören können, falls er mal nicht mehr gebraucht wird. Und nachholen, was er während seiner steilen Karriere verpasst hat. Fremde Städte mal nicht nur aus dem Taxi zur Besprechung zu sehen, sondern mal eine Zeit lang dort zu wohnen, mit den Menschen dort zu reden. Man spürt die Sehnsucht nach Dingen, für die jetzt zu wenig Zeit ist.

Seinen Töchtern, sagt er, würde er raten, damit früher anzufangen, nicht nur ans Studium und die Arbeit zu denken, sondern zwischendrin schon mal ein bisschen zu leben. Es klingt ehrlich, aber nicht ganz überzeugt.